Afghanistan: „Größtes Desaster für USA seit Staatsgründung“
Archivmeldung vom 19.08.2021
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Freigeschaltet durch Anja SchmittSeit elf Jahren betont das in Potsdam erscheinende Monats-Magazin zur internationalen Politik, „Welttrends“, in Analysen: Der Westen sei von Anfang an in Afghanistan zum Scheitern verurteilt gewesen. USA und Nato kostete der Militär-Einsatz viele Menschenleben und Billionen. So ein Experte in der September-Ausgabe, die SNA bereits jetzt vorliegt.
Weiter ist auf deren deutschen Webseite dazu folgendes geschrieben: "Den Krieg um Afghanistan hat der Westen verloren, wieder einmal. Kurs halten! Alles andere wäre Feigheit vor dem Feind. Langer Atem sei gefragt. Durchhalten und nicht nachdenken; vor allem nicht über Alternativen der deutschen Afghanistan-Politik. Wer jetzt über Abzug der Bundeswehr aus dem Hindukusch laut nachdenkt, der ließe sich von der Propaganda der Taliban* einlullen.
Mit diesen kritischen Worten blickte schon im Jahre 2010 das „Welttrends“-Heft, Ausgabe 75, auf das Krisenland. „Und 2014 stellten wir im Heft 94 fest: ‚Wieder geht am Hindukusch ein Krieg zu Ende‘ und fragten: ‚Folgt dem nun Frieden‘?“ Dies geht aus einer aktuellen Presseinformation der Potsdamer Herausgeber des außenpolitischen Journals hervor, die der Redaktion vorliegt. Das Weltpolitik-Magazin erscheint monatlich und wird regelmäßig von SNA News besprochen.
Bleibt vom Afghanistan-Manöver des Westens „am Ende nichts?“ Das fragte bereits im Herbst 2014 die „Welttrends“-Sonderedition „Krieg in Afghanistan: Bilanz und Ausblick“.
„Taliban gewinnen und der Westen jammert“
Solche Fragen seien wieder hochaktuell, angesichts der Machtergreifung in dem zentralasiatischen Land durch radikal-islamistische Milizen und Kräfte.
„Die Taliban sind zurück in Kabul und der ‚Westen‘ wehklagt“, erinnert das Magazin in seiner nächsten September-Ausgabe. Das dazugehörige Autoren-Team habe „sich von Beginn des Krieges in Afghanistan an gegen die Bellizisten (Kriegsbefürworter, Anm. d. Red.) hierzulande – seien sie schwarz, rosa oder grün – gestellt. Mit dem Wiederabdruck von drei Editorialen jener Hefte, die sich mit Afghanistan beschäftigten, zeigen wir, dass dieses militärische Engagement von Anfang an ein Abenteuer war, das von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt und von vielen Experten kritisiert wurde. Leider stimmte die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag jahrelang für die Fortsetzung des Krieges, obwohl das Fiasko am Hindukusch absehbar war – und das seit langem!“
Dass im geopolitisch bedeutsamen Afghanistan „nun auch USA und Nato krachend scheiterten“, erläutert Autor, Soziologe und Politologe Majd El-Safadi in seinem Kommentar „Afghanistan-Krieg: Die Ohnmacht des Westens“.
Der Beitrag erscheint in den nächsten Tagen in „Welttrends“, Ausgabe 179 (September 2021) – und ist bereits jetzt für SNA einzusehen.
Frühere Imperien, darunter Persien – dem um 1736 kurzzeitig gelang, den Nachbarn Afghanistan zu erobern – oder die UdSSR, haben laut ihm in der Vergangenheit „dort die Grenzen ihrer Macht erfahren: Die Briten, die Sowjetunion und jüngst die USA. Nicht von ungefähr spricht man von Afghanistan als Grab der Großreiche. Nach zwei Jahrzehnten geht der längste Krieg in der US-amerikanischen Geschichte zu Ende.“
Und dies aus westlicher Sicht erfolglos.
„USA werden gedemütigt“
„Im Rahmen der internationalen Schutztruppen (ISAF, 2001 bis 2014) und der Mission Resolute Support (ab 2015) beteiligte sich auch Deutschland. Zwischenzeitlich waren mehr als 5000 deutsche Soldaten in Afghanistan, 59 verloren ihr Leben. Mehr als zwölf Milliarden Euro kostete der Einsatz von 2001 bis Ende 2020. Für die USA liegen die Kosten inklusive ziviler Hilfe bei weit über zwei Billionen US-Dollar.“ Dabei beruft sich El-Safadi auf Statistiken der auf Rhode Island ansässigen US-Universität Brown University.
Dem elitären Fachmagazin „Foreign Policy“ zufolge, falle die Bilanz des Afghanistan-Krieges für die USA verheerend aus: Demnach sei es „das größte strategische Desaster“ für Washington seit Gründung der Vereinigten Staaten. Die US-Streitkräfte und ihre alliierten Verbündeten hätten Afghanistan „gedemütigt verlassen“ müssen.
Von Völkerrechtsbrüchen am Hindukusch und einem Krieg des Westens jenseits der Legalität schrieb Ludger Volmer, Grünen-Politiker und früherer Staatsminister im Auswärtigen Amt, erst jüngst in einem „Welttrends“-Heft.
„Der Truppenabzug“, zitiert Analytiker El-Safadi den Politologen und Historiker Herfried Münkler, sei „das Eingeständnis, dass sich der Westen mit dem Projekt einer liberalen Weltordnung überhoben hat.“ Münkler werte den Abzug aus Afghanistan als „historische Zäsur“. Darüber hinaus wird auch Bundeswehr-Experte und Politologe Carlo Masala erwähnt, der in Afghanistan eine „Niederlage des liberalen Imperialismus“ erkenne.
