Iran-Experten Dustin Dehéz: ,,Man kann Wissen nicht bombardieren"
Archivmeldung vom 12.04.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUnmittelbar nach dem Scheitern der jüngsten Atomgespräche in Kasachstan hat der Iran die Förderung in zwei Uran-Bergwerken aufgenommen. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad sagte, der Westen könne Iran nicht mehr von der Atomkraft fernhalten. Der Westen wirft dem Iran vor, unter dem Deckmantel eines zivilen Nuklearprogramms an Atombomben zu arbeiten. Die Islamische Republik weist dies zurück und pocht seit Jahren auf ihr Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Wie soll der Westen mit Irans Atomprogramm umgehen? Iran-Experte Dustin Dehéz kritisiert, dass die Sanktionspolitik nicht durchdacht wurde und dass eine schiitische Atombombe eine sunnitische nach sich ziehen würde.
Obwohl der Westen und Iran derzeit das Interesse daran teilen, dass Syrien nicht zur Basis für sunnitischen Terror wird, gelang im Atompoker keine Annäherung. Im Gegenteil: Teheran kündigte die Ausweitung des Atomprogramms an. Hält Teheran die Welt bloß hin, wie Israel argwöhnt?
Dustin Dehéz: Nein. Aus Teherans Sicht gibt es relativ wenig Anreiz, sein Atomprogramm aufzugeben. Sogar der in diesem Punkt vorsichtig schätzende US-Präsident geht davon aus, dass das Regime in Teheran ungefähr ein Jahr davon entfernt ist, alle Teile des Puzzles zum Bau einer Bombe in der Hand zu haben -- wenn es das denn will. Auf der Zielgerade eines seit Jahrzehnten verfolgten Programms gibt es keinen überzeugenden Anreiz, den Schlussspurt noch abzubrechen.
Oft schwankt Teherans Außenpolitik zwischen Pragmatismus und Propaganda. Spiegelt der Schlingerkurs innere Machtkämpfe wider?
Dehéz: Ja, auf jeden Fall. In Bezug auf das Atomprogramm ist für den Westen die entscheidende Frage, ob der Iran ein rationaler Akteur ist. In diesem Fall wäre eine nukleare Bewaffnung nicht so gravierend. Es wäre zwar nicht schön, aber handhabbar -- und vor allem die bessere Alternative zum Krieg. Die Frage aber ist sehr schwer zu beantworten, weil wir lediglich darauf wetten, dass der Iran ein rationaler Akteur ist -- ohne es hundertprozentig zu wissen. Im Iran selbst werden alle wesentlichen Entscheidungen letztlich von Revolutionsführer Ali Chamenei getroffen. Er entwirft die große Linie. Nicht mal Präsident Ahmadinedschad kann an dessen Vorgaben vorbeigehen. Auch wenn wir uns in Europa über die hetzerischen Äußerungen Ahmadinedschad aufregen, sind diese eigentlich nicht relevant. Weil die Richtlinienkompetenz beim jeweiligen Revolutionsführer liegt, ist die iranische Außen- und Sicherheitspolitik seit der Revolution von 1979 erstaunlich konstant geblieben. Das sieht man auch am Atomprogramm selbst, das de facto bereits unter dem Schah gestartet wurde und vom jetzigen Regime nur fortgeführt wurde.
Konstant ist trotz aller inneren Zersplitterung der iranischen Gesellschaft auch der Konsens über die Legitimität des Atomprogramms. Ist dieses deshalb nicht verhandelbar?
Dehéz: Es stimmt, dass das Atomprogramm der eine Punkt ist, über den sich die Iraner einig sind. Selbst die Staatsideologie als Theokratie ist umstrittener als das Atomprogramm. Allerdings weisen Umfragen auch darauf hin, dass die Iraner bereit wären, auf bestimmte Komponenten des Atomprogramms zu verzichten, wenn es dafür deutliche Lockerungen bei den Sanktionen gäbe. Nicht mal bei der Frage, ob Iran weiter von islamischen Rechtsgelehrten regiert werden soll, dürfte es gelingen, mehr als 30 Prozent der Bevölkerung hinter einer Meinung zu scharen. Innenpolitisch sieht das Regime daher relativ wenig Veranlassung, ausgerechnet bei der einen Frage, in der sich alle einig sind, Zugeständnisse gegen den Volkswillen zu machen.
