Kommissionspräsidentin von der Leyen zum Krieg in der Ukraine: "Auch für die EU steht viel auf dem Spiel"
Archivmeldung vom 06.05.2022
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.05.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat heute (Freitag) beim F.A.Z.-Leserkongress per Videokonferenz zur Zukunft Europas gesprochen. Diese Zukunft werde zum Teil in diesen Tagen entschieden, so von der Leyen. "Es geht in der Ukraine nicht allein um das Schicksal unserer Nachbarn und seiner tapferen Menschen. Auch für uns, auch für die Europäische Union steht unglaublich viel auf dem Spiel."
Dabei gehe es vor allem auch um die Frage: "Werden es Autokraten sein, die uns ihre Weltsicht aufzwingen? Oder gelingt es uns Demokraten, unsere Werte zu verteidigen? Die Antworten, die wir Europäerinnen und Europäer, aber auch andere Demokratien weltweit, auf diese Fragen geben, werden ganz klar die nächsten Jahrzehnte prägen", so die Präsidentin. "Denn der Rest der Welt beobachtet ganz genau, mit welcher Haltung und mit welcher Konsequenz wir uns für unsere Werte einsetzen." In ihrer Rede ging von der Leyen auch auf die Energiepolitik ein: "Das wirksamste Mittel, um künftig unabhängig zu werden, ist für uns der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, aus Gas, und der Umstieg auf erneuerbare Energien."
Kommissionspräsidentin von der Leyen bekräftigte: "Wir müssen uns von unserer Abhängigkeit von russischem Gas lösen. Heute importiert Europa 90 Prozent seines Gases. 45 Prozent dieser Einfuhren stammen aus Russland. Spätestens seit den Ereignissen der vergangenen Woche - sie erinnern sich, dass Gazprom Gaslieferungen nach Polen und nach Bulgarien gestoppt hat- spätestens seit dann, ist auch dem Letzten klar: Das kann so nicht weitergehen, diese Abhängigkeit. Russland ist kein zuverlässiger Partner mehr."
Die Kommission arbeite bereits seit einigen Monaten mit Hochdruck daran, die europäischen Gasimporte aus Russland zu senken: "Sie wissen, dass wir jetzt quasi im Wochentakt alternative Bezugsquellen, Flüssiggas zum Beispiel, aus aller Welt erschließen. Die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel auch Deutschland, sind sehr aktiv, dafür bin ich sehr dankbar. Aber wir auch auf der europäischen Ebene tragen unseren Teil bei. Ich habe vor Ostern mit dem amerikanischen Präsident Biden zum Beispiel zusätzliche Flüssiggas-Lieferungen aus den USA vereinbart, die, in der Menge, ab nächstem Jahr ein Drittel des russischen Gases schon mal ersetzen. Das ist gut, aber wir müssen natürlich noch mehr machen", so von der Leyen.
Sie sagte weiter: "Wenn man es mal ganz einfach auf den Punkt bringt, ob das nun Sonnenenergie ist, oder Windkraft, Wasserkraft oder Biomasse, jede weitere Kilowattstunde Strom, die wir hier in Europa aus erneuerbaren Energien selbst produzieren, verringert unsere Abhängigkeit von anderen, ist gut für unser Klima und unseren Planeten, und schafft Arbeitsplätze hier zuhause. Der Ausbau der heimischen erneuerbaren Energien ist gleichzeitig unsere beste Antwort auf die steigenden Energiepreise. Denn es sind die kohlenstofflastigen, das heißt die alten Energien - Öl, Kohle und Gas - die jetzt immer teurer werden. Es sind die Gaspreise, die durch die Decke schießen. Die Kosten für erneuerbare Energien dagegen sinken seit vielen Jahren kontinuierlich."
Mit Blick auf die erneuerbaren Energien sei man auf einem guten Weg, um mehr Versorgungssicherheit für unseren Kontinent zu erreichen, betonte die Kommissionpräsidentin. Doch Europa müsse den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigen: "Einerseits durch Investition. Aber andererseits auch um den erneuerbaren Energien gewissermaßen Vorfahrt zu geben. Das heißt, wenn wir uns das ganze Thema Genehmigungsverfahren anschauen, dann müssen wir jetzt schnellere Genehmigungen für den Ausbau von Windparks, für das Aufstellen von Windrädern haben und all diese Themen, die dazu gehören. Wir bauen unsere Ziele für grünen Wasserstoff auch deutlich aus. Ich bin der festen Überzeugung, dass der grüne Wasserstoff die Energieform ist, die wichtigen Teilen unserer heimischen Industrie eine produktive und eine emissionsfreie Zukunft ermöglichen wird."
