Afghanistan Ticker: Achter Flug aus Kabul auf dem Weg - Über 1.000 Menschen ausgeflogen
Archivmeldung vom 19.08.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Bundeswehr hat bei ihrem achten Evakuierungs-Flug aus Kabul 230 Personen aufgenommen und nun insgesamt über 1.000 Menschen ausgeflogen. Das teilte das Bundesverteidigungsministerium am frühen Donnerstagabend mit. Die A400M-Flieger pendeln seit Dienstag zwischen der afghanischen Hauptstadt und der usbekischen Hauptstadt Taschkent.
Zuvor hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hervorgehoben, dass man eine "große moralische Verantwortung" habe, afghanische Ortskräfte auszufliegen. Nach der Machtübernahme der Taliban am Sonntag gibt vermehrt breite Kritik an den Evakuierungsplänen der Bundesregierung, insbesondere das Auswärtige Amt und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) stehen dabei im Blickpunkt.
Verteidigungsministerium: Keine Bundeswehr-Waffen in Taliban-Händen
Das Bundesverteidigungsministerium gibt an, dass die Bundeswehr, anders als die US-Armee, bei ihrem Abzug aus Afghanistan keine Waffen für die afghanischen Sicherheitskräfte zurückgelassen hat. "Bei der Rückverlegung des Deutschen Einsatzkontingents wurden keine Waffen der Bundeswehr an afghanische Sicherheitskräfte übergeben", zitiert die "Welt" (Freitagausgabe) einen Sprecher. Somit bestehe auch nicht die Möglichkeit, dass Bundeswehr-Waffen nun an Taliban-Kämpfer gefallen sind. "Uns liegen keine Erkenntnisse vor, dass Waffen der Bundeswehr in Händen der Taliban sind", so das Ministerium. Allerdings hat die Bundesregierung laut Rüstungsexportberichten allein zwischen 2015 und 2020 die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von rund 56 Millionen Euro nach Afghanistan genehmigt, schreibt die Zeitung. Dabei handelt es sich beispielsweise um "Geländewagen mit Sonderschutz", "Kommunikationsausrüstung" und "Flugkörperabwehrsysteme für Luftfahrzeuge". Was davon nun in den Händen der Taliban ist, weiß man im Verteidigungsministerium zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. "Dazu liegen dem BMVg zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Erkenntnisse vor", hieß es. Laut Ben Barry, Militärexperte am Londoner Thinktank International Institute for Strategic Studies (IISS), besteht die reale Möglichkeit, dass auch deutsches Kriegsgerät an die Taliban gefallen ist: "Alles, was die afghanischen Sicherheitskräfte besaßen, ist jetzt theoretisch in den Händen der Taliban", sagte Barry der "Welt".
Reporter ohne Grenzen will UN-Notfallplan in Afghanistan
Angesichts der jüngsten Entwicklungen in Afghanistan fordert Reporter ohne Grenzen (RoG) den UN-Sicherheitsrat dazu auf, einen Notfallplan zum Schutz von Journalisten zu erarbeiten. "Nur mit einer konzertierten Reaktion der Regierungen können Afghanistans Medienschaffende aus ihrer verzweifelten Lage gerettet werden", heißt es in einer Stellungnahme der Organisation vom Donnerstag. Der Notfallplan solle unter anderem Garantien für die Sicherheit und den Schutz von afghanischen Journalisten und Medien beinhalten. Auch die Erlangung von Visa zur Ausreise sollte vereinfacht werden, heißt es in der Stellungnahme. Rund 100 Medien haben nach Angaben von RoG in den vergangenen Wochen in Afghanistan ihre Arbeit eingestellt. Hunderte Journalisten seien untergetaucht oder versuchten, aus dem Land zu fliehen. In von den Taliban kontrollierten Gebieten arbeitende Medien, die noch nicht schließen mussten, sendeten nur noch religiöse und von der Extremistengruppe vorgegebene Inhalte, so die Organisation.
