Ischinger hält Abschreckungswirkung der Nato weiter für hoch
Archivmeldung vom 10.07.2024
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićFür Wolfgang Ischinger, ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Ex-Botschafter in Washington D.C. und London, ist die Nato heute noch genauso wichtig wie zu Zeiten des Kalten Krieges.
"Wir haben zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten in Europa Krieg mit
einer Nuklearmacht", sagte er dem Fernsehsender Phoenix. "Ohne dieses
Bündnis, ohne die Vereinigten Staaten von Amerika, wäre Europa nicht
imstande, mit dieser Herausforderung umzugehen. Das ist die nackte
Wahrheit."
Die Abschreckung des Bündnisses funktioniert in seinen
Augen gut: "Es gibt erfreulicherweise keinerlei Anzeichen dafür, dass
in diesem Augenblick, jetzt 2024, wir befürchten müssen, dass die
russische Aggression auf Nato-Gebiet übergreift." Für die
Nicht-Nato-Mitglieder und Nachbarstaaten Russlands sei das russische
Großmachtdenken allerdings eine "ganz konkrete und ziemlich schreckliche
Bedrohung".
Dennoch werde die Ukraine auf absehbare Zeit kein
Nato-Mitglied werden. Als Hauptgrund spricht für Ischinger dagegen, dass
für eine Aufnahme in allen 32 Mitgliedstaaten das jeweilige Parlament
zustimmen müsste. Der ehemalige Botschafter sagte: "Als alter Praktiker
der Außenpolitik bin ich ziemlich überzeugt davon, dass es nicht nur bei
Viktor Orbán in Ungarn, sondern auch in verschiedenen anderen
Hauptstädten erhebliche Probleme geben würde."
"Wenn wir da
scheitern beim Vollzug dieser Einladung, dann würden wir politisch und
strategisch betrachtet Wladimir Putin auf dem Silbertablett ein kleines
Geschenk offerieren. Deshalb ist das leider im Moment keine gute Idee",
so Ischinger. Besser wäre es, die Ukraine so auszustatten, dass sie sich
erfolgreich verteidigen kann.
Von den Europäern fordert er mehr
Engagement in der Auseinandersetzung mit Russland: "Vor allem wir
Europäer müssten auch den USA gegenüber zeigen, dass wir bereit sind,
mehr zu tun. Denn egal, ob Donald Trump oder Joe Biden ab Januar
nächsten Jahres in Washington regieren wird: Die Erwartung wird sein,
dass Amerika sich immer stärker China zuwendet, dem neuen
Großmachtrivalen, und davon ausgeht, dass Europa reich und eigentlich
theoretisch auch stark genug ist, sich selber mit Russland und anderen
Bedrohungen hier im europäischen Raum auseinanderzusetzen."
Dazu
müssten die europäischen Staaten enger zusammenarbeiten und ihre
Verteidigung besser koordinieren. Nur so könne sowohl in Washington als
auch bei Putin der richtige Eindruck entstehen, "nämlich dass wir
imstande sind, uns und unsere Interessen, unsere Länder, unsere Grenzen,
effektiv zu verteidigen".
Ischinger hofft deshalb, dass die
Zeitenwende sich auch in den Haushaltszahlen dauerhaft niederschlagen
wird. Bei Phoenix machte er klar: "Damit wir unseren eigenen
sicherheitspolitischen Interessen genügen, müssen wir das
Zwei-Prozent-Ziel als Untergrenze betrachten. Es geht um unsere
Sicherheit, nicht nur um die der Ukraine. Und es geht nicht nur darum,
einen Wunsch von Donald Trump zu erfüllen. Es geht um uns."
Quelle: dts Nachrichtenagentur