Ökonom: Spanien-Hilfe bringt Euro-Retter in Bedrängnis
Archivmeldung vom 14.06.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDem deutschen Steuerzahler droht ein beträchtlich höheres Risiko bei der Rettung der Währungsunion, wenn Spanien ganz unter den europäischen Rettungsschirm EFSF schlüpfen muss: Dessen Regeln sehen vor, dass ein Land dann als Garantiegeber aus dem Fonds aussteigt, wenn es selbst ein sogenanntes Programmland wird, also Hilfsempfänger wie Griechenland, Irland und Portugal.
Nach einer Berechnung des Pariser Spitzenökonomen Eric Dor, die der Tageszeitung "Die Welt" vorliegt, würde Deutschland dann für genau ein Drittel der künftigen Garantien des Fonds aufkommen müssen. Heute sind es 29 Prozent - der Sprung um vier Prozentpunkte ist gewaltig. Bei einer geschätzten EFSF-Gesamtgarantiesumme von 630 Milliarden Euro wäre die deutsche Obergrenze von 211 Milliarden Euro dann schneller erreicht.
So lange die Kreditkonditionen mit Spanien nicht klar verabredet sind, so lange die verabredeten Milliardenhilfen für den Bankensektor wirken und nicht den spanischen Staat selbst weiter in den Abgrund ziehen, so lange ist dies nur ein Szenario. Ein bedrohliches allerdings: Die Lasten für neue Hilfszusagen des Rettungsschirms EFSF lägen dann zu 80 Prozent bei nur drei Ländern: Deutschland, Frankreich und Italien. Die beiden letzteren davon haben das Spitzenrating für ihre Kreditwürdigkeit bereits verloren.
Die Folgen beschreibt Dor, Forschungsdirektor an der französischen Managementhochschule IESEG, nüchtern: "Die Glaubwürdigkeit der Garantien für Anleihen der EFSF würde kollabieren." Die Hilfszusage der Euro-Gruppe vom Wochenende gilt für eine Kreditlinie, die Spanien an seine Banken weiterreichen kann und sieht kein den Fällen Irland oder Portugal vergleichbares "Anpassungsprogramm" vor. Das Szenario, dass es bald dennoch so weit kommt, ist so unwahrscheinlich aber nicht. Das zeigt der Wochenbeginn an den Anleihemärkten. Investoren meiden Spaniens Schuldtitel und verlangen dem Land höhere Risikoprämien ab als vor dem Hilferuf. Das macht Spanien die Refinanzierung seiner Schulden schwer. Die Zinsen , die Madrid Investoren bieten muss, könnten angesichts der steigenden Verschuldung schnell "auf ein Niveau steigen, das sich das Land nicht leisten kann", stellt Ökonom Dor fest. "Das Land wäre gezwungen, einen gewöhnlichen Hilfsantrag an den EFSF zu stellen", der neue Sparauflagen mit sich brächte. "In diesem Szenario würde Spanien natürlich aus dem Garantieschema aussteigen wollen." Zudem schlügen die Kredite - 100 Milliarden Euro hat die Euro-Zone Madrid in Aussicht gestellt - nach den geltenden EU-Regeln auf die spanische Verschuldung. Sie stiege um zehn Prozentpunkte vom Bruttoinlandsprodukt (BIP), das bei einer etwa einer Billion Euro liegt, wenn die Hilfen ganz abgerufen würden. Die EU-Kommission sieht Spaniens Schuldenstand für 2012 bei 80 Prozent des BIP. Wenn es die Kredite ganz abruft, käme das Land nah an die Grenze von 90 Prozent - und die spanische Argumentation, die Staatsfinanzen seien gesund, nur der Bankensektor kränkle, käme noch mehr ins Wanken als ohnehin.
Goldman-Sachs-Chefökonom fordert Schonfrist für Krisenländer
Angesichts der sich zuspitzenden Krise in der Euro-Zone fordert die Investmentbank Goldman Sachs die Europäer auf, die Auflagen für die Krisenländer zu lockern. In der jetzigen Situation helfe kurzfristig nur "eine Lockerung der Geldpolitik sowie der Sparvorgaben", sagte Goldman-Sachs-Chefvolkswirt Jan Hatzius der Wochenzeitung "Die Zeit". Die von der Bundesregierung präferierten Strukturreformen hätten allenfalls langfristig positive Effekte, so Hatzius. Damit die Krisenländer zu günstigen Konditionen an frische Kredite kommen, sei es notwendig, "zumindest für einen Teil der Schulden gemeinsam zu haften", sagte er. "Das ist mittlerweile herrschende Meinung, auch wenn es verschiedene Modelle gibt, dies zu organisieren."
