USA verlieren international ihr Monopol als Großmacht
Archivmeldung vom 03.06.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Mehrheit der Deutschen sieht das eigene Land weder heute noch in Zukunft als globale Macht. Gleichzeitig glauben sie aber, dass die EU in Zukunft diese Rolle einnehmen wird und sprechen sich mehrheitlich für eine multilaterale Weltordnung unter Führung der UNO aus. Dies ist das Ergebnis einer weltweiten, repräsentativen Studie der Bertelsmann Stiftung.
Danach betrachten gegenwärtig 40 Prozent der befragten Deutschen das eigene Land
als Weltmacht, ebenso viele sehen diesen Status für Deutschland auch in den
nächsten 15 Jahren gegeben. Unangefochtener Global Player Nummer 1 aus deutscher
Sicht sind aber heute die USA. 90 Prozent der Deutschen teilen diese
Einschätzung. An zweiter Stelle wird mit 75 Prozent die EU genannt. Es folgen
China mit 68 Prozent, die UNO mit 66 Prozent, Japan mit 57 Prozent und Russland
mit 50 Prozent.
Für das Jahr 2020 erwarten die Deutschen nur eine leichte
Verschiebung zugunsten von China. Dann sehen nur noch 82 Prozent von ihnen die
USA als Weltligisten, dicht gefolgt von China mit 75 Prozent. Die Bedeutung von
EU, UNO, Japan und Russland wird gleich bleibend geschätzt.
Die
weltweite Erhebung der Bertelsmann Stiftung, bei der insgesamt über 10.000
Menschen befragt wurden, zeigt eine deutliche Abweichung der deutschen
Einschätzung über die Bedeutung der Weltmächte von den Befragten in den meisten
anderen Ländern. Denn im internationalen Durchschnitt wird die Bewertung der EU
als globalem Akteur von nur 32 Prozent der Befragten geteilt. Auch im Jahr 2020
sehen nur 30 Prozent die EU als weltpolitischen Akteur. Vergleichsweise hohe
Werte erzielt die EU dabei noch in den USA, Russland und Japan. Keine
Weltmachtchancen geben ihr dagegen Chinesen, Inder oder Brasilianer. Deutschland
selbst sehen im Durchschnitt nur 26 Prozent als Weltmacht mit abnehmender
Tendenz, wobei es die höchsten Werte noch bei den Befragten in Großbritannien
und Russland erzielt.
Als wirkliche Weltmächte werden heute
international die USA mit 81 Prozent angesehen, gefolgt von China (45 Prozent),
Japan (37 Prozent) und Großbritannien (32 Prozent). Für das Jahr 2020 erwarten
nur noch 57 Prozent die USA als Weltmacht, aber 55 Prozent auch China, gefolgt
von Japan (32 Prozent), Russland (26 Prozent) und Indien (24 Prozent). Die UNO
schätzen im Unterschied zu den Deutschen international nur 26 Prozent der
Befragten als Global Player ein, im Jahr 2020 sogar nur noch 21
Prozent.
Befragt nach den notwendigen Eigenschaften einer Weltmacht
nennen die meisten Menschen politische Stabilität, wirtschaftliche Stärke sowie
leistungsfähige Bildung und Forschung. Militärische Stärke ist für die Mehrheit
als Machtfaktor immer weniger bedeutsam. Diese Eigenschaft weltweit wird nur
noch von 20 Prozent der Befragten als wichtig eingeschätzt. In Deutschland fällt
dieser Wert mit sieben Prozent am geringsten aus. Als wichtigste Herausforderung
der Großmächte gelten der Internationale Terrorismus, Armut und Klimawandel.