Eine „rationale Analyse“ zeige, dass diese Einschätzungen zuträfen, so Autor El-Safadi in der September-Ausgabe.
„Pax Americana“ gescheitert?
Die „Pax Americana“, also die US-geführte Weltordnung, sei an Afghanistan völlig zerbrochen, schreibt er. Die Demokratisierung des Landes sei von vornherein „eine Illusion“ gewesen. Washington habe es bis heute versäumt, eine Nachkriegsordnung weder für das Land am Hindukusch, noch für den Irak auf den Weg zu bringen.
Außerdem fehlte von Beginn an eine solide Basis und Sympathie für die Ziele der US-Besatzer auf Seiten der afghanischen Bevölkerung. Auf der anderen Seite habe es bei den Regierungen der westlichen Staaten, vor allem den USA, an Verständnis „für die afghanische Kultur und Gesellschaftsordnung“ gehapert. „Ein Vielvölkerstaat mit vier dominierenden Stämmen (Paschtunen, Tadschiken, Usbeken/Turkmenen, Hazara) und vielen islamischen Strömungen. Daraus ergeben sich ethnisch-kulturelle Konflikte und eine Zersplitterung der Gesellschaft.“ Keine guten Voraussetzungen für das Entstehen einer neuen demokratischen Ordnung, inmitten traditioneller Clan-Strukturen.
Deutschland stellte über Jahre Beamte der Bundespolizei ab, um Sicherheitskräfte in Afghanistan zu schulen. Die afghanische Armee mit über 350.000 Soldaten wurde in den letzten Jahren mit massiven Geldern, Waffen und technischer Ausrüstung vom Westen ausgerüstet. Dennoch hatte sie bei der Wiedereroberung des Landes durch die Taliban keine Chance und dem „nichts entgegenzusetzen.“
Obwohl mehr als 90 Milliarden US-Dollar „von den USA in die Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte geflossen ist. Hinzu kommen Schusswaffen, Munition, Hubschrauber, gepanzerte Fahrzeuge – eigentlich für den Kampf gegen die Taliban bestimmt, und jetzt in den Händen der radikalislamistischen Miliz. Demnach übernahmen bewaffnete Kämpfer der Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast in Kabul und posierten stolz.“
Der Autor zitiert das US-Medium „Wall Street Journal“ aus Juli, das bereits damals vom „zweiten Vietnam für Joe Biden“ sprach. Laut aktuellen Medienberichten hat der US-Präsident erst am Donnerstag erneut öffentlich bestätigt, dass er seine Entscheidung des großteiligen US-Truppenabzugs aus Afghanistan nicht bereuen würde.
Und täglich grüßen … die Taliban?
Letztlich, so El-Safadi, sei der „Krieg der Notwendigkeiten“ – wie die US-Administration einmal den Kampf gegen den Terrorismus nannte – fehlgeschlagen. Diesen kostspieligen Krieg könne Washington nie und nimmer gewinnen. „Die verwundbare Supermacht wollte Vergeltung für 9/11 und unbedingt ihre militärische Macht demonstrieren. Mit der imperialen Überdehnung haben die USA hingegen ihre Machtlosigkeit zur Schau gestellt. (…) Statt die Sicherheit am Hindukusch zu verteidigen, hat man einen postimperialen Raum der Unsicherheit geschaffen.“ In dieses Macht-Vakuum würden nun radikale Kräfte wie die Taliban stoßen.
Migrationsströme aus Afghanistan und der Region nach Deutschland und Europa, erhöhte Terror-Gefahr sowie gefährdete Industrie-Projekte – vor Ort etwa von „Siemens“ – könnten nun die bitteren Folgen für den Westen sein.
Bezeichnend sei, dass der Krieg „genauso endet, wie er begonnen hat: Mit der Herrschaft des Taliban-Regimes.“
Zur Erinnerung: Die Taliban hatten Afghanistan bereits ab 1996 unter Kontrolle. Die US-Regierung beschuldigte sie 2001, die Milizen würden die Terroristen der 9/11-Anschläge um Osama bin Laden beherbergen und schützen. Obwohl die Mehrzahl der damaligen Attentäter aus Saudi-Arabien oder dem Jemen stammten. Daraufhin begann der gegen das Land gerichtete Militär-Einsatz der USA und befreundeter Nato-Staaten – der nun als vollends gescheitert gilt.
Alle Ausgaben des außenpolitischen Journals „Welttrends“ zum Thema Afghanistan können direkt beim Verlag bestellt werden bzw. sind im Handel erhältlich.
Gefallene der westlichen Allianz in Afghanistan
Bei den Operationen OEF (Operation Enduring Freedom, 2001-2014) und OFS (Operation Freedom's Sentinel, 2015-2021) sind in Afghanistan rund 3600 Soldaten und Soldatinnen der westlichen Allianz gestorben (Stand: 22.03.2021), erklärte das Portal Staista Anfang Juli. Die meisten Verluste hatten die Vereinigten Staaten (2452 Soldaten) und das Vereinigte Königreich (455 Soldaten). Darüber hinaus verloren über 150 Kanadier und mehr als 80 Franzosen ihr Leben. Rund 400 in Afghanistan gefallene oder verunglückte Soldaten stammten aus anderen Ländern. Deutschland verlor dort 59 Bundeswehr-Soldaten."
*Unter anderem von der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (Armenien, Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan, Weißrussland) als Terrororganisation eingestuft, deren Tätigkeit in diesen Ländern verboten ist.
Quelle: SNA News (Deutschland)