Juncker-Rede zur Lage der Union 2016: Hin zu einem besseren Europa - einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt
Archivmeldung vom 14.09.2016
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Freigeschaltet durch André OttEU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat heute in seiner Rede zur Lage der Union 2016 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg eine schonungslose Zustandsbeschreibung abgegeben und seine positive Agenda konkreter europäischer Maßnahmen für das kommende Jahr präsentiert.
"Die nächsten zwölf Monate sind entscheidend, wenn wir unsere Union wieder zusammenführen wollen", sagte Juncker. "Europa kann nur funktionieren, wenn wir alle nach Einheit und Gemeinsamkeit streben und das Gerangel um Kompetenzen und die Rivalitäten zwischen Institutionen hinter uns lassen. Nur dann ist Europa mehr als die Summe seiner Teile."
Die großen, demokratischen Nationen Europas dürften sich nicht vom Populismus verführen lassen. "Europa darf sich im Angesicht des Terrors nicht wegducken. Die Mitgliedstaaten müssen ein Europa bauen, das beschützt." Juncker kündigte konkrete Initiativen unter anderem für Investitionen, den digitalen Binnenmarkt und die Sicherheit an.
Europa befinde sich am Scheideweg, so Juncker in seiner Einleitung, die er in deutscher Sprache vorbrachte. "Es ist an den europäischen Nationen, die Gründe unserer europäischen Einheit zu verteidigen. Niemand kann das statt ihrer tun." Kernbotschaften seiner Rede:
Die europäische Art zu leben bewahren
Freizügigkeit: "Wir Europäer werden es niemals hinnehmen, dass polnische Arbeiter auf den Straßen von Harlow oder andernorts belästigt, angegriffen oder gar ermordet werden. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist ebenso ein gemeinsamer europäischer Wert wie unser Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus."
Todesstrafe: "Wir Europäer sagen ein klares "Nein" zur Todesstrafe. Denn wir glauben an den Wert des menschlichen Lebens und achten es." Handel: "Das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada ist das beste und fortschrittlichste Abkommen, das die EU je ausgehandelt hat. Ich werde gemeinsam mit Ihnen und mit allen Mitgliedstaaten darauf hinwirken, dass dieses Abkommen so bald wie möglich ratifiziert wird."
Datenschutz: "Europäer möchten keine Drohnen, die über ihre Köpfe kreisen und jede ihrer Bewegungen aufzeichnen oder Unternehmen, die alle ihre Mausklicks speichern. Denn in Europa spielt der Schutz der Privatsphäre eine Rolle. Das ist eine Frage der Menschenwürde."
Entsendung von Arbeitnehmern: "Arbeitnehmer sollten für gleiche Arbeit am gleichen Ort auch den gleichen Lohn erhalten. Europa ist nicht der Wilde Westen, sondern eine soziale Marktwirtschaft."
Wettbewerb: "In Europa werden Verbraucher vor Kartellen und Marktmissbrauch durch mächtige Unternehmen geschützt. Das gilt auch für Wirtschaftsgiganten wie Apple. In Europa nehmen wir es nicht hin, dass mächtige Unternehmen in Hinterzimmern illegale Steuerdeals aushandeln. Die Kommission achtet auf diese Steuerfairness. Das ist die soziale Seite des Wettbewerbsrechts."
Stahlindustrie: "Wir haben bereits 37 Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen in Kraft gesetzt, um unsere Stahlindustrie vor unfairem Wettbewerb zu schützen. Doch wir müssen mehr tun. Ich rufe alle Mitgliedstaaten und dieses Parlament dazu auf, die Kommission dabei zu unterstützen, wenn es darum geht, unsere handelspolitischen Schutzinstrumente zu stärken. Wir sollten keine naiven Freihändler sein, aber wir sollten in der Lage sein, genauso kraftvoll zu reagieren wie die Vereinigten Staaten."