Die Mehrheit der Bevölkerung in den wichtigsten Staaten der Erde
erwartet zudem offensichtlich in Zukunft keine gemeinsame Weltagenda. Sie gehen
vielmehr von einer multipolaren Weltordnung ohne einen gemeinsamen
Ordnungsrahmen aus. Und obwohl sich viele Menschen von der UNO zukünftig eine
größere Rolle wünschen, wird sie als zentrale Ordnungsmacht nur auf dem
siebenten Platz gesetzt. Eine wichtigere Rolle bei der Friedenssicherung und
der Stabilität in der Welt wird zukünftig weltweit vor allem von den USA (55
Prozent) erwartet. 38 Prozent erwarten diese Aufgabe von der UNO. In Deutschland
wünschen sich dies dagegen 83 Prozent.
Gefragt nach dem geeigneten
Ordnungsmodell, in dem sich Frieden und Stabilität in der Welt am besten
verwirklichen lassen, nennen 68 Prozent der Deutschen die UNO. Im weltweiten
Durchschnitt sagen dies mit 42 Prozent aber weniger als die Hälfte. In Indien,
Japan, Russland und den USA meint dies sogar nur jeder Dritte. Mit Ausnahme der
Chinesen setzt die Mehrheit der weltweit Befragten außerhalb Europas dagegen auf
die Führung durch eine Weltmacht oder durch verschiedene regionale Mächte. In
den USA meinen dies beispielsweise 58 Prozent
.Die Politikforscher der
Bertelsmann Stiftung folgern aus der Befragung, dass es zu einer Rückbesinnung
auf die jeweilige nationale Stärke eines Landes und verhängnisvolle klassische
Großmachtpolitik des 19. Jahrhunderts kommen könnte, wenn diese
Bevölkerungsmeinung politikbestimmend wird. Hierfür spricht auch, dass die
Stärke und Bedeutung des eigenen Landes in fast allen Ländern höher
eingeschätzt wird, als von den Befragten in allen anderen Ländern. Besonders
ausgeprägt war dies bei den Befragten in Indien, Russland, Großbritannien und
Brasilien.
Professor Werner Weidenfeld, Vorstandsmitglied der
Bertelsmann Stiftung: "Die Menschen sehen die heutige Vormachtstellung der USA
in Zukunft schwinden, aber sie erwarten auch kein harmonisches Gleichgewicht der
Weltmächte, das etwa von der UNO moderiert wird. Sie setzen vielmehr auf eigene
Stärke im globalen Wettbewerb und wünschen sich für das jeweils eigene Land eine
bedeutsamere Rolle für Stabilität und Frieden. Wenn diese Perspektive und
Erwartung für die Politik weltweit bestimmend wird, birgt es die Gefahr eines
nationalistischen Wettlaufs zwischen den heutigen und zukünftigen Weltmächten,
bei dem alle nur verlieren."
Betrachtet man das Meinungsbild der Europäer
insgesamt, so zeigt sich, dass sie die Verschiebung der weltpolitischen
Gewichte bemerkt haben. Sie kompensieren ihren nationalen Bedeutungsverlust
durch große Hoffnungen auf die EU. Die Stimmungslage wird dabei aber weiterhin
gleichzeitig durch nationale Wahrnehmungsmuster geprägt. Professor Werner
Weidenfeld: "Die Umfrage spiegelt auch das europäische Dilemma. Ohne
herausragende Führungsleistung wird sich Europa danach in den gewohnten Bahnen
bewegen. Der Kontinent bleibt eine Weltmacht im Werden mit großen Potenzial zur
Weltmachtbildung aber ohne Kraft der politischen Bündelung seiner
Ressourcen."
Für die Studie der Bertelsmann Stiftung waren durch das
Meinungsforschungsinstitut Gallup/TNS-EMNID weltweit 10.000 Menschen zur Rolle
und Funktion der Weltmächte heute und im Jahr 2020 befragt worden. Die
Untersuchung fand in den USA, Russland, Brasilien, China, Indien, Japan,
Deutschland, Frankreich und Großbritannien statt.
Die Ergebnisse wurden
in Berlin zum Auftakt einer internationalen Konferenz der Bertelsmann Stiftung
mit dem Titel "Wer regiert die Welt - Die Zukunft der Großmächte im 21.
Jahrhundert" vorgestellt.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.