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Kaputtsparen ist ein Irrweg: Portugal blamiert EZB und EU-Kommission

Archivmeldung vom 07.02.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.02.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Lupo / pixelio.de
Bild: Lupo / pixelio.de

Portugal hat begonnen, Rettungskredite vorzeitig zu tilgen. Das Land weist überdurchschnittliche Wachstumsraten auf und hat historisch niedrige Arbeitslosenquoten und Haushaltsdefizite – obwohl es sich dem Spardiktat von EU und EZB frühzeitig verweigerte. In seinem Bericht beim russische online Magazin "Sputnik" fragt Andreas Peter, taugt Portugal als Vorbild oder Blaupause für andere Länder?

Peter schreibt dazu auf der deutschen Webseite des Magazins: "Es könnte peinlich werden für die Hohepriester der Austeritäts-Politik. Jahrelang predigten sie: Nur strenges Sparen bei den Ärmsten und Armen, nur das Verscherbeln öffentlichen Eigentums an „Investoren“, nur niedrigere Steuern für Reiche und Unternehmen könnten eine kränkelnde Nationalökonomie wieder gesunden lassen.

Doch Portugals Linksregierung hat das Gegenteil bewiesen und damit die Spardiktatoren in Brüssel, Berlin und anderenorts bis auf die Knochen blamiert. Deshalb war auch die Wahl des portugiesischen Finanzministers Mário Centeno zum neuen Euro-Gruppen-Chef im Dezember 2017 ein Triumph – auch wenn so getan wird, als sei das ein völlig normaler Vorgang. Das ist er nicht. Es ist das erste Eingeständnis einer Niederlage derjenigen, die mit aller Gewalt eine Änderung europäischer Finanzpolitik verhindern wollen.

Eines darf als sicher gelten, selbst wenn die Neigung zu Proporzentscheidungen innerhalb von EU-Gremien berücksichtigt wird. Wenn im Dezember 2017 bei der Wahl Centenos die gleichen erschreckenden oder noch schlimmere Werte bei Wachstum, Haushaltsdefizit, Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung usw. vorhanden gewesen wären, die Portugal vor dem effektiven Wirken der Linksregierung plagten, wäre die Wahl eines portugiesischen Finanzministers zum Euro-Gruppen-Chef gewiss nicht so geräuschlos vonstattengegangen.

Das Beispiel Portugal lässt sich nicht länger kleinreden

Die aktuellen Basisdaten der portugiesischen Nationalökonomie (mit Ausnahme der immer noch enorm hohen Staatsverschuldung) sind beeindruckend. Die Wachstumsrate betrug im vergangenen Jahr 2,5 Prozent – deutlich mehr als der EU-Durchschnitt und nach über minus 4 Prozent im Jahr 2012. Die Arbeitslosenquote lag letztes Jahr bei 9,7 Prozent – nach über 16 Prozent im Jahr 2013. Teile der Rettungskredite konnten vorfristig zurückgezahlt werden. Das Haushaltsdefizit konnte im dritten Jahr in Folge abgebaut werden und lag 2016 bei nur noch 2,0 Prozent – nach 12,4 Prozent im Jahr 2014, und das, obwohl seit 2015 die rigiden Sparauflagen nicht mehr befolgt wurden.

Einhaltung der Sparauflagen führte ins Chaos

Diese erstaunlichen Erfolge wurden nicht mit dem stoischen Spar-, Kürzungs- und Privatisierungsmantra von EU und IWF erreicht, sondern erst nachdem sich die Regierung in Lissabon entschloss, diesen Kurs ausdrücklich nicht mehr zu verfolgen. Prompt wurde sie von Politikern und Medien, gerade auch aus Deutschland, mit herablassender Kritik, Warnungen, Beschimpfungen und Häme überschüttet.

Einhaltung der Sparauflagen führte ins Chaos

Sowohl der damalige sozialdemokratische Regierungschef José Sócrates, der inzwischen wegen Korruptionsverdachts in Haft sitzt, als auch sein konservativer Nachfolger Pedro Passos Coelho befolgten alle Auflagen, die 2011 als Bedingung für Notkredite genannt wurden. Die Konservativen gingen dabei sogar noch gnadenloser vor als von den Geldgebern gefordert.

Die Ergebnisse waren verheerend. Das Wirtschaftswachstum brach von 1,9 Prozent im Jahr 2010 auf minus 1,8 Prozent im Jahr 2011 ein, gefolgt von minus 4 Prozent im Jahr 2012. Ein ähnliches Bild zeigte die Arbeitslosenquote, die sich von 2009 bis 2013 auf 16,1 Prozent fast verdoppelte.

Die Arbeitslosenquote unter jungen Portugiesen erreichte dabei mit mehr als 40 Prozent Größenordnungen, die anderswo zu Revolten führen würden. Von einer Gesundung der Staatsfinanzen konnte keine Rede sein, weil Steuereinnahmen wegbrachen. Die portugiesischen Staatsschulden wuchsen weiter. Doch die Verarmung großer Teile der portugiesischen Bevölkerung schien die Apologeten des Kaputtsparens nicht im Geringsten zu rühren.

