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BND versorgte Informanten jahrelang trotz erwiesener Lüge

Archivmeldung vom 02.12.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.12.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bundesnachrichtendienst (BND)
Bundesnachrichtendienst (BND)

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat seinen ehemaligen Informanten Rafid al-J., Deckname "Curveball", noch Jahre nach der Aufdeckung von dessen Lügen mit Geld und anderen Vergünstigungen versorgt. Nach Recherchen der "Panorama"-Redaktion des NDR gehörte dazu eine monatliche Zahlung von 3000 Euro. Im Jahr 2008 erlangte "Curveball" auch aufgrund der BND-Hilfe dann einen deutschen Pass.

Das berichten das Politik-Magazin "Panorama" und die 30-minütige Dokumentation "Die Lügen vom Dienst - der BND und der Irakkrieg" am Donnerstag, 2. Dezember um 21.45 Uhr und um 22.45 Uhr im Ersten.

Der BND-Informant hatte über ein angebliches Biowaffenprogramm des Irak berichtet und damit die Begründung für die US-amerikanisch geführte Invasion im Jahre 2003 geliefert. "Panorama" hat den 43-jährigen Mann irakischer Herkunft mehrfach in Karlsruhe getroffen und gesprochen. Ein Interview vor der Kamera scheiterte daran, dass "Curveball" dafür Geld verlangte.

Nach den "Panorama" -Recherchen zahlte der BND über eine Münchener Tarnfirma namens "Thiele und Friedrichs" bis Ende 2008 monatlich 3000 Euro netto an seinen früheren Informanten, getarnt als Gehalt. Die tatsächliche Gegenleistung geht aus dem Arbeitsvertrag nicht hervor. Offenbar verpflichtete sich "Curveball" im Gegenzug gegenüber dem BND, nicht mit den Medien über seinen Fall zu sprechen. Ende 2008 kündigte der BND den Arbeitsvertrag, der offenbar eine Laufzeit von mehr als zehn Jahren hatte. Wie "Panorama" herausfand, klagte "Curveball" gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht München und erstritt so eine Nachzahlung von knapp 2000 Euro. Seitdem bezieht "Curveball" monatlich Sozialleistungen, vor kurzem noch in der Höhe von 1590,82 Euro.

Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste (PKG), ist empört über die staatliche Alimentierung des betrügerischen Informanten. "Wenn der BND Unterstützungszahlungen leistet, Unterstützung leistet für Herrn 'Curveball', dann halte ich das überhaupt nicht mehr für vertretbar. Dafür sind die deutschen Steuergelder eigentlich nicht da. Das muss auch (...) parlamentarisch untersucht werden."

"Panorama" enthüllt außerdem, wie der BND seinem Ex-Informanten, der die größte nachrichtendienstliche Blamage der vergangenen Jahrzehnte verkörpert, zur deutschen Staatsbürgerschaft verhalf. Demnach avisierten zwei BND-Beamte "Curveball" als Einbürgerungsbewerber bei der Stadt Karlsruhe. Der Bundesnachrichtendienst begleitete den Recherchen zufolge das Verfahren bis zum Ende und half bei der Beibringung der erforderlichen Unterlagen. Ströbele zweifelt an der Rechtmäßigkeit auch dieses Vorgehens des BND. "Wieso er die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen hat, das müsste auch geprüft werden (...). Spätestens von dem Zeitpunkt an, als der Bundesnachrichtendienst wusste aus den Meldungen der Amerikaner, dass die Meldungen von 'Curveball' erfunden waren, spätestens da hätte man sagen müssen: jetzt ist wirklich Feierabend," meint PKG-Mitglied Ströbele. Der Bundesnachrichtendienst wollte sich gegenüber "Panorama" dazu nicht äußern.

"Curveball" war 1999 als Rafid Ahmad Alwan aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet und bekam im Aufnahmelager Zirndorf in Franken Zugang zum Bundesnachrichtendienst. In Dutzenden Befragungen berichtete er dem deutschen Auslandsgeheimdienst, dass er als Chemieingenieur in einem irakischen Unternehmen Augenzeuge des Biowaffenprogramms von Diktator Saddam Husein gewesen sei. Unter anderem gab er Auskunft über mobile Biowaffenlabore auf Lastwagen, die den Waffeninspektoren angeblich leicht ausweichen konnten. Der damalige US-Präsident George Bush und sein Außenminister Colin Powell beriefen sich direkt auf die Informationen des BND-Informanten, um den Krieg vor der Öffentlichkeit zu begründen. Der BND hatte Protokolle der Befragungen an die US-amerikanischen Geheimdienste weitergegeben, diesen jedoch keinen direkten Zugang zu "Curveball" gewährt. Unmittelbar nach der Invasion des Irak 2003 stellte sich heraus, dass die Informationen über biologische Massenvernichtungswaffen frei erfunden waren.

Neues Licht werfen die "Panorama"-Recherchen auch auf die Frage, inwiefern deutsche Entscheidungsträger die US-amerikanische Seite vor der möglichen Unzuverlässigkeit "Curveballs" warnten. Mit Blick auf die Rede des US-Außenministers vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.2.2003, in der er sich auf "Curveball" stützte, sagte der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger dem ARD-Magazin: "Zentrale Äußerungen Powells gehen auf Informationen unseres Bundesnachrichtendienstes zurück. Wir hörten vom BND in einer geheimen Unterrichtung, dass allerhöchstwahrscheinlich der Irak über Massenvernichtungswaffen wieder verfügt. Es wurden uns Charts gezeigt von Biowaffenlaboren." Pflüger war vor dem Krieg Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, der mehrfach vom damaligen BND-Präsidenten August Hanning über "Curveballs" Informationen unterrichtet wurde.

Pflüger regt im "Panorama"-Interview an, die Geheimdienstpleite aufzuarbeiten und die geheimen Protokolle der Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses von 2002 und 2003 publik zu machen. "Die Tonbänder sind vorhanden. Ich gehe davon aus, dass auch die Charts dazu vorhanden sind. Ich fordere, dass wir zur Klärung der ganzen Debatte diese Dinge jetzt veröffentlichen."

Quelle: NDR / Das Erste

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