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Einem Überlebenden der Schüsse am Nangpa-Paß gelang die Flucht nach Indien

Archivmeldung vom 07.05.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.05.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Jens Brehl

Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy berichtet in seinem Newsletter vom Februar über den 15jährigen Jamyang Samten, einen der im Oktober am Nangpa-Paß Festgenommenen, der bei seinem zweiten Fluchtversuch nach Indien entkommen konnte. Am 29. Januar 2007 traf er unbeschadet in Dharamsala ein, wo er dem TCHRD den Vorfall am Nangpa-La und seine Folgen schilderte.

Am 30. September 2006 schossen Soldaten der Bewaffneten Chinesischen Volkspolizei (PLA) auf eine Gruppe tibetischer Flüchtlinge, die im Begriff waren, den die Grenze zu Nepal bildenden Nangpa-Paß zu überschreiten. Die 17 Jahre alte Nonne Kelsang Nortso starb im Kugelhagel und ein junger Mann Mitte 20 wurde angeschossen. 41 Angehörige der Gruppe schafften es nach Dharamsala zu kommen, während weitere 32 von den Chinesen festgenommen wurden. Hier ist die Schilderung von Jamyang Samten:

"Ich heiße Jamyang Samten und stamme aus dem Kreis Jomda in der Präfektur Chamdo. Meine Familie zählt vier Personen, nämlich meine Mutter, meinen Bruder, meine Schwester und mich. Mit sechs Jahren kam ich auf die Grundschule in meiner Heimatgemeinde. Im Alter von zehn Jahren verließ ich die Schule wieder und verdingte mich um 300 Yuan monatlich bei der Dorfgemeinschaft als Hirte. Bei meiner Arbeit traf ich viele Menschen, und einige von ihnen rieten mir, ich solle doch nach Indien gehen, wo ich Seine Heiligkeit den Dalai Lama sehen könnte und bessere Schulmöglichkeiten hätte. So entschloß ich mich, nach Indien zu fliehen. Ohne meiner Familie etwas zu sagen, reiste ich nach Lhasa und blieb eine Weile bei meinem Onkel, der ein Geschäftsmann ist. Nach zehn Tagen vertraute ich ihm an, was ich vorhatte. Er beschaffte mir einen Wegführer, dem er 5000 Yuan geben mußte. Als wir von Lhasa aus aufbrachen, bestand unsere Gruppe aus 75 Personen und zwei Führern.

Von Lhasa bis Shigatse benutzten wir ein Fahrzeug, danach gingen wir zu Fuß weiter. Als wir am 29. September an der Stelle ankamen, wo der Aufstieg zum Nangpa-Paß beginnt, wurde unser Mitflüchtling Lobsang Paljor aus dem Bezirk Kardze krank und konnte nicht mehr weitergehen. Deshalb beschloß einer unserer Führer, bei ihm zu bleiben, um ihm zu helfen; beide sollten später nachkommen. Wir gingen weiter, und als die Nacht hereinbrach, befanden wir uns kurz unterhalb des Nangpa-Passes. Es war eine helle Mondnacht, weshalb wir genau sehen konnten, wie die Soldaten in ihrem Lager auf der Lauer lagen.

Unser Führer meinte, wenn wir alle zusammen gingen, bestünde große Gefahr, daß die chinesische Polizei uns sehen könnte. Er würde mit der ersten Gruppe von 43 Personen vorausgehen und dann zurückkommen und den Rest holen, sagte er. Wir 32 warteten also unterhalb der schneebedeckten Berge auf die Rückkehr unseres Führers. Da traf unser Mitflüchtling Lobsang Paljor ein, aber sein Guide Jamyang war nicht bei ihm, er sagte, dieser habe ihn verlassen. Er wußte nicht, wohin er gegangen war. Wir warteten die ganze Nacht auf unsere Guides. Es war schon Morgen, als wir plötzlich Schüsse hörten und zwei Militärfahrzeuge vorbeifahren sahen. Wir machten uns große Sorgen um die Sicherheit der ersten Gruppe. Vor lauter Angst und Hilflosigkeit versteckten wir uns drei Tage lang in den Bergen. Dann entschlossen wir uns am Spätnachmittag weiterzugehen, da wir nichts mehr zu essen hatten und am Verhungern waren.

Kurz nachdem wir uns auf den Weg gemacht hatten, bemerkten wir einen Mann, der uns zuwinkte, wir sollten weiter heraufkommen. Wir nahmen irrtümlich an, es sei unser Guide und gingen in seine Richtung. Plötzlich feuerte der Mann zwei Schüsse auf uns ab. Unser erster Gedanke war, wegzurennen, aber wir waren so ausgehungert und erschöpft, daß wir einfach stehenblieben. In Nu kam eine Menge Soldaten den Berg heruntergerannt. Sie legten uns in Handschellen und führten uns in ihr Lager ab.

Eine Nonne aus der Gruppe der 41 Flüchtlinge, die vorausgegangen waren, wurde erschossen und ein junger Mann am Bein getroffen. Im Lager bekamen wir ein wenig zu essen und wurden dann ins Haftzentrum Dhingri (chin. Tingri) verfrachtet. Der Leichnam der Nonne wurde ebenfalls nach Dhingri gebracht, was weiter mit ihm geschah, weiß aber niemand.

Im Haftzentrum wurden wir drei Tage lang intensiv nach unseren Guides befragt und dabei geschlagen und gefoltert. Dann wurden wir in das nahegelegene Haftzentrum Shigatse verlegt. Dort quälten sie uns, indem sie uns zwangen mit einer Schüssel Wasser auf dem Kopf stillzustehen. Wenn immer die Schüssel umkippte, schlugen sie uns. Auf diese Weise wurden wir zehn Tage lang gefoltert. Nach dieser Tortur zwangen sie uns, während eines Monats zu den verschiedensten Arbeiten.
Nach einiger Zeit trafen Angehörige der Verhafteten ein und bemühten sich um ihre Freilassung. Wir hatten 13 Kinder und Jugendliche zwischen vier und 15 Jahren bei uns. Nach einem Monat wurden wir schließlich freigelassen. Bei unserer Entlassung wurde uns mit der Todesstrafe gedroht, falls wir noch einmal bei einem Fluchtversuch aufgegriffen werden sollten.

Wir gingen alle zusammen von Shigatse nach Lhasa und von dort aus in unsere Herkunftsorte. Ich begab mich wieder zur Wohnung meines Onkels in Lhasa. Nach ein paar Tagen gelang es mir, eine Reisegenehmigung von Lhasa nach Dram (einer geschäftigen Stadt an der tibetisch-nepalesischen Grenze) zu ergattern. In Dram bezahlte ich einem Nepalesen 3000 Yuan, damit er mich zum tibetischen Empfangszentrum in Kathmandu brächte. Im Dezember 2006 traf ich dort ein."

Quelle: Pressemitteilung Internationale Gesellschaft fur Menschenrechte (IGFM)

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