Portugals Wähler entschieden sich für radikalen Wechsel

Sehr wohl aber die portugiesischen Wähler, die im Oktober 2015 „Schluss“ sagten und die Konservativen bei der Parlamentswahl demütigten. Diese hatten zuvor noch verzweifelt versucht, die Gunst der empörten Portugiesen wiederzugewinnen, indem das Land den Rettungsschirm der EU verließ und Lissabon erste Raten der Notkredite vorzeitig zurückzahlte.

Doch das konnte das Debakel der Konservativen und neoliberalen Vorbeter im Land nicht mehr aufhalten. Sie verteidigten ihre Position als stärkste Kraft, aber sie waren trotzdem erledigt. Denn ein Linksbündnis wurde aus dem Stand heraus wahrer Sieger der Wahl. Der Chef der portugiesischen Sozialisten, António Costa, weigerte sich, eine konservative Regierung zu unterstützen. Stattdessen verständigte er sich mit dem siegreichen Linksbündnis und der Kommunistischen Partei.

Die Verteidiger des Sparkurses in der EU waren entsetzt. Nach Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien drohte nun in einem dritten südlichen EU-Staat eine Erosion des bisherigen Parteiensystems, mit dem sich der neoliberale EU-Kurs bequem hatte durchwinken lassen. Prompt drohte Brüssel im Januar 2016 der neuen portugiesischen Regierung mit einem Defizitverfahren. Dieses wurde später allerdings sang- und klanglos beerdigt.

Linksregierung ignorierte Sparauflagen – IWF, EU und deutschen Medien protestieren

Die neue Linksregierung in Lissabon vollzog eine Kehrtwende. Die Kürzungsorgien der konservativen Regierung wurden abgemildert. Die Menschen hatten wieder mehr Geld und reanimierten so die Binnenkonjunktur. Kluge Steuergesetze, die den kleinen und mittelständischen Betrieben der Tourismusbranche nutzen, taten ein Übriges. Öffentliche Investitionen wurden wieder aufgenommen, der Einstellungsstopp im Staatsdienst gelockert, der Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur gestoppt.

Alles unter vehementer Kritik vor und nach der Wahl durch IWF, EU-Troika, und bundesdeutsche Medien. In der Süddeutschen Zeitung erschien beispielsweise eineinhalb Monate vor den Parlamentswahlen ein Artikel, der klang, als sei er in der Presseabteilung des IWF verfasst worden. Es wurde gemahnt, bloß nicht vom Sparkurs abzuweichen. „Andernfalls droht das Land in Stagnation zu verharren.“ Und geradezu beschwörend schrie es den Lesern entgegen: „Linke Gruppierungen, die das gesamte Gesellschafts- und Wirtschaftssystem umbauen möchten, haben dennoch bei der Wahl im Oktober wenig Chancen.“

Es kam anders. Das Land stagnierte nicht, und der Sieg des Linksbündnisses war auch eine schallende Ohrfeige für alle angeblich unparteiischen Medien. Nur ein Jahr später, im September 2016, veröffentlichte der IWF eine „Bewertung“, mit der die des Vorjahres ad absurdum geführt wurde. Der IWF teilte nun ungerührt mit, dass die Notkredite in Portugal nur „bedingten Erfolg“ gezeigt hätten.

Minderheitsregierungen funktionieren, wenn der Wille da ist

Ein vielleicht gerade für Deutschland lehrreicher Aspekt der jüngsten Erfolgsgeschichte der portugiesischen Linksregierung ist die Tatsache, dass sie eine Minderheitsregierung ist. Toleriert von Parteien, die keinen Hehl aus ihren höchst unterschiedlichen Grundüberzeugungen machen, aber ihre Befindlichkeiten zurückstellen, um dem Land zu dienen.

Es mag sein, dass Portugal den Vorteil hatte, dass nach dem Sieg des Linksbündnisses fast unmittelbar der Brexit-Schock folgte. Das veranlasste Brüssel zu einer gewissen Mäßigung, um EU-feindliche Stimmungen nicht mit einem mitleidlosen Kurs gegen eine verhasste Linksregierung in Lissabon anzuheizen, wie es zuvor gegen die linke Syriza-Regierung in Athen zelebriert wurde.

Portugal zeigt, woran Griechenland gehindert wurde

Vielleicht ist dieser Tage deshalb auch viel davon zu lesen, dass Portugal und Griechenland nicht miteinander zu vergleichen seien. Anderenfalls müssten die Verfechter der Sparpolitik zugeben, dass die Syriza-Regierung mit Drohungen und Erpressungen daran gehindert wurde, zu beweisen, was die portugiesische Linksregierung vormachte: Ein Land kann nicht vorankommen, wenn es kaputtgespart wird.

Es war übrigens wieder einmal der IWF, dessen damaliger Chefökonom Olivier Blanchard im Sommer 2015 im Fall Griechenland kleinlaut zugeben musste, dass die erbarmungslosen Spar- und Privatisierungsdiktate der EU nur einen Effekt hatten: „Die Finanzierung für Griechenland wurde benutzt, um ausländische Banken zu bezahlen.“

Portugal hat diesen Kreislauf des Irrsinns gestoppt und Beispielhaftes erreicht. Offen bleibt die Frage: Wann werden die EU und die Bundesregierung von ihren hohen Rössern herabsteigen und anerkennen, dass sie sich geirrt haben?"

Quelle: Sputnik (Deutschland)

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