Experten warnen vor verfrühtem Lob für Merkels Ukraine-Mission
Archivmeldung vom 12.02.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittExperten haben vor vorschnellen Urteilen über die Ukraine-Mission von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gewarnt: "Es ist viel zu früh, Frau Merkel für ihre Initiative in den friedenspolitischen Himmel zu loben", sagte der Direktor der Arbeitsstelle Transnationale Beziehungen, Außen- und Sicherheitspolitik an der Freien Universität zu Berlin, Thomas Risse, dem "Handelsblatt" (Onlineausgabe). Das gelte dann, wenn der vereinbarte Waffenstillstand wirklich am Sonntag trage und wenn die Minsker Vereinbarungen tatsächlich umgesetzt würden.
"Ob das aber passiert, darauf hat Frau Merkel kaum Einfluss, sondern das hängt in allererster Linie an Russland und an den pro-russischen Separatisten." Ähnlich äußerte sich der Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg, Michael Brzoska. "Wenn sich das Verhandlungsergebnis als stabil erweist, wäre das ein Beleg dafür, in welcher Richtung Deutschlands Engagements erfolgreich sein kann", sagte Brzoska dem "Handelsblatt" (Onlineausgabe).
Brzoska wies darauf hin, dass sich in der deutschen Außenpolitik bereits zu Beginn des vergangenen Jahres Bewegung angedeutet habe, als Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Bundespräsident Joachim Gauck mehr deutsches Engagement in Krisen und Konflikten gefordert hatten. Damals, so Brzoska, hätten dies viele, insbesondere die Linkspartei, als Ankündigung weiterer Militäreinsätze kritisiert. Nun zeige sich: "Kanzlerin und Außenminister haben mit ihrem großen persönlichen Einsatz für eine friedliche Lösung im Ukraine-Konflikt andere Akzente gesetzt, die besser zur Tradition und den Möglichkeiten deutscher Außenpolitik passen."
IWF sichert Ukraine Hilfspaket zu
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat der Ukraine ein milliardenschweres Hilfspaket zugesichert. Über einen Zeitraum von vier Jahren soll das Land einen Kredit in Höhe von 15,5 Milliarden Euro erhalten, teilte der IWF am Donnerstag mit. Im Gegenzug müsse Kiew umfassende wirtschaftliche Reformen umsetzen. Das Hilfspaket muss allerdings noch von den IWF-Entscheidungsgremien abgesegnet werden.
Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk kündigte zahlreiche Sparmaßnahmen wie Entlassungen von Beamten, die Bekämpfung der Korruption und eine Modernisierung des Energiesektors an. Er rechne mit einem Wirtschaftswachstum ab 2016, wenn das Reformprogramm gelinge und der Konflikt in der Ostukraine beigelegt werden könne, so Jazenjuk.
Mützenich warnt vor zu hohen Erwartungen
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hat vor zu hohen Erwartungen an die Verabredungen von Minsk gewarnt. "Wie belastbar die Verabredungen zur Waffenruhe wirklich sind, wird sich nach Sonntag zeigen, wenn sie offiziell in Kraft treten", sagte Mützenich der "Welt". "Nun haben wir vielleicht die Zeit gewonnen, um eine realistische Perspektive zu entwickeln."
Der SPD-Politiker verknüpft mit "Minsk 2" jedoch die Hoffnung, mehr zu erreichen als jüngst mit "Minsk 1". "Bei dem Abkommen von diesem Donnerstag haben die Verhandlungsführer in Person von Regierungschefs und Präsidenten ihr Wort gegeben. Das ist schon ein signifikanter Unterschied zu `Minsk 1`, was ja von Unterhändlern vereinbart worden war", sagte Mützenich. Die prorussischen Separatisten seien bei alldem "Teil des Problems - und Teil der Lösung. Auf ihnen und denjenigen, die Einfluss auf sie haben, lastet nun eine hohe Verantwortung". Nach der hoffentlich beachteten Waffenruhe seien künftig "weitere vertrauensbildende Maßnahmen nötig", sagte Mützenich: "Bei aller Betonung der territorialen Integrität der Ukraine: Womöglich wird es dann mehr Stabilität geben, wenn den Regionen insgesamt eine gewisse Autonomie gewährt wird. Das könnte den Gesamtstaat später sogar stärken."
Mützenich würdigte das diplomatische Management von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Angela Merkels Leistung nötigt mir hohen Respekt ab. Die Bundeskanzlerin ist mit den Verhandlungen und der Reise in die USA bis an die Grenze der körperlichen Belastbarkeit gegangen", sagte er. "Sie hat eine ganz hervorragende Arbeit geleistet - genauso wie Frankreichs Präsident François Hollande. Diese Kooperation zeigt, dass Europa sehr wohl mit einer Stimme sprechen kann auf die dann auch gehört wird."
