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Johannes Schraps (SPD): Nord Stream 2 ein Thema für ganz Europa

Archivmeldung vom 02.08.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.08.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Johannes Schraps
Johannes Schraps

Bild: Benno Kraehahn

Der SPD-Europaexperte Johannes Schraps warnt davor, die Pipeline Nord Stream 2, die von Russland aus ab 2020 jährlich 110 Milliarden Kubikmeter Gas bis an die deutsche Ostseeküste befördern soll, „auf Kosten von Solidarität und Zusammenhalt in Europa“ zu bauen. „Die Sorgen unserer nord- und osteuropäischen Nachbarn sind groß, dass damit die Abhängigkeit Europas von russischer Energie wächst“, sagte der Bundestagsabgeordnete, der seit Beginn der Legislaturperiode die Bundestagsdelegation der Ostseeparlamentarierkonferenz leitet, im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag der Ausgabe „Meere“: 6. August 2018). Er könne die Sorgen gut nachvollziehen, betonte Schraps. „Es handelt es sich bei Nord Stream 2 weder um ein rein wirtschaftliches Projekt, noch betrifft es allein Deutschland und Russland. Es geht hier meiner Meinung nach um eine gesamteuropäische Frage mit geo- und sicherheitspolitischer Bedeutung und damit auch um die Zukunft der EU.“

Die Ostseeparlamentarierkonferenz, kurz BSPC, die auf eine engere Kooperation zwischen den nationalen und regionalen Parlamenten der Ostseeanrainer zielt, erfülle wegen der geopolitischen Besonderheit der Ostseeregion eine wichtige Scharnierfunktion, fügte der SPD-Politiker hinzu. Es sei auch der BSPC zu verdanken, „dass der Ostseeraum sich seit Ende des Kalten Krieges zu einer Erfolgsgeschichte der europäischen Integration entwickelt hat“.

Die nächste Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz findet vom 26. bis 28. August 2018 in Mariehamm (Finnland) statt.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Schraps, wenn Sie zum Meer fahren, wo zieht es Sie eher hin: zu Wind und Watt an der Nordsee oder an die freundlichen Badestrände der Ostsee?

Als Kind bin ich mit meinen Eltern häufig an der Nordsee gewesen - viel auf der Insel Norderney. Später war ich auch gerne an der Ostsee, weil gute Freunde in Mecklenburg-Vorpommern studiert haben. Seit ich den Vorsitz der deutschen Delegation für die Ostseeparlamentarierkonferenz übernommen habe, bin ich nun beruflich wieder häufiger dort.

Die Konferenz, kurz BSPC, blickt auf eine 17-jährige Geschichte zurück und ist auf Initiative des finnischen Parlamentspräsidenten Kalevi Sorsa entstanden. Was soll sie bewirken?

Die BSPC ist das parlamentarische Forum der Ostseeregion. Ziel ist eine engere Kooperation zwischen den nationalen und regionalen Parlamenten. Wir treffen uns einmal im Jahr, im Vordergrund stehen umweltpolitische Themen, Fragen der maritimen Sicherheit und wirtschafts-, energie- und sozialpolitische Aspekte. Zu den wichtigsten Zielen zählt die Wiederherstellung einer sauberen Ostsee.

Anders als das „Dickschiff“ EU ist die Ostseeparlamentarierkonferenz ein regional sehr eng begrenztes Format. Wo sehen Sie den größten Nutzen?

Das Gremium ist schon deshalb sehr wichtig, weil es eines der wenigen Foren darstellt, dass uns als EU-Parlamentarier mit den Vertretern aus der russischen Duma regelmäßig gemeinsam an einen Tisch bringt. Seit Vollendung der EU-Osterweiterung ist die Ostsee zwar ein Binnenmeer der EU, doch mit Russland existiert ein Anrainerland, das der Union höchstwahrscheinlich nie beitreten wird. Dass wir uns in diesem Forum auch mit den russischen Kollegen zu den grenzüberschreitenden Herausforderungen austauschen können, trägt zu einer grundsätzlichen Annäherung und zu besserer Verständigung bei. Die Konferenz erfüllt aufgrund der geopolitischen Besonderheit der Ostseeregion eine wichtige Scharnierfunktion. Es ist auch der BSPC zu verdanken, dass der Ostseeraum sich seit Ende des Kalten Krieges zu einer Erfolgsgeschichte der europäischen Integration entwickelt hat.

Welche konkreten Ergebnisse hat die Kooperation hervorgebracht?

Da könnte man viele nennen. Die Ostseeanrainer waren zum Beispiel die ersten, die 2012 eine europäische Jugendgarantie gefordert haben. Damit sollten längere Zeiten von Arbeitslosigkeit nach einem Schulabschluss vermieden werden. Heute stellt die EU dafür zirka sechs Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Die Bemühungen der Parlamentarier haben außerdem zu einem Beschluss der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) geführt, demzufolge Passagierschiffe ab 2013 beziehungsweise 2018 keine ungeklärten Abwässer mehr in die Ostsee einleiten dürfen. Eine weitere positive Entwicklung ist das Clean Baltic Shipping-Konzept, mit dem das Ziel, „Null Emissionen in der Seefahrt“ zu erreichen, festgesetzt wurde. Zwölf große Häfen arbeiten im Rahmen eines EU-Projekts gegenwärtig an der Reduzierung des Schadstoffausstoßes. Letztlich ist auch die 2009 vom Europäischen Rat beschlossene EU-Ostseestrategie als ein Resultat von BSPC-Resolutionen zu sehen.

