Gewalteskalation: Ägyptens Regierung ruft Ausnahmezustand aus
Archivmeldung vom 14.08.2013
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtNach der neuerlichen Gewalteskalation in der ägyptischen Hauptstadt Kairo hat die Regierung des Landes den Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser gelte für das gesamte Land vom heutigen Mittwoch ab 16 Uhr für einen Monat, wie die ägyptische Übergangsregierung mitteilte.
Die Vereinten Nationen schätzen, dass es Hunderte Tote bei den Zusammenstößen zwischen Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und den Sicherheitskräften gegeben habe. Das ägyptische Gesundheitsministerium teilte seinerseits mit, dass es bei den Zusammenstößen mindestens 95 Todesopfer und 874 Verletzte gegeben habe. Die Polizei geht seit dem Mittwochmorgen mit großer Härte gegen die Anhänger der Muslim-Bruderschaft vor und stürmte die beiden Protestlager in Kairo, die die Muslim-Brüder nach dem Sturz von Mursi errichtet hatten.
Laut örtlichen Medienberichten schießt die Militärpolizei mit scharfer Munition in die protestierende Menschenmenge. Zudem setzen die Sicherheitskräfte Tränengas ein und rückten mit gepanzerten Fahrzeugen und schweren Baumaschinen in die Protestlager ein. Überdies sollen mehrere Funktionäre der Muslim-Brüder festgenommen worden sein.
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte, sie blicke mit "großer Besorgnis" auf die Situation in Ägypten. "Konfrontation und Gewalt sind nicht der richtige Weg, um die wichtigen politischen Fragen in Ägypten zu lösen", so Ashton.
Berichte über mehrere Tote bei Räumung von Protestlager in Kairo
Bei der Räumung eines Protestlagers von Anhängern des gestürzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi in Kairo ist es laut Medienberichten zu mehreren Toten gekommen. Wie der Sender Al Jazeera meldet, seien mindestens 15 Protestler getötet worden. Die Muslimbrüder hatten sich am Nahda-Platz versammelt, um gegen Mursis Absetzung durch das Militär zu protestieren. Berichten zufolge fuhren Bulldozer der Sicherheitskräfte in die Menschenmenge um die Demonstranten auseinander zu treiben. Staatlichen Medienberichten zufolge wurden bei der Räumung auch zwei Polizisten getötet und mindestens 35 Personen festgenommen.
Ägypten: Grüne EU-Parlamentarierin verurteilt Eskalation durch Regierung
Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, hat die Eskalation der Lage in Ägypten durch die Regierung verurteilt. Alle diplomatischen Initiativen etwa der EU seien zu spät und zu unkoordiniert gewesen, sagte sie im Deutschlandfunk.
Zuvor hatte Ägyptens Botschafter in Deutschland, Mohamed Higazy, das Recht auf friedliche Demonstrationen garantiert. Wenn es Gewalt gebe, werde die Regierung im Rahmen der Gesetze damit umgehen. "Es ist wahr, dass ein Teil der Demonstrierenden dort nicht nur gewaltfrei sind. Die Frage ist nur, wie wird darauf reagiert, setzt man auf Eskalation oder auf Deeskalation", so Brantner. Dass die offizielle ägyptische Staatsseite bis jetzt nicht auf Deeskalation gesetzt habe, sei zu verurteilen, insbesondere, da "alle Menschenrechtsorganisationen groß noch vorher davor gewarnt" hatten, "die Lager zu räumen". Diese Strategie sei nicht zielführend, denn es sei "klar, dass dieser Protest weitergehen wird".
Von der internationalen Gemeinschaft erwarte sie, dass diese "auf einen Prozess wirklich pocht, nicht unbedingt für die eine oder die andere Seite, aber für alle Menschen in Ägypten darauf drängt, dass wir zu einer Rechtsstaatlichkeit kommen und zur Einhaltung von fundamentalen Menschenrechten wie Meinungsfreiheit, aber auch natürlich das Recht, sich zu versammeln", so Brantner.
Roth von Gewalteskalation in Ägypten schockiert
Grünen-Chefin Claudia Roth hat sich schockiert über die neuerliche Gewalteskalation in Ägypten gezeigt. "Die entgrenzte Gewalt der Armee und der Sicherheitskräfte in Ägypten gegenüber den Mursi-Anhängern macht uns große Sorgen und schockiert uns. Die vergangenen Wochen hatten noch Anlass zur Hoffnung auf eine Beruhigung der Lage geboten, doch nun sind die Chancen auf eine friedliche Entwicklung in weite Ferne gerückt", sagte Roth am Mittwoch in Berlin.
Überdies würde das gewaltsame Vorgehen des ägyptischen Militärs jede Perspektive für eine demokratische und pluralistische Entwicklung zu Grabe tragen, so Roth. "Es muss weiter alles getan werden, um die Führung in Ägypten zum sofortigen Gewaltverzicht zu bewegen und friedliche Demonstrationen wieder zu ermöglichen", forderte die Grünen-Chefin.
Bundesregierung schränkt Entwicklungshilfe in Ägypten ein
Angesichts des gewaltsamen Machtkampfs in Ägypten kann die Bundesregierung ihre Entwicklungshilfe für das nordafrikanische Land nur noch reduziert einsetzen. Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) sagte der "Welt": "Für unsere Entwicklungszusammenarbeit gilt schon jetzt, dass unsere Arbeitsfähigkeit unter den aktuellen Umständen eingeschränkt ist." Das betreffe vor allem den Großraum Kairo. "Hier müssen unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort tageweise von zuhause aus arbeiten, weil die Büros je nach Sicherheitslage zwischenzeitlich geschlossen bleiben", so der Minister. "Es gilt aber, die Situation dort täglich neu zu bewerten."
Niebel sagte, man führe die Projekte dennoch so gut es geht weiter und setze sich "für Demokratieförderung, Stärkung der Menschenrechte, Verbesserung der Lebensbedingungen - Wasser, Abwasser, Energie - und Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit ein, um die Menschen im Land weiter konkret zu unterstützen". So lange aber nicht klar sei, welchen Weg Ägypten künftig politisch einschlage, werde man die Situation sehr intensiv beobachten, kündigte Niebel an.
Der Minister sagte weiter, ihm bereite die jüngste, gewaltsame Eskalation in Ägypten allergrößte Sorge. Er betonte: "Ägypten ist ein Schlüsselland für die Region - der Arabische Frühling darf hier nicht scheitern, sonst hätte das unabsehbare Folgen weit über das Land hinaus. Ich fordere daher alle Seiten auf, die Gewalt einzustellen."
Außenminister Westerwelle: Weitere Eskalation in Ägypten verhindern
Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat die Konfliktparteien in Ägypten zu einer friedlichen Lösung der Krise aufgefordert. "Wir sind extrem besorgt über die Nachrichten aus Kairo von der gewaltsamen Räumung von Protestlagern. Diese Eskalation der Gewalt ist in der ohnehin aufgeheizten politischen Situation in Ägypten sehr gefährlich", erklärte Westerwelle am Mittwoch in Berlin.
Der Bundesaußenminister appellierte an die politischen Kräfte in dem Land. "Ein weiteres Blutvergießen muss verhindert werden. Wir fordern alle Seiten auf, umgehend zu einem politischen Prozess zurückzukehren, der alle politischen Kräfte einschließt", so Westerwelle. Zudem erwarte er von der Übergangregierung, dass sie alles tue, um die Lage zu beruhigen.
Quelle: dts Nachrichtenagentur