Blogger: Türkei-Putsch nicht ohne USA
Archivmeldung vom 16.07.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSeit Wochen kursierten im politischen Washington Gerüchte über einen Militärputsch in der Türkei. Ausgelöst hatte diese Vermutungen der Artikel „Could there be a coup in Turkey?“ von Michael Rubin im Blog des neokonservativen „American Enterprise Institute“.
Die deutsche Ausgabe des russischen online Magazins "Sputnik" berichtet weiter: "Das „American Enterprise Institute for Public Policy Research (AEI)“ ist ein reaktionärer US-amerikanischer Think Tank in Washington, D.C. und gilt als Denkfabrik jenes militärisch industriellen Komplexes in den USA, der sich wesentlich durch die Regierungen des Bush-Clans (Vater und Sohn) vertreten sah. Namen wie Richard Perle, Lynne Cheney und Irving Kristol sind unter den prominenten Fellows des Institut zu finden. Michael Rubin berät für das US-amerikanische Militär hochrangige Offiziere, die in den Irak oder nach Afghanistan beordert werden.
Auch wenn US-Präsident Obama anlässlich des aktuellen Putsch-Versuchs zur Unterstützung der „demokratisch gewählten“ Regierung in der Türkei aufgerufen hat, ist nicht auszuschließen, dass eine andere Fraktion der US-Herrschaften eine andere Politik in der Türkei wünscht. Die Republik Türkei ist seit 1952 Mitglied der NATO, nahezu zeitgleich kämpfte die türkische Armee an der Seite der US-Armee im Korea-Krieg (1951-53): Rund 6000 türkische Soldaten unterstützen den Machtanspruch der USA im Konflikt mit der Volksrepublik China. Seit dieser Zeit ist die Zusammenarbeit zwischen der US-Armee und den Türk Silahlı Kuvvetleri, den türkischen Streitkräften mehr als eng.
Die türkische Armee begreift sich selbst als Hüterin der Verfassung. Einer Verfassung, die Präsident Erdogan durch seine Angriffe auf den dort verankerten Laizismus und seine diktatorischen Ansprüche seit langem gefährdet. Im Artikel 2 der Verfassung definiert sich die Türkei als „demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat“. Nicht einer dieser Punkte entspricht der Verfassungswirklichkeit. Das hat die USA bislang nicht gekümmert. Was den Spitzen der US-Politik aber seit geraumer Zeit Sorgen macht, ist der offensichtliche Anspruch der Erdogan-Türkei, das Erbe der Osmanen anzutreten. Im März 2013 ließ der damalige Außenminister Ahmet Davutoglu die osmanische Katze aus dem Sack: „Das letzte Jahrhundert war für uns nur ein Einschub. Wir werden diesen Einschub beenden. (…) Wir werden Sarajevo wieder mit Damaskus verbinden, Benghazi mit Erzurum und Batumi.“
Während die USA zum Bespiel in Syrien kurdische Kräfte unterstützte, in der Hoffnung damit die Regierung Assad zu schwächen und auf eine Spaltung des syrischen Staatsgebietes setzte, kollaborierte die Türkei mit unterschiedlichen sunnitschen Terrorgruppen, bis hin zur logistischen Unterstützung des „Islamischen Staats“. Die beiden Nato-Partner, die auf dem Stützpunkt Incirlik Air Base einsatzfähige Atomsprengköpfe unter Verfügung der USA lagern, sind längst zu konkurrierenden Kräften geworden.