Landwirtschaft: "Die Kommission wird unseren Landwirten immer zur Seite stehen, insbesondere wenn sie wie jetzt durch schwierige Zeiten gehen. Für mich ist es nicht akzeptabel, dass Milch billiger ist als Wasser."
Ein Europa, das stärkt
Urheberrecht: "Ich möchte, dass Journalisten, Verlage und Urheber eine faire Vergütung für ihre Arbeit erhalten. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob ein Werk im Studio oder im Wohnzimmer entstanden ist, ob es offline oder online verbreitet wird, ob es über einen Drucker vervielfältigt oder zu kommerziellen Zwecken ins Netz gestellt wird."
Vernetzung: "Wir schlagen heute vor, bis 2020 die wichtigsten öffentlichen Orte jedes europäischen Dorfes und jeder europäischen Stadt mit kostenlosem WLAN-Internetzugang auszustatten."
Investitionen und Jobs: "Europa braucht massive Investitionen in seine jungen Menschen, in seine Arbeitsuchenden, in seine Start-up-Unternehmen. Wir schlagen heute vor, die Laufzeit des Europäischen Fonds für strategische Investitionen und seine Finanzierungskapazität zu verdoppeln."
"Ich kann und werde nicht akzeptieren, dass die Millennium-Generation, die Generation Y, möglicherweise die erste Generation seit 70 Jahren ist, der es schlechter geht als ihren Eltern."
Solidarität: "Die Solidarität ist der Kitt, der unsere Union zusammenhält. Aber ich weiß auch, dass das nur freiwillig geht. Solidarität muss von Herzen kommen. Sie kann nicht erzwungen werden."
Migration: "Wir legen heute eine ehrgeizige Investitionsoffensive für Afrika und die EU-Nachbarschaft vor mit einem Investitionspotenzial von 44 Mrd. EUR. Wenn die Mitgliedstaaten mitmachen, können wir bis zu 88 Mrd. EUR erreichen. Die neue Investitionsoffensive für Afrika wird Menschen Alternativen bieten, die sich andernfalls gezwungen sähen, auf der Suche nach einem besseren Leben den Tod zu riskieren."
Ein Europa, das verteidigt
Terrorismus: "Gemeinsam haben wir getrauert - gemeinsam müssen wir nun handeln."
"Im Angesicht des Schlimmsten, was die Menschheit hervorbringt, müssen wir unseren Werten und uns selbst treu bleiben. Wir, das sind demokratische, pluralistische, offene und tolerante Gesellschaften. Der Preis für diese Toleranz darf jedoch nicht unsere Sicherheit sein."
Sicherheit: "Wir werden unsere Grenzen mit der neuen Europäischen Grenz- und Küstenwache schützen. Ich möchte, dass ab Oktober mindestens 200 zusätzliche Grenzschutzbeamte und 50 zusätzliche Fahrzeuge an der bulgarischen Außengrenze im Einsatz sind." Globales Europa: "Europa kann es sich nicht mehr leisten, militärisch im Windschatten anderer Mächte zu segeln oder Frankreich in Mali allein zu lassen."
"Eine starke europäische Verteidigung braucht eine innovative europäische Rüstungsindustrie. Deshalb werden wir noch vor Jahresende einen Europäischen Verteidigungsfonds vorschlagen, der unserer Forschung und Innovation einen kräftigen Schub verleiht." Eine Europäische Strategie für Syrien: "Federica Mogherini, unsere Hohe Vertreterin und meine Vizepräsidentin, leistet hervorragende Arbeit. Aber sie muss unsere Europäische Außenministerin werden, mit deren Hilfe alle diplomatischen Dienste - von kleinen wie großen Ländern gleichermaßen - ihre Kräfte bündeln, um in internationalen Verhandlungen mehr Einfluss zu erlangen. Deswegen fordere ich heute eine Europäische Strategie für Syrien."
