Die giftige Wahrheit
Archivmeldung vom 27.08.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWegen einer Scharfschützen-Attacke ist es den UN-Experten nicht gelungen, an den Ort des jüngsten Kampfstoff-Einsatzes in Damaskus zu kommen. Das Magazin „Foreign Policy“ berichtete unterdessen unter Berufung auf CIA-Daten, die USA hätten Saddam Hussein bei seinen Giftgas-Attacken gegen den Iran geholfen. Gibt es einen Zusammenhang, fragt Wadim Fersowitsch in seinem Beitrag bei Radio "Stimme Russlands"?
Weiter heißt es dort: "Am 17. März 1988 hat eine Giftgas-Attacke im nordirakischen Dorf Halabdscha zahlreiche Todesopfer gefordert. Rund 5.000 Kurden sollen innerhalb einer Stunde getötet worden sei. Ein UN-Expertenteam konnte nicht eindeutig klären, wer den Kampfstoff eingesetzt hatte, obwohl die Stadt „seit Mitte März von iranischen Truppen besetzt war“. Wie es hieß, hatten „beide Konfliktparteien“ im Kampf um die Ortschaft Giftgas eingesetzt.
Die Todesursache der Kurden sei aber ein Kampfstoff auf Zyanid-Basis gewesen, der dem Iran zur Verfügung stand. Ob der Irak zu jenem Zeitpunkt darüber verfügte, sei nicht bekannt gewesen, so der damalige Befundbericht.
Es war allerdings etwas seltsam, den Iran wegen einer Giftgas-Attacke gegen die Kurden zu verdächtigen, denn die irakisch-kurdische Miliz Peschmerga kämpfte ausgerechnet für die Iraner. Die Wahrheit kam erst später ans Licht. Am 17. Januar 2010 hat ein irakisches Gericht den mittlerweile toten Diktator Saddam Hussein wegen jener Giftgas-Attacke für schuldig befunden und zum Erhängen verurteilt.
Wie „Foreign Policy“ berichtet, haben US-Beamte ihre Nachsicht in Bezug auf irakische Chemie-Attacken lange abgestritten. Sie argumentierten, Saddam habe nie einen C-Waffen-Einsatz angekündigt. Der ehemalige US-Luftwaffenoffizier Rick Francona (US-Militärattaché in Bagdad im Jahr 1988) sagte jedoch dem Magazin: „Die Iraker haben uns nie gesagt, dass sie Nervengas einsetzen wollen. Sie brauchten das auch nicht zu sagen. Denn wir haben schon alles gewusst“.
Ein Kommentar zum Artikel lautete: „Im Jahr 1984 wurde ich als ABC-Schutz-Fachmann in Fort McClellan (Alabama) ausgebildet. Auch irakische Offiziere waren dort als Auszubildende“.
Ein früherer CIA-Mitarbeiter sagte, vor jeder Offensive hätten die Iraker Kampfstoffe in ihre Stellungen transportiert, es gebe entsprechende Fotos. Wenn man alle irakischen Chemiewaffen-Einsätze in jenem Krieg betrachtet, entfallen zwei Drittel davon nach CIA-Angaben auf die letzten anderthalb Jahre des Krieges.
Wie konnte das geschehen? Ende 1987 haben US-Geheimdienstler den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan in einem Bericht informiert, dass der Iran im Frühjahr 1988 eine massive Offensive plane und alle Chancen habe, Basra zu erkämpfen und den Krieg zu gewinnen.
Laut Francona schrieb Reagan am Rande des Geheimdienstberichts: „Ein Sieg des Iran ist inakzeptabel“. Dann habe der Irak detaillierte Angaben zu iranischen Truppenbewegungen von den USA bekommen. Anhand dieser Daten hätten die Iraker im Jahr 1988 Senfgas und Sarin eingesetzt. Bomben und Geschosse mit Kampfstoffen seien auch auf der Halbinsel Fao gegen die Iraner zum Einsatz gekommen. Es sei dem Iran nicht gelungen, Basra zu erobern. Die US-Regierung sei mit dem Ergebnis zufrieden gewesen, denn nach den Giftgas-Attacken sei der Iran zu keiner Offensive mehr fähig gewesen, so Francona.
Eigentlich hat Bruce Jentleson bereits im Jahr 1994 in seinem Buch „With Friends Like These” geschrieben, wie Saddam während seines Iran-Krieges amerikanische Satellitenbilder und weitere Daten bekommen hatte. Im Buch „The Longest War” von Dilip Hiro, das 1991 erschien, wurde der irakische Chemiewaffen-Krieg ausführlich geschildert. Die National Defense University machte kürzlich übersetzte Memoiren irakischer Generäle zugänglich, die ebenfalls über C-Waffen-Einsätze berichten.
Nun wird darüber gestritten, wer hinter dem jüngsten Kampfstoff-Einsatz in Damaskus steckt. Die Beispiele aus dem Iran-Irak-Krieg zeigen aber: Es ist leicht, jemandem etwas vorzuwerfen. Wenn sich der Vorwurf jedoch als falsch entpuppt, ist es sehr schwer zu beweisen, dass er auf guten Vorsätzen basierte. Erst recht in einer Zeit, wo Geheimnisse so kurzlebig sind."
Quelle: Text Wadim Fersowitsch - „Stimme Russlands"