Was kann Russland vom "ukrainischen Friedensgipfel" in Saudi-Arabien erwarten?
Archivmeldung vom 09.08.2023
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.08.2023 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićFalsche Hoffnungen oder ein echter Ausweg? Am Wochenende gab es einen "ukrainischen Friedensgipfel" im saudi-arabischen Dschidda. Experten äußern ihre Meinung über Ziele und mögliche Folgen der Ergebnisse beim großen Ukraine-Treffen. Dies berichtet das Magazin "RT DE".
Weiter berichtet RT DE: "In Brüssel, Washington und Kiew werden die Bemühungen forciert, die internationale Unterstützung für einen ukrainischen Plan hypothetischer Friedensgespräche mit Russland zu konsolidieren. Am vergangenen Sonntag fand im saudi-arabischen Dschidda ein internationales Treffen von rund 40 Staaten statt, um diesen Prozess zu erörtern. Neben Ländern wie Indonesien, Ägypten, Mexiko, Chile und Sambia nahmen auch die größten Staaten des "globalen Südens" – Indien und Brasilien – daran teil, die sich nicht an Sanktionen gegen Russland beteiligen. Anders als bei einem ähnlichen Treffen im vergangenen Juni in Kopenhagen, reiste diesmal auch ein Vertreter aus der Volksrepublik China an.
Die Tatsache, dass dies das zweite derartige Treffen zu einer ukrainischen "Friedensformel" war, zeigt, dass es in der internationalen Gemeinschaft keine bedingungslose Unterstützung für den ukrainischen Plan gibt und Kiew wohl Kompromisse eingehen muss. Russland hingegen wurde zu dieser Konferenz nicht eingeladen. Dies bedeutet, dass eine gemeinsame internationale Position ohne die Beteiligung Moskaus gebildet werden könnte. Russland würde sich in diesem Fall mit den Konsequenzen konfrontiert sehen. RT hat bei russischen Experten nachgefragt, die darüber spekulieren, was dies im Endeffekt bedeuten könnte.
Iwan Timofejew, Programmdirektor des Waldai-Klubs und Generaldirektor des russischen Rates für internationale Angelegenheiten:
"Ich stehe dieser saudischen Initiative skeptisch gegenüber, da es unwahrscheinlich ist, dass ein Friedensplan, der ohne Russland besprochen wird, von Moskau akzeptiert wird. Es scheint, dass dies ein weiterer Versuch des Westens ist, eine Situation zu schaffen, in der sich nichtwestliche Länder nicht mehr aus einer Position der Neutralität und Unparteilichkeit heraus äußern, sondern sich stattdessen direkt oder indirekt an der Position des Westens orientieren. Wenn wir die Situation aus der Sicht nichtwestlicher Staaten betrachten, so könnte für diese Länder die Teilnahme an dieser Konferenz ein Weg sein, ihren außenpolitischen Status zu diversifizieren. Sie können damit zeigen, dass sie sowohl auf westlichen als auch auf nichtwestlichen Plattformen agieren können und dass sie Handlungsspielraum besitzen.
Die Ukraine-Krise wurde nicht nur durch die russisch-ukrainischen Beziehungen und Widersprüche verursacht, sondern auch durch Widersprüche in der Sicherheitspolitik zwischen Moskau und dem kollektiven Westen. Und ohne die Beilegung dieser Widersprüche ist eine nachhaltige Lösung in der Ukraine-Frage kaum zu erwarten.
Aber auch in der Ukraine selbst gibt es eine Reihe von Problemen, die in Russland kritisch wahrgenommen werden. Dazu gehören derzeit insbesondere die Rechte der Christen und der Versuch, die orthodoxe Kirche zu spalten, der zunehmend an Dynamik gewinnt und mit der Beschlagnahme von Kircheneigentum und der Verfolgung von Gläubigen einhergeht. Erst vergangene Woche hat das russische Außenministerium einen recht detaillierten Bericht dazu veröffentlicht.
Die mit der Ukraine-Krise verbundenen Probleme beschränken sich nicht nur auf die friedliche Lösung des Konflikts selbst. Es handelt sich um ein umfassenderes Bild der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, der Menschenrechtslage in der Ukraine selbst und insbesondere der Probleme, auf die Moskau aufmerksam macht."