Schon mehrfach hat das türkische Militär in seiner Geschichte geputscht. Der erste und gravierendste Putsch führte am 27. Mai 1960 zur Absetzung des damaligen Ministerpräsidenten Adnan Menderes und zu dessen Hinrichtung. Menderes, unter dessen Ägide das Pogrom von Istanbul inszeniert wurde, das sich gegen die griechische Minderheit in der Türkei richtet und rund 100.000 Griechen zum Exodus trieb, war zugleich ein früher Islamist. Das war auch der Hauptgrund für den Militär-Putsch: Der Versuch von Menderes, die Türkei aus dem verfassungsmässigen Laizismus zu lösen: „Wir haben“, erklärte Menderes damals, „unsere bis jetzt unterdrückte Religion von der Unterdrückung befreit. Ohne das Geschrei der besessenen Reformisten zu beachten, haben wir den Gebetsruf wieder auf das Arabische umgestellt, den Religionsunterricht an den Schulen eingeführt und im Radio die Rezitation des Koran zugelassen. Der türkische Staat ist muslimisch und wird muslimisch bleiben. Alles, was der Islam fordert, wird von der Regierung eingehalten werden.“ Wer Ähnlichkeiten zum Edogan-Regime erkennt, irrt nicht.
Der Putschversuch hat nach Angaben aus dem Bundesverteidigungsministerium "keine Auswirkungen" auf die Bundeswehrsoldaten in Incirlik. Auf dem Stützpunkt im Süden der Türkei sind derzeit 240 deutsche Soldaten stationiert. Sie beteiligen sich an den Tornado-Aufklärungsflügen gegen den "Islamischen Staat". Spätestens jetzt ist das hinrissige Gehabe der „neuen deutschen Herausforderung“ zu erkennen: An welcher Seite steht die Bundeswehr treu zu ihrem NATO-Partner? An der Seite der gewählten Regierung mit diktatorischen Ambitionen? Oder an der Seite des türkischen Militärs, das zumindest mit der Billigung einer US-Fraktion in Washington gerade versucht hat, zu putschen? Die Wahl wird der Regierung Merkel nicht schwer fallen. Wer soll und kann den Job übernehmen, die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten an ihrer Reise in die EU zu hindern? Das ist die Seite, auf der die Kanzlerin steht.
Ist Putschversuch in der Türkei eine Inszenierung?
Der gescheiterte Putschversuch kann eine Art Inszenierung sein, die zur Verstärkung der persönlichen Macht des türkischen Staatspräsidenten beiträgt, sagte der Vertreter der syrischen Kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) in Moskau, Abd Salam Ali, in einem Interview am Samstag.
„Vielleicht ist es ein neuer Plan seinerseits, ein Theaterspiel, ein Szenario. All das wurde so mühelos innerhalb von sechs Stunden gestoppt", zweifelt Ali.
„Bei seiner Fernsehansprache war Erdoğan nicht aufgeregt. Dabei konnten die Meuterer ihm etwas antun, selbst als er nach Istanbul flog. Er flog aber ganz ruhig aus Marmaris weg und sagte, er komme nach Istanbul", betonte Ali.
Eine solche Inszenierung könne auf die Verstärkung der persönlichen Macht Erdoğans abzielen, der seit langem auf den Übergang vom parlamentarischen zum Präsidialsystem drängt, nimmt Ali an. Andererseits solle ein solcher Militärputsch die Bevölkerung von zahlreichen internen und externen Problemen ablenken.
„Seine (Erdoğans — Anm. d. Red.) Politik und die totale Islamisierung der Türkei haben vielen nicht zugesagt." Außerdem sei man nicht begeistert von der Innenpolitik Erdoğans sowie von dem Versuch der Verfassungsänderung, dem Bürgerkrieg im Südosten der Türkei (gegen die Kurden — Anm. d. Red.), von fünf Jahren Einmischung in die syrischen Angelegenheiten, der Unterstützung des „Islamischen Staates" durch die Türkei und den Problemen in den Beziehungen zu dem Irak, den USA und Russland. „Eine vollständige Unzufriedenheit mit seiner Tätigkeit", schilderte Ali die Position eines Teils der türkischen Bevölkerung.
Erdoğan werde seine weitere Politik revidieren müssen, obwohl der Militärputsch gescheitert sei, sagte Ali: „Die Gesellschaft ist gespalten, und diese Ereignisse sind noch nicht das Ende."
Quelle: Sputnik (Deutschland)