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Iran-Experte Posch erwartet Schwenk zu autoritäreren Strukturen

Archivmeldung vom 26.06.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.06.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Auf den Straßen Teherans löst Friedhofsruhe die wütenden und blutigen Demonstrationen der jüngsten Tage ab. Das Regime von Mahmud Ahmadinedschad und des ihn stützenden Revolutionsführers Chamenei setzt die volle Staatsmacht zur Unterdrückung der Protestbewegung ein.

Die Hoffnung des Westens nach den ersten Tage nach der Präsidentenwahl, der Gottesstaat könnte sich schnell demokratisieren, verfliegt. Dr. Walter Posch analysiert die Lage im Iran für das österreichische Bundesheer. Er erwartet eine Stärkung autoritärer Strukturen, zulasten demokratischer Elemente.

Westliche Regierungen neigten dazu, Iran als einheitlichen Block wahrzunehmen. Entlarvt die Rebellion ihren Irrtum?

Dr. Walter Posch: Nein, nicht wirklich. Einerseits war die Spaltung in Reformisten und Neo-Fundamentalisten, die von Konservativen gestützt werden, schon immer bekannt. Und andererseits sehen wir jetzt ein Zentrieren des Regimes auf die neo-fundamentalistischen Kräfte, was gleichbedeutend mit einer Verarmung des politischen Spektrums in Iran ist.

Der Schwenk zu den Neo-Fundamentalisten wird mit Gewalt vollzogen. Reichen Tränengas, Prügeltrupps und Internet-Zensur, um die Rebellion niederzuhalten?

Dr. Posch: Ich glaube nicht, dass es sich in Iran schon um eine Rebellion handelt. Es ist vielmehr eine Bürgerbewegung im Entstehen. Prügel, Tränengas und andere Einschüchterungsmaßnahmen reichen natürlich nicht, um den Unmut zu unterdrücken. Deshalb wird das Regime dort ansetzen, wo es die größte Gefahr wittert. Es wird den Druck auf Hossein Mussawi und Mahdi Karrubi erhöhen, damit aus den unumstrittenen Sprechern der Bewegung keine Führer werden, die diese strukturieren und ihr Ziele geben können. Aktivisten aus der zweiten und dritten Reihe sind bereits überwiegend verhaftet worden. Ziel des Regimes ist, die Bewegung zu enthaupten, damit sie führerlos ausbrennt.

Verpufft die Bürgerbewegung als Jugendrevolte oder besteht noch die Möglichkeit, dass sie in eine Revolution mündet?

Dr. Posch: Das iranische Regime hat in fast allen Ebenen seines Machtapparates Menschen, die bereits eine Revolution durchgeführt haben. Die wissen folglich, was sie vermeiden müssen. Allerdings bleibt der Iran ein Stück unberechenbar. Doch nach den letzten Entwicklungen dürfte der Protest eher abebben. Weil das Regime mit einer Mischung aus Brutalität, Repression und Effizienz die Schwächen der noch in den Kinderschuhen steckenden Bürgerbewegung reagiert.

Das iranische Regierungssystem mischt theokratische und demokratische Elemente. Verschieben sich die Gewichte?

Dr. Posch: Ja, aber nicht unbedingt zugunsten der theokratischen Elemente. Es ist eher eine Stärkung der autoritären, nicht-klerikalen Machthaber zu verzeichnen. Indirekt wird damit der Apparat des Revolutionsführers und der vom Militär dominierte Nationale Sicherheitsrat gestärkt. Entsprechend wird das Parlament geschwächt. Dies muss nicht Niederschlag in einer Verfassungsänderung finden, doch in der Verfassungsrealität verblasst das demokratische Element.

Derzeit spielt der Wächterrat auf Zeit, will das endgültige Wahlergebnis erst am Wochenende präsentieren. Ein Zeichen für Uneinigkeit?

D. Posch: Nein, das erscheint mir eher ein taktisch-politisches Manöver zu sein. Nachdem Mohsen Resai als erster unterlegener Präsidentschaftskandidat seine Beschwerde gegen die Wahlergebnisse zurückgezogen hat, soll nun den anderen Kandidaten Zeit für einen Rückzieher gegeben werden. So könnten die Oppositionsführer von der Bürgerbewegung abgespalten werden.

Wie verlaufen die Konfliktlinien zwischen Revolutionswächtern, Mullahs, Händlerelite, Studenten?