Derzeit erhitzt der Bau der Gas-Pipeline Nord Stream 2 die Gemüter. Sie soll von Russland aus ab 2020 jährlich 110 Milliarden Kubikmeter Gas bis an die deutsche Ostseeküste befördern. Ein Thema auch unter den Ostseeanrainern?

Natürlich, denn die Sorgen unserer nord- und osteuropäischen Nachbarn sind groß, dass damit die Abhängigkeit Europas von russischer Energie wächst. Sie fürchten um die Sicherheit ihrer Länder und der EU. Ich halte es daher für berechtigt, dass sie dieses Thema in vielen Gremien zur Sprache bringen und um einen europäischen Konsens bemüht sind.

Teilen Sie die Bedenken der Länder, etwa im Baltikum?

Ich kann sie gut nachvollziehen. Es handelt es sich bei Nord Stream 2 weder um ein rein wirtschaftliches Projekt, noch betrifft es allein Deutschland und Russland. Es geht hier meiner Meinung nach um eine gesamteuropäische Frage mit geo- und sicherheitspolitischer Bedeutung und damit auch um die Zukunft der EU. Deshalb sollten wir alles tun, um zu verhindern, dass die Pipeline auf Kosten von Solidarität und Zusammenhalt in Europa gebaut wird.

Bleiben wir beim Thema Energie. In Nord- und Ostsee entstehen immer gigantischere Windparks, oft begleitet von massiven Protesten der Anwohner. Werden die deutschen Küstengebiete bald zu einem Industriepark?

Wir versuchen gemeinsam möglichst viele Lösungen zu finden, um genau das zu verhindern. Beim Bau des Windparks „Borkum West II“ wurden beispielsweise so genannte „Blasenschleier“ eingesetzt, um den Lärmpegel zu senken. Diese und andere Initiativen sind nötig, um die Flora und Fauna der Meere zu schützen.

Im Süden gibt es ein Äquivalent zur Ostseeparlamentarierkonferenz, die Union für den Mittelmeerraum. Neben den europäischen Staaten sind die Maghreb-Staaten und Länder des Nahen Ostens hier organisiert. Funktioniert die Zusammenarbeit genauso gut?

Uns beschäftigen dort regelmäßig komplizierte und kontroverse Fragen, etwa zu Terrorismusbekämpfung und Migration, zu Umweltschutz und Frauenrechten im Mittelmeerraum. Es ist oft schwierig, denn die Länder im Mittelmeerraum haben sehr unterschiedliche Ansätze und kulturelle Hintergründe. Umso wichtiger ist es, dass wir uns in solchen Gremien zusammensetzen und über Probleme sprechen. Auch hier können wir Parlamentarier viel bewirken.

Das klingt alles sehr ambitioniert. Aber finden diese vielfältigen Bemühungen auch ausreichend Resonanz in den nationalen Parlamenten beziehungsweise bei den Regierungen? Sie sollen die Resolutionen schließlich umsetzen.

Über die Beschlüsse der Ostseeparlamentarierkonferenz wird der Bundestag bisher nur schriftlich unterrichtet. Ich bin aber der Meinung, dass wir die Ergebnisse der interparlamentarischen Konferenzen - davon gibt es ja einige - auch häufiger öffentlich debattieren sollten. Damit würden wir zum einen mehr Aufmerksamkeit für grenzüberschreitende Problemlagen schaffen. Zum anderen würden Debatten im Bundestagsplenum der breiten Öffentlichkeit mehr Möglichkeiten bieten, diese Prozesse zu verfolgen.

Das Mittelmeer ist die Plastikmüllkippe Europas schlechthin, auch andere Ozeane kämpfen schwer mit dem Problem. Was halten Sie von dem Vorschlag der EU-Kommission, eine EU-weite Plastiksteuer einzuführen, als Anreiz, weniger Verpackungsmüll zu produzieren?

Ich halte die Diskussion über eine EU-weite Plastiksteuer für den richtigen Weg. Sie schafft weitere Aufmerksamkeit für ein Problem, das bereits durch erschreckende Videos riesiger Müllteppiche in unseren Meeren zunehmend im Bewusstsein vieler Menschen ankommt. Wichtiger als eine neue Steuer sind jedoch ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel und eine intelligente politische Steuerung, die zu weniger Abfall und mehr Recycling führt. Die EU-Plastikstrategie muss konsequenter fortgeführt werden, um ähnlich wie bei den Regelungen zur Ausgabe von Plastiktüten auch in anderen Bereichen den Einsatz von Plastik zu reduzieren. Eine Plastiksteuer kann hier nur ein Baustein sein.

Johannes Schraps sitzt seit September 2017 für die SPD im Bundestag und ist dort Mitglied im Europaausschuss. Außerdem leitet er die Bundestagsdelegation für die Ostseeparlamentarierkonferenz und ist Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum.

Quelle: Das Gespräch führte Johanna Metz. - Deutscher Bundestag

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