Russlands Überbomber: Abschreckung und Aufrüstung
Archivmeldung vom 16.03.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićSie war eine von nur wenigen wertvollen Errungenschaften der Sowjetzeit, welche in den Bestand der neuen Russischen Föderation wechselten: Die bis heute unübertroffene Tupolew Tu-160, in ihrer Heimat auch als „Bjelyj Ljebjed“ bzw. „Weißer Schwan“ bekannt, ist ein regulär zunächst von 1984 bis 1994 produzierter Überschall-Atombomber in Schwenkflügeltechnik. Dies berichtet Tomas W. Wyrwoll im Magazin "Wochenblick.at".
Weiter berichtet Wyrwoll: "Die Tu-160, das fliegerische Rückgrat der russischen Atombomberflotte, erhält als weltweit erstes Militärflugzeug ein heckwärtiges Radarsystem, wodurch nun eine Abwehr rückwärtig angreifender Raketen möglich ist und Moskau gemäß der virulenten „Logik“ des Rüstungsgleichgewichtsweiterhin eine Abschreckung US-amerikanischer Schläge gelingen kann.
Mit einer normalen Startmasse von 267,5 Tonnen und einem maximalen Startgewicht von 275 Tonnen bei einer Länge von 52 m und einer Breite von je nach Pfeilung 36 bis 56 m stellt die TU-160 das größte und schwerste bisher regulär produzierte Kampfflugzeug der Welt dar. In ihren bisher bekannten Varianten besitzt sie bei einem Leergewicht von etwa 110 Tonnen Zuladungsmöglichkeiten für eine Bombenlast von je nach Einsatzspezifikation 40 bis 45 Tonnen, wobei bisher nukleare und konventionelle Gefechtsköpfe, tarnkappenfähige Marsch-, Radar- und Seezielbekämpfungsflugkörper sowie diverse Lenk- und Freifallbomben vorgesehen waren. Ihre Höchstgeschwindigkeit beträgt auf optimaler Höhe gute 2.200 km/h bzw. 1,84 M bei einer normalen Marschgeschwindigkeit von rund 850 km/h. Als gesicherter Einsatzradius gelten 7.300 km, womit das russische Gerät knapp der US-amerikanischen B-52 überlegen ist und von seinem Standort bei Kasan aus prinzipiell eine direkte Operation vor der US-Ostküste erlaubt. Allerdings verfügen die Amerikaner allein über mehr als 60 aktive Langstrecken-Überschallbomber vom Typ B-1 und 20 B-2-Tarnkappenbomber, so daß sie den Russen in diesem Sektor zwar nicht an Klasse, wohl aber an Masse weit voraus sind.
Strategische Bomberflotte Russlands
Unter der für Rußland ruinösen Herrschaft von Boris Jelzin hatte man die Produktion des veritablen Flugzeugwunders trotz seiner überragenden Leistungen – noch in den Jahren 1989 und 1990 hatte man z.B. insgesamt 44 beeindruckende globale Geschwindigkeitsrekorde erzielt – eingestellt und verzichtete von damals an bis 2007 ebenso einseitig auch auf Langstreckenerkundungsflüge zu anderen Kontinenten. Nachdem Rußland zu Beginn des Jahres 2000 die acht bis dahin ungenutzt in der Ukraine verbliebenen Flugzeuge dieses Typs gegen eine Streichung erheblicher Anteile der dort aufgelaufenen Gasschulden übernommen hatte, verfügte Moskau über insgesamt 14 der Maschinen, die zugleich den Gesamtbestand seiner Strategischen Bomberflotte ausmachten.
Erstmals erhält ein Atombomber ein rückwärtig orientiertes Radar
Diese sowjetischen Erbstücke reichten als Gegengewicht gegen die bereits damals aggressiv auftretenden und hochgerüsteten USA aber erkennbar nicht aus. So begann Moskau 2001 mit der Überarbeitung der alten sowie der Produktion einzelner neuer Flugzeuge dieses Typs, wodurch Rußland von den insgesamt 36 produzierten Einheiten der Reihe im Ergebnis zur Zeit 16 zur Verfügung stehen. 2008 landeten zwei Tu-160 in Venezuela und sicherten so das Land bereits symbolisch vor einer dann auch nicht mehr erfolgenden US-Militärintervention. Im gleichen Jahr begannen erstmals umfangreiche Manövereinsätze, denen sich Ende 2015 der erste Kampfeinsatz dieses Geräts überhaupt – gegen den IS in Syrien – anschloß. 2020 unternahm man erste Testflüge mit einer modernisierten Variante namens Tu-160M mit dem neuentwickelten Motor NK-32(-02) aus den Kuznezow-Motorenwerken in Samara, die aber nach kurz zuvor bekanntgewordenen Plänen bereits in Kürze wieder durch eine erheblich verbesserte neuere Fassung „Tu-160M2“ mit einem deutlich leistungsfähigeren Nachfolger des NK-32, dem neuen russischen Nowella-1.70-Radar und einer komplett ausgetauschten, nunmehr digitalen Steuerungstechnik, einem eigenentwickelten Tarnkappenanstrich sowie neuen Waffensystemen hätte ergänzt werden sollen.
Fertigung weiterentwickelter Typen
Während die weitere Entwicklung dieser u.a. über eine größere Reichweite verfügenden M2 momentan noch ungeklärt scheint, lief 2021 in der Kasaner Luftfahrzeugfabrik die reguläre Fertigung der Tu-160M an, deren Erstflug schließlich am 12. Januar 2022 stattfand. Kurz nach diesem Erfolg erhielt die Öffentlichkeit im Februar 2022 auch Angaben darüber, wie die neue Maschine endlich die schwierigste Herausforderung für Fluggeräte dieses Typs angeht: die Verteidigung gegen von hinten kommende Raketen. Behoben werden soll dieses Kernmanko durch ein neu hinzugefügtes Radarsystem, das weltweit erstmals heckwärtig ausgerichtet ist und zugleich die Umlenkung der Abwehrraketen gegen aus dem bisherigen Sichtschatten kommende, aber aus physikalischen Gründen auch weiterhin nicht direkt beschießbare Flugobjekte übernimmt.
Logik der Abschreckung
Angesichts der aktuellen Spannungen mit den USA ist für dieses Jahr eine Auslieferung von zwei statt einer von zehn für die russische Luftwaffe fest bestellten Maschinen und eine Beschleunigung der weiteren Produktion vorgesehen. Insgesamt plant Moskau wie bereits seit 2015 angedacht eine Anschaffung von 50 Tu-160-Maschinen sowie die Nachrüstung der Altgeräte auf den nunmehrigen Standard. Die früheren Pläne der M2-Version dürften sich dabei vermutlich graduell in die laufende Fertigung hineinverlagern. Mit dem Beginn der jetzt bekanntgewordenen russischen Nachrüstung sollte erstmals seit langem wieder für einen gewissen „Gleichstand“ der russischen Atombomberflotte mit jener der USA gesorgt sein und so gemäß der auf beiden Seiten immer noch virulenten, sachlich freilich äußerst fragwürdigen „Logik“ des Rüstungsgleichgewichts bis auf weiteres eine Abschreckung vor atomarer Angriffe des westlichen Antagonisten bestehen. Der Ukraine-Konflikt könnte daher nach amerikanischer Rechnung wohl gerade noch rechtzeitig eskaliert worden sein, bevor man durch eine von außen unbeeinträchtigte weitere russische Neuaufstellung auf eine noch längere Sicht zu einem Erhalt des konventionell so definierten Friedens genötigt gewesen wäre."
Quelle: Wochenblick