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Prof. Hanns W. Maull: "Australien bietet China die Stirn"

Archivmeldung vom 05.03.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.03.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Sam Petherbridge, on Flickr CC BY-SA 2.0
Bild: Sam Petherbridge, on Flickr CC BY-SA 2.0

Europa starrt gebannt auf die Flüchtlingskrise. Im Aufmerksamkeitsabseits des alten Kontinents kommt es in Ostasien zu einem heftigen Wettrüsten. Nun will Australien China die Stirn bieten, investiert in den nächsten 20 Jahren 126 Milliarden Euro ins Militär. Ostasien-Experte Prof. Hanns W. Maull sieht nicht zwangsläufig einen Showdown zwischen den USA und China, aber wachsende Spannungen.

Niemals sei die strategische Lage in Friedenszeiten "so dynamisch und so fordernd" gewesen, begründet die australische Regierung, warum sie am Wettrüsten im Pazifik teilnimmt. Ist die Lage selbst 3000 Kilometer von den Brennpunkten entfernt so bedrohlich, wie Canberra annimmt?

Prof. Hanns W. Maull: Was die australische Regierung umtreibt, ist die massive Aufrüstung der Volksrepublik China in den vergangenen 20 Jahren, zuletzt verschärft durch die Militarisierung von Inseln im Südchinesischen Meer. 3000 Kilometer klingt nach einer beruhigenden Distanz, doch in den Zeiten der Globalisierung und weitreichender moderner Waffensysteme sind die Spannungen in Ostasien näher an Australien, als Canberra lieb ist. Zumal Australien auf freie Schifffahrtswege angewiesen ist, um seinen Handel abwickeln zu können. Der westliche Pazifik und der Indische Ozean sind so gesehen Australiens wirtschaftliche Lebensräume.

China ist Australiens wichtigster Handelspartner, noch vor den USA. Reicht wirtschaftliche Verflechung nicht mehr als Kriegsverhinderungsgrund?

Prof. Maull: Wirtschaftliche Verflechtungen reichten alleine noch nie aus, um Kriege zu verhindern, wie exemplarisch der Erste Weltkrieg beweist. 1914 blickte die Welt auf ein Vierteljahrhundert rasch wachsender internationaler Wirtschaftsverflechtungen zurück - gerade auch zwischen Großbritannien und Deutschland. Das hat damals sehr kluge Beobachter zu der Aussage verleitet, Kriege seien überhaupt nicht mehr vorstellbar. Dennoch kam es zum weltumspannenden Krieg. Wirtschaftliche Verflechtungen und wechselseitige Abhängigkeiten mögen eine dämpfende Wirkung auf militärische Konfliktbereitschaft haben, doch sie bieten keinerlei Gewähr dafür, dass Kriege nicht mehr geführt werden.

Adressat der australischen Aufrüstung ist China. Eine Verdopplung der Zahl der U-Boote soll helfen, die Handelswege zu sichern. Die Boote der Collins-Klasse tauchen zu oft in der Wartung ab, als dass sie "regionale Überlegenheit" herstellen könnten, wie gefordert. Die Japaner haben noch nie Waffensysteme exportiert, die Franzosen kaum Erfahrung mit diesel-elektrischen Booten. Eine Chance für deutsche U-Boot-Werften?

Prof. Maull: Sicherlich sind die deutschen Brennstoffzellen-U-Boote mit im Rennen. Aber nachdem die japanische Regierung unter Ministerpräsident Abe die bislang sehr rigide Rüstungsexportpolitik gelockert hat, sind künftig auch japanische Waffenexporte möglich. In den vergangenen Jahren wurde zudem die militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Tokio und Canberra intensiviert, und ich vermute deshalb, dass aus geostrategischen Gründen die japanischen Soryu-Boote derzeit die besten Chancen haben, diesen Beschaffungsauftrag mit einem Gesamtwert von rund 30 Mrd. Euro für sich zu entscheiden. Aber noch ist nichts entschieden.

In der Region tobt ein heftiges Wettrüsten. Können bisher fehlende Institutionen zur Schaffung kooperativer Sicherheit nachgereicht werden oder ist der Zug angesichts der Rivalitäten abgefahren?

