Deutsche Familie von US-Soldaten im Irak beschossen - Staatsanwaltschaft Ulm ermittelt
Archivmeldung vom 06.10.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEine deutsch-irakische Familie aus Geislingen in Baden-Württemberg ist nach Informationen des NDR Polit-Magazins „Panorama“ und der Zeitschrift „Stern“ Ende Juli im Irak von US-Soldaten beschossen und verletzt worden. Der Vater und seine vier Kinder waren auf dem Weg nach Bagdad, um ihre Familie zu besuchen, als Soldaten der US-Armee das Auto ohne Vorwarnung – so schildert es der Vater – unter Feuer nahmen.
Vier Mitglieder der Familie wurden
verletzt, die meisten schwer. Die US-Armee hat den
Untersuchungsbericht zu dem Zwischenfall bis heute nicht an deutsche
Behörden weitergegeben. Der Familienvater wurde nach
„Panorama“-Informationen (Sendung: Donnerstag, 6. Oktober, 21.45 Uhr,
Das Erste) von der US-Botschaft gedrängt, sich nicht an die
Öffentlichkeit zu wenden. Die Staatsanwaltschaft Ulm hat die
Ermittlungen aufgenommen (Az 21 AR 815/05).
Am 30. Juli 2005 gegen 23.00 Uhr stieß der Vater der Familie Al-
Moien etwa 120 Kilometer vor Bagdad, nahe der Stadt Ramadi, auf der
Autobahn auf einen langsam vorweg fahrenden Konvoi der US-Armee. Er
setzte den Blinker, um zu
überholen, und wurde - so die Aussage aller Familienmitglieder -
sofort unter Beschuss genommen. Er habe daraufhin gewendet und sei
über die Gegenfahrbahn geflüchtet. Dennoch zielten die US-Soldaten
weiter auf das Auto der Familie. Vier der fünf Fahrzeuginsassen
wurden jeweils von hinten getroffen.
Der Vater erlitt zwei Schüsse im
unteren Rückenbereich. Die beiden Kugeln befinden sich noch heute in
seinem Körper, da ihre Entfernung bislang zu riskant erschien. Seine
14-jährige Tochter Zainab wurde von fünf Kugeln getroffen, die einen
Unterschenkel und ihr Handgelenk schwer verletzten. Noch heute kann
sie ihre rechte Hand nicht bewegen. Der 10-jährige Mahmoud ist am
schwersten verletzt, er wurde von einer Kugel am Kopf getroffen. Ein
Teil der Schädeldecke musste ihm entfernt werden, eine
Rücktransplantation steht noch aus. Den 12-jährigen Sohn Hassan
trafen zwei Kugeln am Unterschenkel.
Nach Angaben des Anwalts der
Familie, Wolfgang Kaleck, hat die deutsche Staatsangehörigkeit der
Familie möglicherweise das Leben gerettet: „Wir müssen davon
ausgehen, das solche Vorfälle tagtäglich auf irakischen Straßen
passieren. Und ich möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn Herr
al-Moien nicht auf sein deutsches Autokennzeichen und seine deutschen
Pässe verwiesen hätte“, so Kaleck in „Panorama“.
So wurde die Familie
nach Hinweis auf die deutsche Staatsbürgerschaft sofort ärztlich
versorgt, per Hubschrauber evakuiert und in einem
US-Militärkrankenhaus sorgfältig behandelt. Den deutschen Behörden
wurde allerdings keine Mitteilung von dem Vorfall gemacht. Erst durch
eine zufällige Zeugenaussage erhielt die deutsche Botschaft Kenntnis
von dem Geschehen und veranlasste die Flugüberführung der gesamten
Familie mit einer US-Militärmaschine nach Ramstein, Deutschland.
In Deutschland besuchte eine ranghohe Diplomatin der US-Botschaft in
Berlin die Familie. Sie bat den Vater, den Vorgang nicht in die
Öffentlichkeit zu tragen. Offenbar befürchtet die US-Regierung, der
Vorfall könnte „politisch heikel für die Beziehungen zur deutschen
Regierung sein.“
Den Fall haben die US-Behörden bereits abschließend
untersucht, der Bericht wurde aber weder an deutsche Behörden noch an
die Familie weitergegeben. Schriftlich behauptete die US-Botschaft
gegenüber „Panorama“, es habe Stoppsignale seitens der Soldaten
gegeben. Nähere Ausführungen und ein Interview mit „Panorama“ lehnten
die US-Behörden allerdings ab.
Quelle: Pressemitteilung ARD / NDR