Lawrow lässt „Bombe“ platzen: Neues im Skripal-Fall bringt London in Bredouille
Archivmeldung vom 17.04.2018
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Freigeschaltet durch André OttIm Unterschied zu seinen westlichen Partnern, die souveräne Staaten gerne mit Raketen und Bomben angreifen, zieht Russland es vor, „Bomben“ auf anderen Gebieten zu „zünden“. Als die USA, Großbritannien und Frankreich ihre Raketen auf Syrien abfeuerten, dem sie den Einsatz von Chemiewaffen vorwerfen, veröffentlichte der russische Außenminister, Sergej Lawrow, am selben Tag einige Informationen über einen anderen „Chemiewaffen-Fall“.
Weiter schreibt die deutsche Ausgabe von Sputnik: "In einer Sitzung des russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik teilte er mit, dass Moskau auf vertraulicher Basis einen Bericht von Experten des Schweizer Labors Spiez erhalten habe, das sich auf den Schutz der Bevölkerung vor atomaren, biologischen und chemischen Bedrohungen spezialisiert. Seine Experten hätten die Stoffe analysiert, die am Ort des Giftanschlags auf Sergej und Julia Skripal in Salisbury gesammelt und ihnen von der OPCW zur Verfügung gestellt worden seien.
Hier ist ein Zitat aus dem von Lawrow vorgelesenen Dokument: „Im Rahmen der Expertise wurden in den Proben Spuren des toxischen Stoffes BZ und seine Präkursoren entdeckt, die laut dem Chemiewaffenübereinkommen als Chemiewaffen zweiter Kategorie gelten. BZ ist ein nervenschädigender Giftstoff, der einen Menschen vorübergehend außer Gefecht setzen kann. Der psychotoxische Effekt wird 30 bis 60 Minuten nach der Anwendung erreicht und dauert bis zu vier Tage an. Über entsprechende Rezepte verfügten die Streitkräfte der USA, Großbritanniens und einige andere Nato-Länder. In der Sowjetunion beziehungsweise Russland wurden solche chemischen Zusammensetzungen nicht entwickelt.“
Angesichts dessen stellte Moskau die durchaus begründete Frage: Warum wurden die Schlussfolgerungen der Schweizer Experten im OPCW-Bericht zum Giftanschlag in Salisbury nicht berücksichtigt?
Was das Labor Spiez angeht, so verweigerten seine Vertreter einen Kommentar zur Aussage Lawrows und verwiesen darauf, dass nur die OPCW berechtigt sei, die Worte des russischen Außenministers zu kommentieren. Zugleich unterstrichen sie aber, dass ihre Ermittlungsstandards so streng seien, dass man ihnen glauben könne.
Im Grunde geht es jetzt nicht mehr darum, dass Wissenschaftlern Ergebnisse vorliegen, die den offiziellen Behörden nicht gefallen, sodass diese Behörden jetzt Fakten fälschen. Viel interessanter ist, welche Instanzen und Personen sich mit der Faktenfälschung beschäftigen.
Vor weniger als zwei Wochen war im Kontext des „Falls Skripal“ ein Skandal ausgebrochen. Es hatte sich herausstellt, dass der britische Außenminister, Boris Johnson, gelogen hatte, als er über die Ergebnisse der Expertisen erzählte und Russland den Anschlag auf die Skripals vorwarf.
Aber in diesem Fall wunderten sich die meisten Menschen nicht darüber, dass die Regierung in London lügt, sondern darüber, wie ungeschickt sie das tut. Das ist ja nahezu beleidigend für einen Staat, der jahrhundertelang die Raffinesse und Spitzfindigkeit in der internationalen Arena verkörperte. Was aber die OPCW und ihren Beschluss über den „Fall Skripal“ angeht, so ist die Situation ganz anders.
Seit den Zeiten des Kalten Kriegs, in dem zwei Supermächte einander gegenüberstanden, gibt es in der Welt ein System von internationalen Organisationen, deren wichtigste Aufgabe war beziehungsweise ist, die Balance und Stabilität in der Welt aufrechtzuerhalten. Ihr Fundament bildeten ihre Unabhängigkeit und Objektivität. Nur so konnte erreicht werden, dass die Seiten, die einander nicht vertrauten, auf diese Organisationen setzen konnten. Dieses System hatte einen riesigen „Festigkeitsgrad“. Immerhin existierte es fast 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs und der Etablierung der globalen Hegemonie der USA.
Aber alles hat irgendwann ein Ende – auch dieses System scheint keine Ausnahme zu sein. Dafür gibt es etliche Beispiele in ganz verschiedenen Bereichen. Erst vor einem Jahr hatten viele geglaubt, der Dopingskandal würde für russische Athleten keine allzu schlimmen Folgen haben, denn das IOC wäre eine ernsthafte Organisation, die sich selbst nicht schaden und die Olympia-Bewegung nicht zerstören würde. Aber am Ende durften viele russische Sportler nicht an den Winterspielen in Pyeongchang teilnehmen.
Auch die Uno ist in letzter Zeit rein formell und so gut wie nutzlos geworden. UN-Generalsekretär António Guterres war nicht einmal mutig genug, die jüngsten westlichen Raketenschläge gegen Syrien zu verurteilen und rief die Seiten lediglich zur „Zurückhaltung“ auf.
Jetzt scheint auch die OPCW an der Reihe zu sein. In den letzten Tagen wurde sehr viel über die OPCW und ihren Ruf gesprochen. Man erwartete, dass die Organisation ihren Ruf nicht aufs Spiel setzen würde, sodass man ihren Schlussfolgerungen glauben könnte – und das sollte bedeuten, dass die Beschuldigungen gegen Russland, es würde hinter dem „Fall Skripal“ stehen, sich verflüchtigen würden.
Jetzt sind aber die Ergebnisse allgemein bekannt. Aus der Erklärung Sergej Lawrows kann geschlossen werden, dass im OPCW-Bericht mindestens ein Fakt verschwiegen wurde, der Russland unmittelbar „freisprechen“ sollte. Und der Bericht selbst war so unklar formuliert, dass man ihn in jede Richtung deuten könnte.
Die Frage, wozu die OPCW ihr Image als angesehene Organisation im Grunde „begraben“ hat, ist in dieser Situation so gut wie rhetorisch. Die Ironie des Schicksals besteht darin, dass all diese einst angesehen und einflussreichen internationalen Organisationen quasi „Selbstmord“ begehen, um dem Hegemon einen Gefallen zu tun. Denn die globale Dominanz dieses Hegemons zerbricht vor den Augen der ganzen Welt.
Quelle: Sputnik (Deutschland)