Hat die Welt nur noch die Wahl zwischen einer Atommacht Iran und einem Krieg mit Iran?
Dehéz: Das Dilemma ist, dass wir gar keine Wahl haben. Einigkeit herrscht im Westen darüber, dass Teheran in ein bis zwei Jahren de facto die Möglichkeit hat, die Atombombe zu bauen. Wie gehen wir damit um? Der ehemalige US-Präsident George W. Bush hat einmal gesagt: "Man kann Wissen nicht bombardieren." Gemeint ist: Es wäre gar nicht zielführend, den Iran anzugreifen, weil sie mit dem Know-how, das sie jetzt besitzen, das Programm sofort wiederaufleben lassen können -- wahrscheinlich sogar schneller als zuvor. Es gibt also einen stillschweigenden Konsens, dass Krieg eigentlich gar keine Option ist.
Müssen wir dann mit einer Atommacht Iran leben?
Dehéz: Die Israelis sind derzeit die Einzigen, die das nicht können und nicht wollen. Der Rest der internationalen Gemeinschaft steht eher auf dem Standpunkt, eine Atommacht Iran lieber eindämmen zu wollen. Ähnlich der Strategie, die im Kalten Krieg gegenüber der Sowjetunion verfolgt worden ist. Das Problem ist nur: Diese Politik ist nie hundertprozentig durchdacht worden. Denn wenn wir etwas aus der Containment-Politik des Kalten Krieges gelernt haben, dann, dass die Eindämmung der Kriegsgefahr im Kernkonflikt erkauft wird mit der kontinuierlichen Bereitschaft zur Kriegführung an der Peripherie -- damals in Vietnam, Korea, Afrika und während der Kuba-Krise. Überträgt man dies auf Iran, müssten wir bereit sein, in dessen Peripherie -- also in Kuwait, Bahrain oder dem Irak -- Krieg zu führen. Mein Eindruck ist: Dazu ist der Westen nicht bereit, vermeidet deshalb aber, genauer darüber nachzudenken, was er für eine Containment-Politik in die Waagschale werfen müsste.
Im Falle Pakistans und Indiens wirkt das atomare Patt stabilisierend. Droht im Falle einer Atommacht Iran ein Nachziehen der Türkei, Saudi-Arabiens und Ägyptens?
Dehéz: Ja. Und dies ist die entscheidende Fragestellung. Das iranische Atomprogramm ist schon beängstigend genug. Aber was uns wirklich Kopfschmerzen bereiten sollte, ist die Aussicht, dass die sunnitischen Führungsmächte Saudi-Arabien und Ägypten auf die schiitische Atombombe reagieren und nachziehen. Dann hätten wir innerhalb der arabischen Welt plötzlich nicht mehr nur zwei Nuklearmächte, sondern vier bis fünf. Ich bin aber skeptisch, ob das Gleichgewicht der Abschre"ckung funktioniert, wenn es nicht nur zwei Gegner gibt wie im Kalten Krieg, sondern vier bis fünf mit jeweils sehr unterschiedlich gelagerten Interessen. Während nämlich im Kalten Krieg alle wussten, dass ein Nuklearkrieg zum unausweichlichen Ende der Menschheit führen würde, gilt dies nicht im Mittleren Osten. Zwar wäre dort ein atomarer Schlagabtausch verheerend, aber er würde nicht das Überleben der Menschheit gefährden. Also ist fraglich, ob die Abschreckungsschwelle so hoch ist wie damals.
Machen Sanktionen Teheran verhandlungsbereiter oder lösen sie im Gegenteil eine Wagenburg-Mentalität aus?