Prof. Maull: Möglich ist das immer, solche Strukturen multilateral auf- und auszubauen, aber es stellt ein Grundproblem der aktuellen Sicherheitslage in Ostasien dar, dass derartige Strukturen kooperativer Sicherheit - also das, was in Europa vor allem die OSZE, in mancher Hinsicht auch die NATO leisten, nämlich zwischen militärisch rivalisierenden Staaten Vertrauen zu bilden - dass also kooperative Sicherheitspolitik in diesem Sinne unterentwickelt ist. Es gibt derartige Institutionen zwar, etwa das ASEAN Regional Forum (ARF), aber sie haben nur sehr begrenzten Einfluss auf die Sicherheitspolitik in der Region, und derzeit zeigen die meisten Regierungen, insbesondere aber China wenig Bereitschaft, entsprechende Strukturen aufzubauen. Eher gibt es Anzeichen dafür, dass die beiden Hauptrivalen, China und die USA, kooperative Sicherheitspolitik bilateral durch Maßnahmen der Vertrauensbildung und Rüstungskontrollvereinbarungen vorantreiben könnten. Und die USA sind natürlich der wichtigste Gegenspieler der Volksrepublik China in Ostasien und im westlichen Pazifik - bislang haben wir sie ja noch gar nicht erwähnt!

Dann reden wir über die USA: 1200 US-Marines sind in Nordaustralien stationiert. Erwartet Washington von seinen pazifischen Verbündeten wie von seinen atlantischen, dass sie mehr Lasten schultern?

Prof. Maull: Ganz eindeutig, ja. Und diese Verbündeten haben auch bereits signalisiert, dass sie dazu bereit sind, selbst stärkere verteidigungspolitische Anstrengungen zu unternehmen. Australien unterstreicht das nun mit seinem neuen Weißbuch zur Landesverteidigung, aber auch Japan hat in den letzten beiden Jahren in diesem Zusammenhang einen wichtigen Kurswechsel vollzogen. Die aktivere Sicherheitspolitik Japans und Australiens dient vorrangig der Entlastung der USA und soll das westliche Bündnissystem im Westpazifik insgesamt stärken.

2012 versprach Xi Jinping, den "chinesischen Traum" zu verwirklichen, also nach dem "Jahrhundert der Schande" wieder eine Großmacht zu schmieden. Ist damit Deng Xiaopings Konzept der Zurückhaltung endgültig Geschichte?

Prof. Maull: Jedenfalls scheint diese Phase der außenpolitischen Zurückhaltung, die Deng vor gut dreißig Jahren ausrief, nunmehr aus Sicht der jetzigen Führung in Peking der Vergangenheit anzugehören. In Zukunft wird China sehr viel selbstbewusster auftreten und insbesondere seine wichtigsten außenpolitischen Ziele offensiv und energisch verfolgen. Peking glaubt, inzwischen die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben, um in der Region eine gewichtigere Rolle zu spielen, als das unter Deng Xiaoping und seinen unmittelbaren Nachfolgern der Fall war.

Soll patriotisches Auftrumpfen in Zeiten sich häufenden sozialen Konfliktstoffes Legitimität erzeugen?

Prof. Maull: Selbstverständlich dient diese neue Außen- und Sicherheitspolitik Chinas auch dazu, den inneren Zusammenhalt des Landes zu stärken und den Führungsanspruch der Kommunistischen Partei nach innen zu festigen. In Zeiten schwindender Einbindungskraft der marxistischen Ideologie versucht die Parteiführung so, die Brüche und Verwerfungen in der Gesellschaft mit dem Kitt des Chauvinismus zusammenzuhalten. Ob das funktioniert, bleibt abzuwarten.

Kann die KP die gerufenen nationalistischen Geister beherrschen?

Prof. Maull: Bislang ist ihr das zumindest gelungen, auch wenn eine derartige Politik dem Ritt auf einem Tiger gleicht und die KP-Führung auch schon des Öfteren ins Schwitzen gebracht haben dürfte. Das Schüren eines aggressiven Nationalismus betreibt die KP in China seit 1989 systematisch mit der "Patriotischen Erziehung", die inzwischen die Jugend des Landes gründlich indoktriniert und beeinflusst hat. Aber dies ist zweischneidig, da sich dieser emotionale Chauvinismus auch gegen die Regierung wenden kann, wenn etwa die protestierenden Nationalisten zur Auffassung gelangen sollten, die Führung vertrete chinesische Interessen nicht entschieden genug.

Zumindest rüstungstechnisch braucht sich Peking ja keine Leisetreterei vorwerfen zu lassen. China rüstet sich mit ballistischen Anti-Flugzeugträgerraketen und Anti-Schiffsmarschflugkörpern für eine Situation, in der es der US-Marine den Zugang in sein Vorfeld verwehren kann. Wann wird China die Hand auf Taiwan legen?