Zudem müssten sich die Deutschen an Inflationsraten von bis zu vier Prozent gewöhnen, wenn die Krise beendet werden soll. "Je weniger Inflation, desto schwieriger wird es, von den Schulden herunterzukommen", sagte Hatzius. Eine Teuerungsrate von knapp zwei Prozent im Euro-Raum insgesamt, wie sie die Europäische Zentralbank anpeile, sei das absolute Minimum. "Dann müssten die Preise in Deutschland allerdings um drei bis vier Prozent pro Jahr steigen, um den Rückgang der Inflation in den Krisenländern auszugleichen."
Grüne fordern gemeinsamen Schuldentilgungsfonds der Euro-Staaten
Die Grünen haben die Bundesregierung aufgefordert, ihren Widerstand gegen einen gemeinsamen Altschuldentilgungsfonds der Euro-Staaten aufzugeben. "Wir halten einen Altschuldentilgungsfonds für dringend erforderlich, um den Zinsdruck zu senken, dem einige Länder ausgesetzt sind. An dieser Stelle hat sich die Regierung bislang kein Stück bewegt und schiebt rechtliche Bedenken vor", sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast der "Rheinischen Post".
Der Altschuldentilgungsfonds folgt einem Vorschlag des Wirtschafts-Sachverständigenrats. Demnach sollen die Euro-Staaten einen Teil ihrer Schulden in einen gemeinsamen Fonds geben, um sie innerhalb von 25 Jahren abzubauen. Die Bundesregierung lehnt diese Form der gemeinschaftlichen Haftung bislang ab. "Um die Krise wirklich anzupacken, genügt Sparen alleine nicht", betonte Künast. Zusätzlich werde daher "ein umfassendes ökologisch-soziales Investitionspaket" gebraucht. Die Bundesregierung müsse auch ihre Blockade gegen die EU-Energieeffizienzrichtlinie aufgeben. Künast äußerte sich vor den weiteren Verhandlungen über den Fiskalpakt zwischen Regierung und Opposition am heutigen Mittwoch in Berlin.
Schäuble gegen Schuldentilgungsfonds für Euro-Staaten
Die Bundesregierung hält nichts von den Plänen der Opposition, einen Schuldentilgungsfonds für die Euro-Staaten einzurichten. In einem Interview mit dem Magazin "Stern" lehnte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) das Vorhaben ab. "Dieser Fonds ist derzeit nicht machbar, weil er gegen die europäischen Verträge verstößt, etwa gegen die No-Bail-Out-Regelung, wonach die Länder nicht für die Schulden anderer Länder haften", sagte Schäuble. Er verwies darauf, dass ein solcher Fonds zu Fehlanreizen führen würde. "Ohne eine gemeinsame Fiskalpolitik können Sie die Haftung nicht vergemeinschaften. Sonst könnte ein Land auf Kosten anderer Länder Schulden machen. Das geht nicht. Wer zahlt, muss auch entscheiden", sagte Schäuble. "Selbst meine schwäbischen Landsleute sind sparsam nur im Umgang mit dem eigenen Geld".
Von den anstehenden Wahlen in Griechenland erwartet der Finanzminister keine großen Veränderungen. Die Griechen seien zwar "frei zu wählen, was sie wollen", sagte er. "An der realen Situation des Landes, das durch jahrzehntelange Fehlwirtschaft in einer schmerzhaften Krise ist, ändert ein wie auch immer geartetes Wahlergebnis nichts. Sie müssen harte Maßnahmen ergreifen." Schäuble verwies darauf, dass es in "Krisen selten fair" zugehe. "Der kleine Mann leidet und die Reicheren haben ihre Schäfchen ins Trockene gebracht", sagte Schäuble. Er habe "wirklich großes Mitleid mit dem Mann auf der Straße in Griechenland", sagte er. "Aber ich kann`s ihm nicht ersparen. Es ist nicht einfach, in Griechenland den Mindestlohn zu kürzen, wenn man an die vielen Yachtbesitzer denkt. Aber der griechische Mindestlohn sinkt gerade mal auf das Niveau des spanischen. Wenn das Land wieder wettbewerbsfähig werden soll, muss er sinken.", sagte Schäuble.