Dr. Alexei Gromyko, Direktor des Europainstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften:
"Ich gehe davon aus, dass das Format der Verhandlungen in Saudi-Arabien von vornherein weder eine Beteiligung Russlands noch eine Einladung Moskaus vorsah. Es ging hier um zwei Dinge: einerseits darum, die Friedensbemühungen des globalen Südens im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise zu konsolidieren und andererseits darum, gezielt mit der Ukraine und deren Unterstützern zusammenzuarbeiten. Grundsätzlich ist klar, dass Kiew und nicht Moskau für einen Waffenstillstand und eine eventuelle Friedenslösung von entscheidender Bedeutung ist. Jeder weiß, dass es die Ukrainer waren, die sich im April 2022 aus den Friedens-Verhandlungen zurückgezogen haben, nicht die Russen. Und seitdem hat Russland immer wieder seine Offenheit für pragmatische Verhandlungen signalisiert, während Kiew von der Rückgabe aller seiner ehemaligen Gebiete träumt, einschließlich der Krim.
Falls diese saudische Initiative Früchte tragen sollte, könnte Russland wahrscheinlich später mit einsteigen. Voraussetzung für die Erfolgsaussichten Saudi-Arabiens bei diesem Unterfangen sind jedoch eine "stille Diplomatie" und vollständige Vertraulichkeit. Wenn sich herausstellt, dass Kiew und der Westen diese Initiative nur für eine weitere politische Show nutzen, wird sie keine Sinnhaftigkeit mit sich bringen."
Politikexperte Andrei Dubnow:
"Das Ziel der Konferenz bestand nicht darin, für alle Parteien akzeptable Vereinbarungen zu treffen. Russland wurde zu dieser Veranstaltung nicht eingeladen, und das ergibt Sinn, denn sonst wäre das Treffen von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Es ist jedoch offensichtlich, dass Moskaus Position artikuliert wurde. Das letzte Mal wurde diese auf dem Russland-Afrika-Gipfel zum Ausdruck gebracht.
Moskaus Hauptposition ist im Wesentlichen eine Vereinbarung, die man als Waffenstillstand bezeichnen kann und die auf der Beibehaltung der ehemals ukrainischen Gebiete durch Russland basiert, die nun in vier russische Regionen unterteilt sind. Es ist schwer vorstellbar, dass Moskau bereit ist, diese Regionen als seine wichtigste Verhandlungsposition aufzugeben. Andererseits wird Kiews Haltung zum Frieden so artikuliert, dass ein solcher nur dann möglich sei, wenn Russland seine Truppen an die Grenzen von 1991 zurückzieht. Mit einer solchen Position der Maximalforderung Kiews wäre ein Treffen zu Verhandlungen völlig sinnlos.
Was war der Zweck der Konferenz in Saudi-Arabien? Da diese Initiative hauptsächlich durch die Ukraine inspiriert und von den USA unterstützt wurde, geht es nun um die Konsolidierung der Positionen im Rest der Welt – nicht nur im Westen, sondern auch in den Ländern des globalen Südens, einschließlich der BRICS-Mitgliedstaaten Indien, Brasilien und Südafrika. Es ist ein Versuch, eine konsolidierte Unterstützung für die ukrainische Friedensformel zu finden. Innerhalb dieser "Formel der Unterstützung" gibt es einige Grenzen hinsichtlich der Flexibilität der Verhandlungsposition Kiews: Unter welchen Bedingungen ist die ukrainische Seite bereit, seine kategorische Forderung nach einer Rückkehr zu den Grenzen von 1991 aufzugeben und einen Kompromiss mit Russland einzugehen? Die Klärung dieser Art von Flexibilität könnte eines der übergeordneten Ziele dieser Konferenz gewesen sein.
Doch die Praxis zeigt, dass solche diplomatischen Konferenzen in erster Linie wie breit angelegte PR-Kampagnen daherkommen. Diplomatie braucht Diskretion und Vertraulichkeit. Die saudische Initiative sieht jedoch eine solche Diskretion und Vertraulichkeit noch nicht vor. Es handelte sich also eher um ein politisches Zusammentreffen und weniger um ein Treffen für die Suche nach einer diplomatischen Lösung des Problems.