Dehéz: Auch ohne Sanktionen hätte das Teheraner Regime sämtliche inneren Widersprüche und Härten dem Westen in die Schuhe geschoben. Die iranische Bloggerszene macht sich über diesen Teheraner Reflex bereits lustig. Andererseits haben die Sanktionen ihr Ziel verfehlt, den Iran verhandlungsbereiter zu machen oder sogar zur Aufgabe seiner nuklearen Ambitionen zu bewegen. Fatal ist, dass der Westen wie schon damals bei seiner Sanktionspolitik gegenüber dem Irak versäumt hat, sich über die nächsten Eskalationsstufen zu verständigen. Nach dem Verpuffen der Sanktionen gegen Bagdad lief es 2003 auch deswegen auf den Krieg mit dem Ziel eines Regimewechsels hinaus, weil diese von den Amerikanern vorgelegte Option die letzte verbliebene war. Eine ähnliche Situation steht uns im Iran bevor. Die Sanktionen entpuppen sich als Sackgasse, weil kein glaubhaftes Drohpotenzial aufgebaut worden ist. Es wurde unterlassen, eine rote Linie zu definieren, ab der der Krieg unausweichlich ist, weil die Angst besteht, dass jemand dieses einfordern könnte.
Dieser Jemand könnte in Israel sitzen. Muss Israel einen nuklearen Holocaust befürchten oder sind das nur leere Drohungen, um auf der arabischen Bühne zu punkten?
Dehéz: Mit großer Wahrscheinlichkeit würde eine Nuklearmacht Iran Israel nicht atomar angreifen. Doch selbst wenn der Iran ein rationaler Akteur ist -- wovon ich ausgehe: Gilt dies unter allen Umständen? Gilt dies auch, falls das Regime mal auf so tönernen Füßen steht, dass es zu stürzen beginnt? Dass Teheran in so einem Fall die rationale Linie verlässt, ist eine realistische Gefahr. Naheliegender als ein Atomschlag gegen Israel wäre, dass Teheran seinen Atomschirm auf regionale Verbündete ausdehnt, etwa die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon. Dies könnte eine atomare Eskalationsspirale in Gang setzen. Ähnlich wie 1978 im Ogaden-Krieg zwischen Somalia und Äthiopien, als am Ende die beiden Supermächte kurz vor einer atomaren Auseinandersetzung standen. Wäre ein härterer Kurs -- etwa mit der Benennung einer roten Linie -- nicht kontraproduktiv, weil er in Teheran das Misstrauen schüren würde, dass es dem Westen nur um einen Regimewechsel geht? Dehéz: Nein, weil ohnehin klar ist, dass der Westen einen Regimewechsel will. Die Frage ist nur, wie weit würden wir gehen, um ihn herbeizuführen? Und in dem Punkt wurde Teheran klar signalisiert, dass der Westen den Regimewechsel nicht betreiben wird, wenn das Nuklearprogramm aufgegeben wird. Wie groß ist die Gefahr, dass weitgehend isolierte Regime wie die in Pjöngjang oder Teheran eine bizarre Weltsicht kultivieren? Dehéz: Ich glaube nicht, dass Iran ein zweites Nordkorea wird. Dazu ist die nordkoreanische Gesellschaft zu isoliert und die iranische zu stark integriert in die Weltgemeinschaft. Der Tag, an dem die Mullahs den Iranern Facebook und Twitter wegnehmen und die Ausreise verbieten, ist der Tag, an dem es garantiert zur Revolution kommt. Allerdings ist die Weltsicht des iranischen Regimes irrational, wenn es um die Frage des eigenen Überdauerns geht. Das System der islamischen Rechtsgelehrten kann nicht bestehen bleiben, weil es nicht mehr getragen wird von einer Bevölkerung, die immer weniger religiös ist, die einen Säkularisierungsprozess durchlebt. Eine Theokratie kann man nicht mit lauter Agnostikern durchziehen.
Seit Jahren führt Israel einen Schattenkrieg gegen den Iran. Kann Washington Israel vor der letzten Eskalationsstufe zurückhalten?
Dehéz: Nein. Netanjahu wird vor einem Präventivschlag nicht mal fragen. Das ist etwas, was Washington stört. Wenn die Amerikaner eine Strategie formulieren, können sie sich nicht mal darauf verlassen, dass ihr Verbündeter sie mitträgt.
Das Interview führte Joachim Zießler
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)