Dr. Posch: Durch den Generationswechsel bei den Eliten sind radikalere Kriegsteilnehmer an die Macht gekommen. Ihren Durchbruch erlebten sie unter der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad. Zum zweiten verläuft ein Bruch im islamischen Lager -- zwischen den Reformisten auf der einen Seite und Neo-Fundamentalisten und einigen Konservativen auf der anderen. Die Reformisten wollen im Gottesstaat mehr Teilhabe für die Bevölkerung und mehr Rechtsstaatlichkeit -- eine Demokratisierung ohne ein Jota Abstriche am Glauben. Ihre Widersacher sehen dagegen im Staatsapparat vor allem ein Instrument zur Durchsetzung der wahren Ideologie. In diesem Punkt stehen die Reformisten in der Tradition Chomeinis, der eine breite Massenbasis anstrebte, während die Neo-Fundamentalisten eine elitäre Ideologie mit autoritären Mitteln durchzusetzen versuchen. Dieser Bruch vollzieht sich durch alle Ebenen des politisch-religiösen Milieus -- also auch im Beamtenapparat, bei den Revolutionsgarden, den Elitetruppen der islamischen Revolution, und den Basidschis, der paramilitärischen Miliz.

Revolutionsführer Chamenei hat die Rolle eines Mittlers zwischen den Interessengruppen aufgegeben und klar für Ahmadinedschad Partei ergriffen. Hat er sein Amt beschädigt?

Dr. Posch: Mit dieser eindeutigen Unterstützung eines Kandidaten hat er das Amt zumindest neu interpretiert. Kombiniert man dies mit der Aussage Ahmadindschads, der Iran stehe vor einer ganz neuen Ära, und den länger bekannten neo-fundamentalistischen Bestrebungen, den Iran in eine neue Herrschaftsform übergleiten zu lassen, scheint Iran tatsächlich vor einem Umbruch zu stehen. Das republikanische Element gerät unter Druck, das traditionell als Mittler auftretende geistige Oberhaupt wird zu einem polarisierenden Revolutionsführer.

Bremst dieser Umbruch Irans Aufstieg zur regionalen Vormacht?

Dr. Posch: Einerseits würde einem sich auf Gewalt stützenden, neofundamentalistischen Regime von den Nachbarn mit mehr Misstrauen begegnet. Anders sieht es beim Streitpunkt Atomprogramm aus: Gerade weil die Leute an der Macht bleiben, die 2003 bis 2005 die Atomverhandlungen hintertrieben haben, dürften die Chancen für eine Verhandlungslösung steigen. Ein Reformer-Präsident hätte größere Schwierigkeiten als Ahmadinedschad, Konzessionen innenpolitisch gegenüber den Extremisten auch durchzusetzen. Die arabischen Nachbarn stecken in einer Zwickmühle: Einerseits lehnen sie das Regime Ahmadinedschad in Teheran ab, anderseits fürchten sie, dass das persische Beispiel, sich alle paar Generationen der Herrscher über eine Revolution zu entledigen, Schule macht.

Demnach hätten sowohl Araber als auch die USA Interesse an einem stabilisierten Iran...

Dr. Posch: ...Allerdings aus unterschiedlichen Motiven. Die arabischen Autokraten wehren sich gegen die aus ihrer Sicht skandalöse Idee, dass man Regierungen abwählen kann. Die USA stecken in einem Dilemma: Sie bemühen sich ernsthaft um eine gütliche Einigung im Atomstreit, eingebettet in globale Abrüstung und eine grundsätzliche Lösung des Nahost-Konflikts. Innenpolitisch wäre es allerdings für Obama leichter, müsste er nicht mit einem Präsidenten verhandeln, dessen Image derart belastet ist wie das von Ahmadinedschad.

Hat der Westen in Iran noch Einflussmöglichkeiten?

Dr. Posch: Kaum. Die traditionellen Einflussmöglichkeiten über Geheimdienste oder Wirtschaftssanktionen hat die islamische Revolution ausgehebelt. Teheran hat bewiesen, dass es wirtschaftlichem Druck trotzen kann. Es gäbe zwar durchaus gemeinsame Interessen mit dem Westen, etwa in Afghanistan, dem Irak oder bei der Energieversorgung Europas. Doch genau in diesen Punkten sehen sich Irans Machthaber am längeren Hebel. Es kann für den Westen allerdings ohnehin nicht darum gehen, dem Iran seinen Willen aufzuzwingen. Nötig ist vielmehr eine in Verhandlungen erreichte Übereinkunft in den Kernfragen regionale Sicherheit, Atomkraft, Menschenrechte -- also im Wesentlichen die bisherige EU-Politik. Nur ist eine solche Übereinkunft jetzt sehr viel schwieriger geworden.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg

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