Besteller-Autor Stéphane Hessel fordert von Deutschland mehr Einsatz für Griechenland
Der deutsch-französische Schriftsteller Stéphane Hessel ("Empört euch") findet, dass sich Deutschland nicht genügend für die Rettung Griechenlands einsetzt. Er finde die Empörung der Griechen über das angebliche deutsche "Spardiktat" "leider ganz natürlich", sagte Hessel "Welt Online". "Was hat Europa schon für Griechenland getan? Es hat ihm geholfen, seine Schulden abzubezahlen. Aber es hat ihm nicht geholfen, seine Armen reicher zu machen." Gerade "ein so reiches Land wie Deutschland" müsse "mehr dazu beitragen, als es das augenblicklich tut".
In der Politik sieht der 94-jährige Hessel nur noch wenig Vorbilder. "Auf europäischer Seite sehe ich da niemanden. Es gab Leute wie Jacques Delors, Mitterrand, Willy Brandt, für die ich große Bewunderung hatte. Aber heute ist da niemand", sagte Hessel. "Der Einzige, den ich noch sehr wichtig finde, ist Dany Cohn-Bendit."
EU-Parlamentspräsident Schulz: Regierungschefs eiern seit zwei Jahren nur herum
Der Präsident des Europäischen Parlaments, der deutsche SPD-Politiker Martin Schulz, hat den EU-Regierungschefs vorgeworfen, sie irrten seit zwei Jahren von Gipfel zu Gipfel und trotzdem werde die Krise immer schlimmer. In einem Interview mit der "Leipziger Volkszeitung" sagte Schulz: "Seit nunmehr zwei Jahren eiern die EU-Regierungschefs von Gipfel zu Gipfel, ohne dass sich die Situation verbessert. Wir rutschen eher immer tiefer in die Krise. Deshalb ist es in Ordnung, wenn sich die Bundesregierung nun korrigieren muss, weil sie die Hilfe der Opposition braucht und weil sie ein anderes Gegenüber in Paris hat."
Schulz bezog sich dabei auch auf das bevorstehende Treffen der SPD-Kanzlerkandidaten-Troika mit dem linken französischen Staatspräsidenten Francois Hollande an diesem Mittwoch in Paris. "Ich halte die Zusammenarbeit von Parteien über die Grenzen hinweg für völlig normal. Das ist europäische Innenpolitik. Wenn es überdies dazu führt, dass in Europa endlich die notwendigen Entscheidungen getroffen werden, ist das gut für uns alle." Es sei klar, dass gerade in den Ländern, die über ihre Verhältnisse gelebt hätten, gespart werden müsse. "Aber die ausschließliche Fixung darauf funktioniert nicht. Zu Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen muss Wachstum hinzukommen", verlangte Schulz. Denn ohne Wachstum würden die betroffenen Staaten nicht aus dem Schlamassel heraus kommen. Länder mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit seien "ein soziales Pulverfass", kritisierte Schulz. "Wenn Menschen keine Hoffnung haben, dass es besser werden kann und dass sich ihre Sparanstrengungen lohnen, wird`s gefährlich." Wenn sich nun die ideologischen Blockaden von einigen Regierungschefs auflösten "und sie endlich das Notwendige tun, kriegen wir das in Europa aber wieder hin", sagte Schulz mit Blick auf die neue deutsche Regierungshaltung zur Finanztransaktionssteuer.
Scharfe Kritik übte Schulz erneut an der Anregung der deutschen Bundeskanzlerin, mitten in der Krise eine neue Verfassungsdebatte über die politische EU zu beginnen. Er unterstelle niemandem schlechte Absichten. Aber wer Mitten in der Krise eine Verfassungsdebatte beginne, müsse sich fragen lassen, ob das jetzt klug sei. "Auch in einer Wirtschaftskrise dürfen Parlamente nicht einfach beiseite geschoben werden, wie das gerade versucht wird", sagte Schulz. "Eine marktkonforme Demokratie halte ich für falsch - wir brauchen einen demokratiekonformen Markt. Sonst zertrümmern wir unsere Demokratie."
Quelle: dts Nachrichtenagentur