Dutzende Tote bei gescheitertem Militärputsch in der Türkei
Archivmeldung vom 16.07.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBei dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei hat es in der Nacht zum Samstag Dutzende Tote gegeben. Zunächt wurden 42 Tote allein in Ankara gezählt, später war von über 60 Menschen die Rede, die in den nur wenige Stunden andauernden Wirren ums Leben kamen. Darunter sollen sowohl Sicherheitskräfte als auch Zivilisten sein.
Wenige Stunden nach Beginn eines Militärputschs in der Türkei ist dieser aus Regierungskreisen für beendet erklärt worden. Auf Fernsehbildern waren Soldaten zu sehen, die von anderen Sicherheitskräften abgeführt wurden. Ein hochrangiger General, der von Putschisten festgenommen worden war, sei angeblich wieder freigelassen worden. Auch vom Flughafen in Istanbul sollen Militärs abgerückt sein.
Der staatliche Fernsehsender TRT, der zwischenzeitlich besetzt und abgeschaltet worden war, nahm den Sendebetrieb in der Nacht wieder auf.
Ein Sprecher des Geheimdienstes sagte dem Privatsender CNN Türk, der Putsch sei abgewendet worden, ebenso äußerte sich der türkische Ministerpräsident. Die Lage sei wieder weitestgehend unter Kontrolle. Dennoch blieb die Lage in der Nacht unübersichtlich.
Auf weiteren Fernsehbildern waren Demonstranten zu sehen, die Militärs gegenüberstanden, welche ihrerseits in die Luft schossen.
Was war zuvor in der Nacht geschehen
In der Türkei hatte das Militär am Freitagabend überraschend gegen die Regierung geputscht und nach eigenen Angaben die Regierungskontrolle übernommen. In einer verbreiteten Erklärung hieß es, damit solle die demokratische Ordnung erhalten und die Menschenrechte geschützt werden.
Priorität habe die Rechtsstaatlichkeit. Auch die Beziehungen zum Ausland würden unverändert beibehalten. Regierungsmitglieder seien festgenommen worden. Über das Schicksal von Präsident Erdogan wurde zunächst nichts bekannt. Zuvor hatte es Berichte gegeben, wonach in Istanbul die Erste Bosporus-Brücke sowie die Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke vom Militär gesperrt wurden.
Auch mehrere große Flughäfen waren gesperrt worden, ein staatlicher Fernsehsender übernommen worden sein. Gleichzeitig gab es einen Bericht, wonach der türkische Armeechef in Ankara festgesetzt worden sei - wobei unklar war, ob dieser selbst am Putsch beteiligt war oder nicht. Aus Ankara wurde von tieffliegenden Kampfjets und Hubschraubern berichtet.
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hatte am Freitagabend zunächst bestätigt, dass es einen Putschversuch "aus Teilen des Militärs" gegen die Regierung gegeben habe. Dieser werde jedoch nicht erfolgreich sein, zitierte ihn unter anderem die Zeitung "Daily Sabah". Die am Putsch Beteiligten würden "einen hohen Preis" dafür zahlen.
Nach Beginn des Putschversuchs in der Türkei hatte sich Staatspräsident Erdogan per Smartphone zu Wort gemeldet. Auf dem Privatsender CNN Türk war eine Journalistin im Fernsehstudio zu sehen, die ein Smartphone in der Hand in die Kamera hielt auf dem ein Video-Telefonat mit Erdogan erschien. Darin rief Erdogan vor einem Vorhang sitzend die Bevölkerung auf, sich auf Plätzen und an den Flughäfen zu versammeln.
Im Zuge des Putschversuchs in der Türkei soll ein Militärjet einen Militärhubschrauber abgeschossen haben. Das berichtet der Nachrichtensender CNN Türk. Demnach soll der Hubschrauber von Putschisten genutzt worden sein, während der Kampfjet offenbar von Gegnern des Putsches gesteuert wurde.
Militärputsche haben in der Türkei Tradition
Bereits in den Jahren 1960, 1971 und zuletzt 1980 hatte das Militär in der Türkei die Regierung vorübergehend übernommen. Beim letzten Putsch im Jahr 1980 verhängte Putschistenführer General Kenan Evren das Kriegsrecht über das Land und verbot alle politischen Parteien.
Als Gründe wurden unter anderem Schutz der Einheit des Landes, Sicherung der nationalen Einheit, Verhinderung eines Bürgerkrieges und Wiederherstellung der Staatsautorität genannt. Die Regierung wurde des Amtes enthoben, Gewerkschaften, Vereine und Stiftungen wurden verboten und ihre Funktionäre wurden vor Gericht gestellt. Nach dem Putsch wurden tausende von politischen Gefangenen gefoltert und zum Tode verurteilt.
In Medienberichten war von 650.000 politischen Festnahmen und 50 vollstreckten Todesstrafen die Rede, in 171 Fällen sollen Menschen durch Folter gestorben sein. Für Deutschland bewirkte der Putsch nach der türkischen Arbeitsmigration der 1960er und 1970er Jahre eine zweite große Einwanderungswelle, jetzt zahlreicher türkischer Regimegegner. Diese Einwanderung wirkte sich stark auf die demographische Struktur der in Deutschland lebenden Türken aus.
Quelle: dts Nachrichtenagentur