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Interview mit dem GKSS-Biologen Carlo von Bernem zur Ölpest im Golf von Mexiko

Archivmeldung vom 21.05.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.05.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: de.wikipedia.org
Bild: de.wikipedia.org

Der verzweifelte Kampf gegen die Ölpest im Golf von Mexiko droht zu scheitern. Der Ölteppich wird durch eine Meeresströmung Richtung Kuba und Florida geschwemmt. An den Küsten wird eine Katastrophe erwartet. Nach dem Sinken der "Deepwater Horizon" strömen täglich Tausende Liter Öl ungehindert ins Meer. Carlo van Bernem, Biologe am GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht, erwartet, dass künftig stärker auf die Einhaltung der Sicherheitsauflagen geachtet wird. Gerade jetzt rüsten die Ölmultis zu Tiefseebohrungen in der bald eisfreien arktischen See.

Nachdem viele Optionen platzten, gelang es BP jetzt, ein Absaugrohr nahe der Ölquelle im Golf zu installieren. Kann eine ökologische Katastrophe ganz neuer Dimension noch verhindert werden?

Carlo van Bernem: Das Ausmaß der ökologischen Katastrophe hängt ganz stark vom Grad der Verschmutzung mit Öl ab. Je weniger Öl ins Wasser und an die Küste gelangt, desto geringer die Schädigung der Lebensgemeinschaften.

Die zuletzt genannten Zahlen waren erschreckend: Bis zu 600000 Liter Öl sollen täglich ins Meer fließen. Kann diese Menge noch abgefangen werden?

Van Bernem: Man hofft, dass man in den kommenden Tagen die Quelle mit unterschiedlichen technischen Mitteln verstopfen kann. Gelänge das, wäre viel erreicht. Gleichwohl stellt das Öl, das bereits im Wasser treibt, eine erhebliche Gefahr dar. Je nach Windrichtung sind das Mississippi-Delta und die umgebenden Buchten und Inseln gefährdet.

Welche Ökosysteme sind dort besonders bedroht?

Van Bernem: Das sind allesamt höchst empfindliche Sys"teme: Zum ersten die vorgelagerten Korallenriffe, die durch frei im Wasser treibendes Öl stark geschädigt werden. Dann die Mangroven selbst. Denn ihre Luftwurzeln werden durch Öl benetzt und verstopft. Im Ergebnis können die Mangrovenwälder flächendeckend absterben. Zudem kann das Öl auch in Wohnhöhlen von Organismen eindringen, die im Sediment der Mangrovenwälder leben. Dort wird es kaum abgebaut, weil im Schlick unter Luftabschluss anaerobe Verhältnisse vorherrschen. Die Mangroven selbst sind Brutstätten für kleine Krebse und Fische. Neben den ökologischen Schäden wird vor allem die Fischerei auch einen wirtschaftlichen Einbruch erleiden.

Es gab ja schon Präzedenzfälle: Wie lange brauchen Mangrovenwälder zur Regeneration?

Van Bernem: Eine der am besten untersuchten Ölunfälle geschah 1986 vor Panama. Damals lief Rohöl aus dem Vorratstank einer Raffinerie aus und verschmutzte die benachbarten Mangroven. Folgeschäden waren noch 20 Jahre später feststellbar. Das waren aber insgesamt nur 10000 Tonnen -- also deutlich geringere Mengen im Vergleich zum aktuellen Fall.

Ölsperren aus Menschenhaar sollten das Desaster fernhalten. Jetzt zeigt sich: Die größte Menge des Öls bewegt sich unter der Wasseroberfläche. Drohen Todeszonen in der Tiefe?

Van Bernem: In der Tiefe wohl eher nicht. Zunächst mal kann sich das Öl wohl nur deswegen in der Wassersäule bewegen, weil es sich beim Austritt aus dem Bohrloch mit Sediment verbunden hat. Anderenfalls würde das sehr viel leichtere Öl grundsätzlich auf der Wasseroberfläche treiben. Treibt das Öl in der lichtdurchfluteten Zone des Wassers, werden vor allem die Korallenriffe bedroht -- denn in diesem Bereich befinden sich die lebenden Korallen.

Korallenriffe gelten als Kinderstube vieler Arten. Welche Lebewesen sind am stärksten betroffen?

Van Bernem: Das beginnt bei Mikroalgen, die in Symbiose mit Korallen leben, über Weichtiere bis hin zu standorttreuen Fischen. Es kommt zwar nicht zu einem Artensterben, aber die lokalen Bestände können vernichtet werden. Diese können sich erholen, wenn benachbarte Regenerationszonen erhalten bleiben, von denen Individuen den vom Unfall betroffenen Bereich später wieder besiedeln können. Insgesamt sind die Schäden an den Korallenriffen zwar als gravierend anzusehen, insgesamt aber nicht so katastrophal wie die in den Mangroven.

In wenigen Wochen beginnt die Hurrikan-Saison. Droht eine nachhaltige Vergiftung auch der Böden im Hinterland oder eine Verteilung des Öls im Ozean?