Eine Verteidigungsunion: "Europa muss mehr Härte zeigen. Dies gilt vor allem in unserer Verteidigungspolitik. Der Vertrag von Lissabon gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ihre Verteidigungsfähigkeiten in Form einer ständigen strukturierten Zusammenarbeit zu bündeln, so sie dies wollen. Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, diese Möglichkeit zu nutzen."
Ein Europa, das Verantwortung übernimmt
"Ich rufe jeden Einzelnen der 27 Staats- und Regierungschefs, die den Weg nach Bratislava antreten, auf, sich drei Gründe zu überlegen, warum wir die Europäische Union brauchen. Drei Dinge, die sie bereit sind zu verteidigen und dafür auch die Verantwortung zu übernehmen. Und für die sie dann auch rasch Taten folgen lassen."
"Ich habe jedes einzelne Mitglied meiner Kommission gebeten, in den nächsten beiden Wochen in den nationalen Parlamenten der Länder, die sie am besten kennen, über die Lage der Union zu diskutieren. Denn Europa kann nur mit den Mitgliedstaaten aufgebaut werden, niemals gegen sie."
"Es geht nicht an, dass die Kommission von Parlament und Rat zu einer Entscheidung gezwungen wird, wenn sich die EU-Länder untereinander nicht einigen können, ob sie die Verwendung von Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln verbieten wollen oder nicht. Daher werden wir diese Regeln ändern - denn das ist keine Demokratie."
"Politisch zu sein heißt auch, technokratische Fehler sofort zu bereinigen. Die Kommission, das Parlament und der Rat haben gemeinsam beschlossen, die Roaminggebühren abzuschaffen. Dieses Versprechen werden wir halten. Nicht nur für Geschäftsleute, die zwei Tage ins Ausland reisen. Nicht nur für Urlauber, die zwei Wochen in der Sonne verbringen. Sondern für alle, die im Ausland arbeiten. Und für die Millionen von Erasmus-Studenten, die ein oder zwei Semester im Ausland verbringen. Sie werden nächste Woche einen neuen, besseren Entwurf zu Gesicht bekommen. Roaming sollte sein wie zu Hause sein."
"Verantwortung zu übernehmen bedeutet schließlich auch, dass wir uns gegenüber den Wählerinnen und Wählern zu verantworten haben. Deshalb werden wir vorschlagen, die absurde Regelung zu ändern, wonach Kommissionsmitglieder ihr Amt niederlegen müssen, wenn sie bei Wahlen zum Europäischen Parlament antreten wollen. Wir sollten die Kommissionsmitglieder ermutigen, die nötige Begegnung mit der Demokratie zu suchen. Und ihnen keine Steine in den Weg legen."
Hintergrund
Jedes Jahr im September hält der Präsident der Europäischen Kommission vor dem Europäischen Parlament seine Rede zur Lage der Union. An die Rede des Präsidenten schließt sich eine Debatte im Plenum an. Die Rede markiert den Startschuss für den Dialog mit dem Parlament und dem Rat zur Vorbereitung des jährlichen Arbeitsprogramms der Kommission.
Außerdem haben Präsident Juncker und der Erste Vizepräsident Timmermans heute eine Absichtserklärung an den Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz und an den slowakischen Ministerpräsidenten und derzeitigen Ratsvorsitzenden Robert Fico gerichtet, in dem sie ausführlich darlegen, welche konkreten Initiativen die Kommission für die kommenden Monate plant.
Dies ist in der Rahmenvereinbarung von 2010 über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission ausdrücklich vorgesehen. Die diesjährige Rede zur Lage der Union ist auch der Beitrag der Europäischen Kommission zur informellen Tagung der 27 Staats- und Regierungschefs am 16. September 2016 in Bratislava.
Weitere Hintergrundinformationen:
Die 10 politischen Prioritäten der Europäischen Kommission http://ec.europa.eu/priorities/_de
Rede zur Lage der Union 2015: http://ec.europa.eu/priorities/state-union-2015_de
Quelle: Europäische Kommission (ots)