Prof. Maull: Der Versuch, die Insel gegen den Willen der dortigen Regierung und Bevölkerung zu annektieren, wäre nicht nur militärisch riskant, sondern auch mit enormen wirtschaftlichen und politischen Risiken verbunden. Ich halte es deshalb für recht unwahrscheinlich, dass Peking sich auf ein solches Abenteuer einlassen wird. Gleichwohl sind Situationen nicht auszuschließen, in denen sich die chinesische Führung unter Druck fühlt, die Taiwan-Frage endgültig zu lösen. Es ist in dem Zusammenhang beunruhigend, von Staatschef Xi Jinping zu hören, dass noch diese jetzige Führungsgeneration eine politische Lösung der Taiwanfrage finden müsse. Zum Glück hat Peking es bislang klugerweise vermieden, irgendwelche konkreten Fristen für eine Wiedervereinigung Taiwans mit dem Festland zu setzen. Käme es allerdings zu einer Krise in der Taiwanstraße, dann sind die militärischen Karten in den letzten zwanzig Jahren neu gemischt worden. 1996 entsandten die USA zwei Flugzeugträgerverbände in die Nähe der Taiwanstraße, um ihre Unterstützung für die Unabhängigkeit Taiwans zu unterstreichen, als China mit Seemanövern im Umfeld Taiwans Einfluss auf die Präsidentschaftswahlen in Taiwan nehmen wollte. Ob sie das heute noch wagen würden, bezweifle ich, weil die militärischen Risiken für die amerikanischen Flugzeugträger inzwischen ungleich höher wären.

Wie groß ist die Gefahr zufälliger militärischer Zusammenstöße zwischen den hochgerüsteten Streitkräften in der Region?

Prof. Maull: Auszuschließen sind Zwischenfälle natürlich nicht. Aber ob solche Zwischenfälle gefährlich eskalieren, hängt vor allem davon ab, wie gut die Drähte zwischen den Militärs und das Krisenmanagement der beteiligten Regierungen sind. Die jeweiligen militärischen und politischen Führer sollten die Möglichkeit haben, rasch Kontakt zueinander aufzunehmen, um lokale militärische Zwischenfälle wirksam einzuhegen. Dies funktionierte etwa beim Zusammenstoß eines US-Aufklärungsflugzeugs mit einem chinesischen Abfangjäger im Jahr 2000 mehr schlecht als recht, und so wuchs sich der Zwischenfall zu einer schweren politischen Krise aus. Heute sieht es besser aus: Die Roten-Telefon-Leitungen zwischen Washington und Peking scheinen verlegt zu sein und dürften wohl auch funktionieren. Skeptischer bin ich, ob das auch zwischen Tokio und Peking gesichert wäre: Ein Krisen-Kommunikationsmechanismus wurde zwar zwischen den beiden Regierungen vereinbart, er wurde aber bis heute technisch noch nicht umgesetzt.

Eine arrivierte Supermacht, die USA, wird von einer Aufsteigernation, China, herausgefordert. Anfang des 20. Jahrhunderts führte die Rivalität zwischen dem britischen Empire und dem deutschen Kaiserreich zum Ersten Weltkrieg. Wird das Südchinesische Meer zur Nordsee der Zukunft?

Prof. Maull: Die These, dass es bei Machtverschiebungen zwischen Großmächten weltgeschichtlich oft zu Kriegen gekommen sei, ist bei genauerer Betrachtung wissenschaftlich nicht haltbar. Sie trifft bei Licht besehen nicht einmal auf den Ersten Weltkrieg zu, schließlich griff damals nicht die Aufsteigernation Deutschland Großbritannien an, wie es die These besagt hätte, sondern Österreich-Ungarn erklärte Serbien den Krieg, daraufhin Russland Österreich, das Deutsche Reich wiederum fühlte sich verpflichtet, der Donaumonarchie beizuspringen, und schließlich erklären England und Frankreich Deutschland den Krieg. Durch den Beistand Berlins für Wien kam es also zu einer Kettenreaktion - das ist doch etwas anderes als der Krieg einer aufstrebenden Macht gegen die bis dahin dominante Großmacht! Es ist demnach keineswegs zwingend, dass der Aufstieg Chinas in der Weltpolitik zu militärischen Auseinandersetzungen mit den USA führt. Also sollte man sich von der Idee verabschieden, dass der Westpazifik die Nordsee des 21. Jahrhunderts ist: Historische Analogien sind voller Fallstricke!

Das Interview führte Joachim Zießler

Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)

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