Merkel nach Ukraine-Gipfel: Wir haben jetzt einen Hoffnungsschimmer
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich nach den langen Verhandlungen zur Krise in der Ukraine mit den Regierungschefs Putin, Hollande und Poroschenko in der weißrussischen Hauptstadt Minsk, verhalten optimistisch geäußert. "Es waren 16 Stunden Verhandlungen, in denen wir intensiv arbeiten mussten", erklärte Merkel am Donnerstag. "Wir haben jetzt einen Hoffnungsschimmer, wir haben eine umfassende Implementierung von Minsk vereinbart. Aber die konkreten Schritte müssen natürlich gegangen werden, und es werden noch große Hürden vor uns liegen." In der Abwägung könne sie aber sagen, dass das, was erreicht wurde, "deutlich mehr Hoffnung gibt, als wenn wir nichts erreicht hätten". Man könne deshalb sagen, dass sich die Initiative gelohnt hat. "Es ist noch sehr, sehr viel Arbeit notwendig. Es gibt aber eine reale Chance, die Dinge zum Besseren zu wenden."
Putin verkündet Waffenstillstand
Beim Gipfel zur Ukraine-Krise in Minsk hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine Einigung verkündet: Ab Sonntag, 15. Februar 2015, soll ein Waffenstillstand in der Ostukraine in Kraft treten. Auch hätten sich die Konfliktparteien auf den Abzug schwerer Artillerie geeinigt. Alle Seiten sollen eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet haben. Zuvor hieß es, der angestrebte Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien in der Ost-Ukraine wurde von den Separatistenführern abgelehnt. Auch war der ukrainische Präsident Poroschenko mit den Worten zitiert worden, Russland stelle "einige inakzeptable Bedingungen".
Erklärung der Staatschefs zur Ukraine-Krise im Wortlaut
Beim Gipfel zur Ukraine-Krise in Minsk haben die vier Regierungschefs von Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland am Donnerstag eine Erklärung abgegeben. Hier die Erklärung zur "Unterstützung des Maßnahmenpakets zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen" im Wortlaut: "Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, der Präsident der Französischen Republik, François Hollande, und die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, bekräftigen ihre uneingeschränkte Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Ukraine. Sie sind der festen Überzeugung, dass es zu einer ausschließlich friedlichen Lösung keine Alternative gibt. Sie sind fest entschlossen, zu diesem Zweck einzeln und gemeinsam alle möglichen Maßnahmen zu treffen. Vor diesem Hintergrund unterstützen die Staats- und Regierungschefs das am 12. Februar 2015 angenommene und unterzeichnete Maßnahmenpaket zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, das von allen Unterzeichnern des Minsker Protokolls vom 5. September 2014 und des Minsker Memorandums vom 19. September 2014 unterschrieben wurde. Die Staats- und Regierungschefs werden zu diesem Prozess beitragen und ihren Einfluss auf die jeweiligen Parteien ausüben, um die Umsetzung dieses Maßnahmenpakets zu erleichtern. Deutschland und Frankreich werden technische Expertise für die Wiederherstellung des Bankensektors in den betroffenen Konfliktgebieten zur Verfügung stellen, möglicherweise durch die Schaffung eines internationalen Mechanismus zur Erleichterung von Sozialtransfers. Die Staats- und Regierungschefs teilen die Überzeugung, dass eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen der EU, der Ukraine und Russland der Beilegung dieser Krise förderlich sein wird. Zu diesem Zweck unterstützen sie die Fortsetzung der trilateralen Gespräche zwischen der EU, der Ukraine und Russland über Energiefragen mit dem Ziel, nach dem Gas-Paket für den Winter weitere Folgeschritte zu vereinbaren. Sie unterstützen ferner trilaterale Gespräche zwischen der EU, der Ukraine und Russland, um praktische Lösungen für Bedenken zu erreichen, die Russland mit Blick auf die Umsetzung des tiefgreifenden und umfassenden Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und der EU geäußert hat. Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich unverändert zur Vision eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE. Die Staats- und Regierungschefs fühlen sich der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen weiter verpflichtet. Zu diesem Zweck vereinbaren sie die Schaffung eines Aufsichtsmechanismus im Normandie-Format, der in regelmäßigen Abständen zusammentreten wird, und zwar in der Regel auf der Ebene hoher Beamter der Außenministerien."
Quelle: dts Nachrichtenagentur