Van Bernem: Wenn südliche Winde vorherrschen, wird das Öl in die Mangroven getrieben, was diese absterben lässt. Damit büßen die Mangroven ihre Küs"tenschutz-Funktion ein. Das Land hat der Erosion kaum noch etwas entgegenzusetzen. In der Folge wird das Öl noch weiter ins Landesinnere gelangen. Im anderen Fall zerschlagen hochenergetische Ereignisse wie Hurrikane den Ölteppich. In kleineren Einheiten damit kann das Öl leichter von Mikroorganismen abgebaut werden, weil die Angriffsfläche größer ist.

Also droht keine schleichende, Jahrzehnte dauernde Katastrophe aufgrund der Menge des schon im Meer befindlichen Öls?

Van Bernem: Doch, die droht schon. Nämlich, wenn das Öl den Bereich der Mangroven erreicht, der den Gezeiten ausgesetzt ist. Denn dort kann das Öl in den Boden eindringen, etwa in die Wohnhöhlen von Schlickbewohnern. Da überdauert das Öl in fast frischem Zustand, wird nicht abgebaut, und sorgt so für eine chronische Ölverschmutzung in dem lokal betroffenen Bereich.

Vermutlich sind verseuchte Mangrovenwälder auch kaum mechanisch zu reinigen...

Van Bernem: In der Tat, das weiß jeder, der mal in den Mangrovenwäldern war. Diese sind extrem unzugänglich. Großes Gerät hat da keinen Raum, selbst mit kleinem Gerät würde es schwierig. In den Bayous, den Kanälen des Deltas, wird man noch einiges tun können, aber in der Mangrove selbst so gut wie nichts.

Trotz "Deepwater Horizon" träumen Ölkonzerne von der Förderung im bald eisfreien arktischen Meer. Wie würden die arktischen Ökosysteme auf einen Ölunfall reagieren?

Van Bernem: In der Arktis dauert der Ölabbau durch Mikroorganismen, wie er im Golf von Mexiko stattfindet, wesentlich länger. Im Golf finden sich zum einen angepasste Mikroben in hoher Zahl, weil es dort schon seit Jahrzehnten leichtere bis starke Verschmutzungen durch Öl gibt. Diese an das Öl gewöhnte mikrobielle Gesellschaft fehlt in der Arktis, wo die Kälte den Abbau zusätzlich verlangsamt. Die Ökosysteme im arktischen Meer mögen im Einzelnen nicht ganz so empfindlich sein wie Korallenriffe und Mangroven, aber der Abbau des Öls würde extrem langsam verlaufen.

Welche Folgen hätte ein vergleichbarer Unfall in der Nordsee?

Van Bernem: Für die deutsche Nordseeküste hat die GKSS ein spezielles Empfindlichkeitsraster entwickelt, das der Vorsorgeplanung dient. Das Wattenmeer ist ähnlich verletzlich wie die Mangroven. Auch hier gibt es Schlick, in dessen Hohlräume Öl einsickern könnte -- das wirkt wie ein Schwamm. Bei Muschelbänken hätte dies verheerende Folgen. Das Öl könnte metertief eindringen und auf Jahre hinaus den Bereich verschmutzen. Brutvögel schwimmen im Wattenmeer zu bestimmten Zeiten zu Tausenden auf dem Wasser. Ein Ölteppich würde eine ganze Generation auslöschen.

Ist das von Ihnen entwickelte Raster angesichts der Dimensionen möglicher Schäden nicht Augenwischerei?

Van Bernem: Nein, das ist aus zwei Gründen keine Augenwischerei: Zum ersten ist es extrem schwierig, in Flachwassergebieten mit hochtechnisiertem Gerät zur Ölbekämpfung zu arbeiten. Da man also niemals die gesamten Mangrovenwälder oder die gesamte Wattenmeerküste schützen kann, muss man sich etwas einfallen lassen, um zumindest einzelne lokale Bereiche zu schützen. Diese können dann im Falle einer Katastrophe als Regenerationszonen dienen, um die Wiederbesiedelung der betroffenen Gebiete zu beschleunigen. Zweitens ist ein entsprechendes Raster wichtig für Schadenersatzleistungen. Nur, wenn man weiß, was vor Ort war, kann das für die Havarie verantwortliche Unternehmen in entsprechendem Umfang zur Kasse gebeten werden.

Sind Großtechnologieprojekte im noch so weitgehend unverstandenen Ozean nicht grundsätzlich zu riskant?

Van Bernem: Zumindest birgt jede derartige Technik ein erhebliches Risiko in sich, wie "Deepwater Horizon" zeigte, eine der modernsten Offshore-Anlagen der Welt. Das Positive an einem solchen Unfall wie dem im Golf von Mexiko ist, dass die Sicherheitsauflagen garantiert verstärkt werden. Denn im Golf wurden einige Sicherheitsauflagen nicht eingehalten oder nur ungenügend geprüft. Tiefseebohrungen können nie ohne Risiko sein, aber sie müssen strengen Kontrollen unterliegen.

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Interview Joachim Zießler)

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