EU-Parlamentspräsident Schulz bringt Sonderwirtschaftszone für Griechenland ins Gespräch
Archivmeldung vom 01.09.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), will Griechenland mit Investitionsprogrammen und gleichzeitiger EU-Kontrolle vor dem Absturz bewahren: Kürzungen allein würden kein Wachstum bringen, sagte Schulz im "Spiegel"-Gespräch, "deshalb bin ich für eine Sonderwirtschaftszone in Griechenland".
Der SPD-Politiker fordert zudem den Aufbau einer "Wachstumsagentur", bei der europäische und griechische Beamte gemeinsam förderwürdige Projekte identifizieren. "Das ist ein Stück Kontrolle, aber auch gegenseitige Vertrauensbildung", so Schulz. Der griechische Staat müsse akzeptieren, dass EU-Beamte auf griechischem Boden Reformen umsetzen. "Aber die sind keine feindliche Besatzungsmacht, sondern Hilfsinstrument." Voraussetzung für die Sonderwirtschaftszone sei ein Bekenntnis zum Euro in Griechenland, eine Bereitschaft in Athen zu Reformen und Investitionszulagen für Unternehmen, die in Griechenland investieren.
Zugleich grenzt sich Schulz in der Europapolitik von der Bundes-SPD ab und erteilt der Diskussion um eine politische Union in Krisenzeiten eine Absage: "Das ist ein dramatischer Fehler", betonte der Parlamentspräsident. "Ich kann nicht akzeptieren, dass wir uns in der aktuellen Situation in Theorie-Debatten verlieren." Ein Umbau der Europäischen Union stehe im Moment nicht an. "Mir kommt das so vor, als säße man in einem Flugzeug, das sich in schweren Turbulenzen befindet, und im Cockpit wird über die Verbesserung der Motoren diskutiert."
Überdies zeigte sich Schulz skeptisch gegenüber der SPD-Forderung nach einer Volksabstimmung über Europa: "Referenden sind für die Europapolitik immer ein bedrohliches Szenario gewesen, weil Europapolitik kompliziert ist", erklärte Schulz. "Ich rate deshalb zu äußerster Vorsicht im Umgang mit Referenden. Auch in Deutschland."
Rösler lehnt Zahlungsaufschub für Griechenland strikt ab
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hat einen Zahlungsaufschub für Griechenland entschieden abgelehnt. "Mehr Zeit kostet mehr Geld, das ist nicht machbar", sagte Rösler der "Welt am Sonntag" (2. September 2012). "Rabatte auf Reformen kann es nicht geben. Die Verpflichtungen, die Griechenland zugesagt hat, müssen eingehalten werden."
Zuvor hatte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier einen solchen Aufschub angeregt. Rösler wies darauf hin, dass es Athen nicht nur um die im Wahlkampf verlorene Zeit von einigen Wochen gehe. "Athen will eine Streckung bei der Umsetzung der Vereinbarungen über zwei Jahre. Das würde das Liquiditätsproblem verschärfen", sagte der FDP-Vorsitzende.
Der Wirtschaftsminister verteidigte außerdem seine Aussage, ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone habe seinen Schrecken verloren. "Ich habe die Fakten benannt - wie später auch Eurogruppenchef Juncker", sagte Rösler. Die Euro-Zone sei durch die Rettungsschirme und den Fiskalpakt heute besser aufgestellt als noch vor zwei Jahren. "Wenn ein Land die Reformpolitik umsetzt, ist es auf einem guten Weg - siehe Portugal oder Irland. Natürlich wäre ein Verbleib Griechenlands im Euroraum wünschenswert, aber wenn es die Zusagen nicht umsetzt, kann es kein weiteres Geld bekommen", unterstrich Rösler. Glaubwürdigkeit für den Euro sei nur zu schaffen, wenn sich alle an die Regeln und Vereinbarungen hielten.
Meinungsverschiedenheiten mit Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) in dieser Frage stritt Rösler ab. "Guido Westerwelle und ich kämpfen miteinander für ein starkes, gemeinsames Europa mit einer stabilen Währung. Das ist uns beiden eine Herzensangelegenheit - anders als offenbar bei Teilen der CSU", so Rösler mit Blick auf die scharfe Kritik des bayerischen Koalitionspartners an Griechenland. Westerwelle und er hätten übereinstimmende Überzeugungen in der Außen- und Wirtschaftspolitik. "Wir arbeiten reibungslos zusammen, zwischenmenschlich und in der Sache", sagte Rösler und lobte: "Wir haben einen hervorragenden Außenminister."
Steinmeier rät Merkel zu Griechenland-Besuch
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Staatsbesuch in Griechenland nahegelegt. "Weder ist die deutsche Bundeskanzlerin in Athen gewesen noch haben andere europäische Regierungschefs die Notwendigkeit gesehen, Griechenland zu besuchen", sagte Steinmeier der "Welt am Sonntag". "Das ist - bei allen selbst verschuldeten Schwierigkeiten der Griechen - eine beschämende Entwicklung." Er hätte sich vor einigen Jahren noch nicht vorstellen können, "dass ein Land in der Krise komplett isoliert wird". Es sei erschreckend, wie in Europa übereinander gesprochen werde, kritisierte Steinmeier. "Die Sprache ist wieder geprägt von Abfälligkeiten und Ressentiments."
Der frühere Außenminister nannte es unverantwortlich, dass Politiker von CSU und FDP "nicht mehr ökonomisch argumentieren, sondern die Griechenland-Debatte für den heimischen Stammtisch instrumentalisieren". Steinmeier brachte zugleich einen Zahlungsaufschub für Griechenland ins Gespräch. Wenn das dritte Sparprogramm belastbar sei und die Mehrheit in Griechenland dahinter stehe, solle die Politik prüfen, ob mit einem Zahlungsaufschub "die Rückzahlung von Schulden wahrscheinlicher wird oder nicht", sagte er. Das geliehene Geld dürfe nicht "durch Entfernung Griechenlands aus dem Euro gedankenlos in den Wind" geschrieben werden.
Bayer-Chef spricht sich für Euro-Austritt Griechenlands aus
Bayer-Chef Marijn Dekkers hält einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone für sinnvoll und besser für alle Beteiligten. "Mit eigener Währung hätte das Land vielleicht mehr Chancen, aus der tiefen Rezession zu kommen", sagte Dekkers der "Rheinischen Post". Wichtig sei aber, dass ein Domino-Effekt vermieden werde, der auch Spanien und Portugal erfassen könnte. "Wenn der Euro-Zone künftig weniger als 17 Länder angehören, wäre das nicht wirklich schlimm. Entscheidend ist, dass Länder - wenn unvermeidlich - nacheinander und kontrolliert ausscheiden." Bayer macht laut Dekkers weniger als 0,5 Prozent seines Umsatzes in Griechenland. "Wir wären also kaum betroffen, falls das Land aus dem Euro ausscheiden würde." Bayer habe aber allerdings schon hohe Außenstände, weil die Zahlungsmoral dort zu wünschen übrig lasse. "Wir liefern trotzdem unsere Medikamente - die Krise soll nicht auf dem Rücken der griechischen Bürger ausgetragen werden."
Quelle: dts Nachrichtenagentur