Zum geplanten Öl-Embargo sagte die Kommissionspräsidentin: "Sie wissen aus der aktuellen Diskussion, dass wir als nächsten Schritt ein Ölembargo verhängen wollen. Ich habe gleich gesagt, dass das nicht einfach wird. Aber wir können nicht auf Dauer große Summen an ein Land überweisen, das unsere Nachbarn mit einem durch nichts zu rechtfertigenden Krieg überzieht. Der Export von Öl und auch von den auf Öl basierenden Produkten, wie zum Beispiel Diesel und Heizöl, ist eine der Haupteinnahmequellen des Kreml. Und genau diese Einnahmequelle wollen wir in den nächsten Monaten trockenlegen, damit es eben nicht möglich ist, dass Putin weiter seinen Krieg finanziert. Wir wollen diese Einnahmequelle so trockenlegen, dass es dem Kreml maximal schadet - während wir unsere Wirtschaft schonen, soweit das irgendwie möglich ist. Das heißt, das ist eine ganz feine Linie, die wir finden müssen. Warum? Weil unsere wirtschaftliche Stärke natürlich ein mächtiger Hebel ist, um die Ukraine zu unterstützen, auf der einen Seite, und um, auf der anderen Seite, Druck auf Russland auszuüben. Die Unabhängigkeit von Russlands Willkür und von seinen Rohstoffen erfordert natürlich auch von uns einen Preis. Aber der Preis für den Kreml ist ungleich höher."
Von der Leyen ging auch auf die Unterstützung der EU für die Ukraine ein. "Die Europäische Union leistet in der Ukraine seit dem ersten Tag der Invasion wirtschaftliche und humanitäre Hilfe in Milliardenhöhe. Um Ihnen eine Zahl zu geben: Alleine in den letzten zehn Wochen, haben wir dafür 4 Milliarden Euro eingesetzt. Sie wissen, dass wir den Ankauf von Waffen für die ukrainische Armee zu ihrer Verteidigung in Höhe von bisher 1,5 Milliarden Euro finanziert haben. Das ist das allererste Mal, dass die Europäische Union diesen Schritt unternimmt. Und ganz wichtig: Wir kümmern uns um die mittlerweile fünf Millionen Menschen, die aus der Ukraine wegen Putins Bomben geflohen sind. Vor allem hat aber unsere Union - immerhin 27 Mitgliedstaaten - einstimmig und in großer Geschwindigkeit in diesen zehn Wochen harte Sanktionspakete beschlossen."
Abschließend sagte von der der Leyen: "Wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen so tapfer, weil sie genau wissen, was für eine Zukunft sie wollen. Sie wollen kein Leben unter der Willkür des Autokraten - ohne bürgerliche Freiheiten, ohne demokratischen Diskurs, ohne freie Presse. Wofür die Menschen, die ich in Kyiv und Butscha getroffen habe, kämpfen, das ist eine Zukunft als freie und als offene Gesellschaft. Als Demokratie, es sind unsere europäischen Werte, die sie verteidigen. Sie wollen nicht mehr und nicht weniger als die Zugehörigkeit zu einer starken demokratischen Gemeinschaft.
Mich haben die Gespräche mit den Menschen in der Ukraine zutiefst berührt. Denn in dem Sehnen, geradezu, dem Sehnen der jungen Generation in der Ukraine spiegelt sich wieder, was wir in den vergangenen Jahrzehnten als europäische Gemeinschaft erreicht haben und was wir viel zu häufig als selbstverständlich ansehen. Der Frieden, die Freiheit, die Rechtsordnung und die wirtschaftliche Sicherheit, die uns Europa gebracht hat. Es lohnt sich, für dieses Europa einzustehen; es lohnt sich für dieses Europa zu kämpfen; und es lohnt sich, in dieses Europa zu investieren und es jeden Tag zu festigen. Denn unsere Zukunft, das ist dieses Europa. Daher freue ich mich nun auf unsere Diskussion."
Quelle: Europäische Kommission (ots)