Die Friedensformel vom Präsidenten Wladimir Selenskij wird im Mittelpunkt der saudischen Initiative gestanden haben. In diesem Rahmen wurde versucht, irgendwie akzeptable Fenster der Opportunität zu finden, in denen Kiew – ich wiederhole – zu weiteren Kompromissen mit Moskau bereit sein wird. Aber am Ende wird alles vom Ausgang der militärischen Operationen vor Ort abhängen, die weiterhin aktiv vorangetrieben werden. Zudem kann ohne die Beteiligung Chinas kein Friedensplan für die Ukraine realisiert werden. Das Treffen in Saudi-Arabien könnte ein Vorläufer für einen Plan zur Finanz- und Wirtschaftshilfe beim Wiederaufbau der Ukraine sein. Genauso begann vor vielen Jahren auf der Bonner Konferenz die Hilfe für Afghanistan."
Andrei Susdalzew, Politikexperte, außerordentlicher Professor der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Wirtschaftshochschule Moskau:
"Die saudische Initiative war der zweite Versuch zur Lösung der Ukraine-Krise. Die erste fand im Frühsommer in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen statt. Diese lief nicht besonders erfolgreich, da es den Organisatoren nicht gelang, hochrangige Vertreter miteinzubeziehen – insbesondere aus den BRICS-Staaten. An den Gesprächen nahmen jeweils stellvertretende Außenminister und andere nicht hochrangige Staatsbeamte teil. Diesmal wollte man eine Konferenz mit hochrangigen Vertretern, insbesondere unter jenen aus Indien. Aus diesem Grund hat man sich als Austragungsort für Saudi-Arabien entschieden, das eine enge Zusammenarbeit mit Neu-Delhi pflegt. Man wollte auch die Erfahrungen der anderen großen Staaten nutzen.
All dies fand statt, weil festgestellt wurde, dass es auf unserem Planeten mehrere Machtzentren gibt und dass die Welt multipolar geworden ist. Die zuvor existierende unipolare Welt war etwas unvollständig, aber sie existierte. Jetzt beginnt sie jedoch auseinanderzufallen. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind die Ereignisse beim russisch-georgischen Krieg im Jahr 2008, bei dem der Westen reagierte, als es bereits zu spät war. Als der französische Präsident Nicolas Sarkozy eingriff, kam der Konflikt zum Stillstand, während Russland in der Folge nicht einmal ernsthaft mit Sanktionen belegt wurde. Als die Krim 2014 zu Russland zurückkehrte, konnte der Westen nichts dagegen tun und zeigte damit bereits deutlich, dass die unipolare Welt zum Scheitern verurteilt war und das System zusammenzubrechen begann.
Wenn das System der internationalen Beziehungen zusammenbricht, äußert sich das in drei Aspekten. Der erste Aspekt ist der Verlust verschiedener Kontakte, Kontakttraditionen und Diskussionstraditionen auf Experten- und Diplomatenebene. Dies zeigt sich nicht nur in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, sondern auch in jenen zwischen China und den USA in Bezug auf Taiwan sowie in den angespannten Beziehungen der meisten afrikanischen Länder zu den USA und zu Westeuropa. Über Jahrzehnte aufgebaute Kontakte und Beziehungen beginnen sich aufzulösen.
Der zweite Aspekt ist, dass internationale Organisationen dysfunktional werden, an Respekt verlieren und ignoriert werden. In den 1950er und 1960er Jahren galten Entscheidungen der Vereinten Nationen in einer bipolaren Welt fast als Gesetz. Als die Welt jedoch unipolar wurde, machte dies die größten internationalen Organisationen überflüssig, da alle Entscheidungen in Washington gefällt wurden. Der dritte Aspekt ist die Aufhebung des Völkerrechts, bei der viele Vereinbarungen ihre Gültigkeit verlieren – wenn auch nicht alle.
Diese drei Aspekte zeigen, dass sich das globale System verändert, und der russische Militäreinsatz in der Ukraine war der Wendepunkt. Die USA und die Europäische Union wollen diesen Veränderungsprozess stoppen, indem sie versuchen, die anderen Pole im neuen globalen System – darunter China und Indien – dazu zu bringen, den Westen zu unterstützen, sich auf die westliche Position zu stellen und an der Seite der Ukraine zu stehen. Dabei wird jedoch keine Gleichheit angeboten. Bei den vorgeschlagenen Verhandlungen handelt es sich um Gespräche im Format der traditionellen unipolaren Welt, die lediglich Koalitionen anbieten kann. Diese Konferenz wurde abgehalten mit dem Ziel, Afrika und Indien dazu zu bringen, sich auf die Seite des Westens gegen Russland zu stellen."
Übersetzt aus dem Englischen"
Quelle: RT DE