Katar transportiert Taliban - und beteiligt sich an Evakuierungen
Nachdem das Emirat Katar Kritik für den Transport von hochrangigen Taliban nach Afghanistan einstecken musste, bemüht sich der Wüstenstaat nun um ein besseres Image und will sich auch an den Evakuierungen beteiligen. Seit Dienstag habe die katarische Luftwaffe im Rahmen von vier Evakuierungsflügen eine Reihe von Menschen aus dem Land geflogen, hieß es in einer am Donnerstag auf Deutsch verbreiteten Pressemitteilung. "Darunter waren westliche Journalisten und afghanische Aktivisten, aber auch einige deutsche Staatsbürger, die vor der aktuellen Gewalt und dem Vormarsch der Taliban im Land fliehen", heißt es in dem Text wörtlich. Außerdem habe die katarische Luftwaffe am Mittwochabend ein Flugzeug mit humanitären Hilfsgütern "für aufgrund der aktuellen Kämpfe vertriebene Afghanen" losgeschickt. Katar sieht sich selbst im Afghanistan-Konflikt in einer "Vermittlerrolle", der man auch in Zukunft gerecht werden wolle, wie es heißt. Zuvor hatte es Berichte gegeben, wonach die Luftwaffe Katars Mullah Abdul Ghani Baradar, den Vizechef der Taliban, nach langer Zeit wieder zurück nach Afghanistan geflogen habe. Das gefiel dem Emirat offenbar gar nicht. "Die Botschaft des Staates Katar bittet das verzerrte Bild in einigen Teilen der deutschen Öffentlichkeit über die Rolle Katars in dem Konflikt zu korrigieren", heißt es in der Erklärung.
Diplomat Potzel verhandelt erst ab heute mit den Taliban
Der deutsche Diplomat Markus Potzel startet erst am heutigen Donnerstag die Verhandlungen mit den Taliban über eine Evakuierung der afghanischen Ortskräfte. Das berichtet "Business Insider" unter Berufung auf Regierungskreise. Am Dienstag hatte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) noch gesagt, Potzel werde am gleichen Abend in Doha, Katar, eintreffen und unmittelbar mit den Verhandlungen beginnen. Offenbar dauerte es dann doch etwas länger. Noch ist zudem unklar, was die Taliban im Gegenzug für ein Passieren der afghanischen Ortskräfte verlangen - und ob sie überhaupt bereit dazu sind, Afghanen die Ausreise zu ermöglichen. Nach Expertenansicht wäre eine Geldzahlung denkbar, noch viel wichtiger scheint den Taliban aber die Aufnahme diplomatischer Beziehungen oder eine andere Form der Anerkennung. Derzeit haben Taliban-Kämpfer den Flughafen komplett abgeriegelt und lassen nur westliche Staatsbürger durch. Die afghanischen Staatsbürger, die sich noch am Flughafen aufhalten, werden von der Taliban aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Aktuell drängt die Zeit: Nach Informationen von "Business Insider" will die NATO den Flughafen Kabul Ende August schließen. Derzeit verhandelt die Bundesregierung mit der US-Regierung laut des Berichtes auch über eine Verlängerung des Einsatzes der US-Truppen, unter anderem auch auf der außerordentlichen NATO-Außenministerkonferenz am morgigen Freitag.
Taliban erneuern Wunsch nach diplomatischen Beziehungen
Die Taliban haben erneut den Willen bekundet, international nicht isoliert zu werden. "Das Islamische Emirat will bessere diplomatische und Handelsbeziehungen mit allen Ländern", teilten die Taliban am Donnerstag mit. Gleichzeitig wurden Berichte zurückgewiesen, wonach die Taliban entsprechende Verhandlungen abgelehnt hätten. "Wir haben nicht `nein` gesagt", sagte ein Sprecher, der sich Zabiullah Mujahid nennt. Zuvor hatten fast alle Länder ihre Botschaften in Kabul geräumt. Nur China, Russland und Pakistan waren noch mit nennenswertem Botschaftspersonal präsent. Deutschland hatte sein Botschaftsgebäude am Sonntag offiziell geschlossen. Bereits in der Pressekonferenz am Dienstag hatten die Taliban bekundet, das Botschaftsviertel sichern zu wollen und alle Diplomaten aufgefordert, zurückzukommen. "Die Sicherheit der Botschaften ist für uns wichtig", sagte ein Taliban-Sprecher.
Bundeswehr fliegt Versorgungsmaterial und 15 Personen aus
Die Bundeswehr hat 15 Personen und Paletten mit Versorgungsmaterial aus Kabul ausgeflogen. Das teilte die Truppe am späten Mittwochabend mit. Um 21:26 Uhr mitteleuropäischer Zeit sei der Flieger mit Direktziel Taschkent gestartet. Für Mittwoch sei noch ein weiterer Start eines Evakuierungsflug aus Kabul geplant, hieß es seitens des Verteidigungsministeriums. Seit Montag seien seit Montag über 700 Personen ausgeflogen worden, teilte das Auswärtige Amt mit. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte früher am Abend erklärt, man setze jetzt alles daran, "die Luftbrücke aufrechtzuerhalten, solange das möglich ist und soviele Menschen wie möglich in diesem Zeitraum auszufliegen", so Maas. Man müsse aber davon ausgehen, "dass dieses Zeitfenster auch begrenzt ist", so der SPD-Politiker.
Quelle: dts Nachrichtenagentur