Ex-EU-Kommissar Verheugen: Neuwahl könnte kaum ungünstiger liegen
Vor der Vertrauensfrage von Olaf Scholz im Bundestag hat Ex-EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD) die vorzeitige Auflösung der Bundesregierung als außenpolitisches Problem bezeichnet. "Für Europa hat dieser Vorgang eine grundlegende Bedeutung", sagte Verheugen dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".
"Bisher galt Deutschland innerhalb der Europäischen Union und ihrer
Vorläufer als Hort politischer Stabilität. Wenn das sich ändert, hat
ganz Europa ein Problem. Und international kann die Neuwahl in kaum
einer ungünstigeren Zeit kommen."
Im Januar übernehme Donald
Trump erneut die US-Präsidentschaft. "Da brauchen wir dringend eine
geschlossene, handlungsfähige Europäische Union. Dass die
EU-Führungsnationen Deutschland und Frankreich gerade vor allem mit sich
selbst beschäftigt sind, führt zu einer Starre, die nicht hilfreich
ist", sagte Verheugen.
Zudem warnte er vor einem Erstarken von
Extremisten: "Wenn eine Regierung aus den Parteien der politischen Mitte
so krachend scheitert, ist das Risiko groß, dass die Parteien an den
Rändern profitieren."
Angesichts der schwindenden Zustimmung für
die großen Volksparteien seien vorzeitige Neuwahlen künftig wohl keine
Ausnahme mehr. "Solche Situationen werden wir wahrscheinlich künftig
öfter bekommen", sagte Verheugen. "Es wird häufiger Koalitionen mit
mindestens drei Partnern geben - und da dürfte häufiger einer der
Partner gefühlt an seine Grenzen kommen. Das bringt die bisherige Statik
unseres Regierungssystems an seine Grenzen."
Die Beendigung der
Ampelkoalition durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei dennoch richtig
gewesen. "Es war klar, dass die Ampelregierung nicht mehr
handlungsfähig war. Da ist es vollkommen richtig, schnell Klarheit zu
schaffen", sagte Verheugen.
Das Angebot der FDP an Scholz,
gemeinsam Neuwahlen auszurufen, bezeichnete Verheugen als "geradezu
dreist". "Von einem Bundeskanzler zu verlangen, dass er einem
Koalitionspartner den Weg ebnet, der ihn loswerden will, ist ein starkes
Stück", sagte er.
Der frühere FDP-Generalsekretär zeigte sich
überzeugt, dass FDP-Chef Christian Lindner das parteiinterne
Planungspapier zum Ampelbruch gekannt hat: "Dass da Mitarbeiter ganz für
sich mal eben auf Papier eine Regierung zusammenkrachen lassen, ist
unrealistisch", sagte Verheugen dem RND. "So ein Ding schreibt keine
Parteizentrale, ohne dass der Vorsitzende das weiß. Und sie schreibt es
für den Vorsitzenden. Für wen denn sonst? Er ist ja derjenige, der die
jeweiligen Entscheidungen treffen muss."
Quelle: dts Nachrichtenagentur