Syrien vs. Israel: „Keine Möglichkeit zu Vergeltungsschlag“
Archivmeldung vom 10.05.2013
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.05.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Regierung in Damaskus zeigt sich zwar über den jüngst gemeldeten israelischen Luftangriff auf Ziele in Syrien empört, russische und syrische Experten halten einen Vergeltungsschlag jedoch für wenig wahrscheinlich, heißt es im Beitrag von Sergej Dus bei Radio "Stimme Russlands".
Weiter wird dort berichtet: "Das Außenministerium in Damaskus brandmarkte den israelischen Luftangriff als Hilfe für Terroristen. Syrische Raketen-Staffeln haben Medienberichten zufolge den Befehl erhalten, Israel ins Visier zu nehmen. Kommt es zu einem Krieg? Der syrische Politik-Experte Hassan Hassan hat seine Zweifel daran:
„Die Regierung in Damaskus steht jetzt aus meiner Sicht vor einer ziemlich einfachen Wahl: Entweder entscheidet sie sich für eine banale Rache oder bleibt auf ihrem bisherigen Kurs gegenüber Israel. Eine Rache kann zwar schnell und beeindruckend sein. Hilft sie aber dabei, außenpolitische Ziele zu erreichen? Offensichtlich nicht. Deshalb erwarte ich nicht, dass sich die Regierung in Damaskus rächen wird. Übrigens gibt es ein interessantes Detail: Manche westlichen und arabischen Medien haben den israelischen Luftangriff von den ersten Sekunden an mit Infrarot-Kameras gefilmt. All dies war also im Voraus geplant. Das war ein Versuch, die syrische Armee zu einem voreiligen Handeln zu provozieren. Trotzdem wird der israelische Angriff zweifelsohne Folgen haben. Um welche Folgen es konkret geht, werden wir später sehen.“
Tatsächlich verzichtete Syrien (zumindest vorerst) auf einen Vergeltungsschlag. Einige syrische Geschosse schlugen zwar auf den Golanhöhen ein, die israelische Armee hält das jedoch für einen Zufall. In einer zugespitzten Situation wäre allerdings selbst ein Zufall in der Lage, einen Krieg zu provozieren.
Das russische Außenministerium warnte, die aktuelle Konfrontation könne neue Spannungen nicht nur in Syrien, sondern auch im Libanon verursachen sowie die Lage im israelisch-libanesischen Grenzgebiet destabilisieren. Nach Ansicht des Chefradakteurs des russischen Magazins „National Defense“, Igor Korotschenko, sollte Syrien einen kühlen Kopf bewahren, dabei aber die öffentliche Meinung im Ausland auf die israelische Aggression aufmerksam machen:
„Zweifelsohne geht es um eine Aggression. Es gab keine Gründe für einen Luftangriff. Israel hat sie selbst erfunden. Was die syrische Reaktion betrifft, erwarte ich keine Eskalation. Für die Regierung in Damaskus bleibt der Kampf gegen die bewaffnete Meuterei im Inland von höchster Priorität. Darauf konzentrieren sich jetzt alle Bemühungen der Syrer.“
Nikolai Surkow vom Lehrstuhl für Orientalistik der Moskauer Diplomaten-Universität MGIMO stimmt zu:
„Ich denke, von Syrien ist kein verheerender Schlag zu erwarten. Zumal das nicht der erste israelische Luftangriff auf Ziele in Syrien war. Die Regierung in Damaskus hat in dieser Situation keine Möglichkeit, einen Vergeltungsschlag zu erteilen, der für Israel schmerzhaft wäre. Syrien könnte nur den Gruppen, die gegen Israel kämpfen, Rückendeckung geben. Aber auch das wäre im Moment wenig wahrscheinlich. Denn die Ressourcen der syrischen Führung werden vor allem für den Kampf gegen die Opposition verwendet.“
Ein Verstoß gegen die Souveränität eines Staates schürt immer die Wahrscheinlichkeit eines regionalen Militärkonflikts. Hoffentlich bleibt eine militärische Reaktion Syriens diesmal aus – egal, ob dies auf Syriens Schwäche oder Weisheit zurückzuführen ist."
Iran und Türkei prangern Israel wegen Luftangriff an
Ebenfalls bei Radio "Stimme Russlands" ist folgender Beitrag erschienen: "Nach dem vermutlichen israelischen Luftangriff auf Ziele in Syrien fordert der Iran eine UN-Untersuchung gegen den jüdischen Staat. Der türkische Premierminister sieht einen Trumpf in der Hand des Assad-Regimes. Ein russischer Experte hält den Angriff für eine Art Test.
Erdogan sieht keine Rechtfertigung
Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat am Dienstag den vermutlichen israelischen Luftangriff scharf kritisiert. Er sagte, damit habe das Regime von Baschar Assad einen Trumpf in der Hand. Die russische Agentur Itar-Tass zitiert Erdogan mit den Worten: „Dieser Luftangriff ist absolut inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen.“
Zur allgemeinen Situation in Syrien sagte der türkische Premier, Kleinkinder seien oft Opfer des dortiges Krieges: „Und die ganze Welt schweigt, um die Balance aufrechtzuerhalten.“ Erdogan betonte, er erwarte von der internationalen Gemeinschaft sofortige Entscheidungen zur Syrien-Krise: „Der UN-Sicherheitsrat und die Arabische Liga sollen sich dringend versammeln, um effiziente Entscheidungen in diesem Zusammenhang zu treffen.“
Iran fordert Untersuchung
Der iranische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Mohammad Khazaei, betonte in einem Brief an den UN-Generalsekretär, Israel müsse wegen dieser illegitimen Aggression zur Verantwortung gezogen werden. Der Luftangriff sei ein direkter Verstoß gegen das Völkerrecht. Laut Khazaei müssen zuständige UN-Gremien eine Untersuchung einleiten. Das berichtete am Dienstag der iranische Sender Press TV.
Syrischen Medienberichten zufolge hatte die israelische Luftwaffe am Sonntag das Forschungszentrum Jamraya bei Damaskus mit Raketen angegriffen. Nach Angaben der Agentur Reuters hatte der Luftangriff ein anderes Ziel, und zwar einen Waffentransport an die libanesische Hisbollah. Die israelische Staatsführung wollte die Attacke allerdings nicht offiziell bestätigen. Das russische Außenministerium erklärte, die Regierung in Moskau sei besorgt über die Berichte über den israelischen Angriff und befürchte dadurch neue Spannungen.
Angriff als Test?
Der Experte Viktor Nadejin-Rajewski vom Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen bei der Russischen Akademie der Wissenschaften vermutete, das sei eine Art Test gewesen. Er sagte am Dienstag gegenüber dem russischen Radiosender BFM: „Die jüngsten israelischen Angriffe zeigen, dass die syrische Flugabwehr offenbar zu nichts mehr fähig ist.“
Israel wolle die Hisbollah schwächen, und zwar für den Fall eines Militäreinsatzes gegen den Iran. „Israel macht eigentlich keinen Hehl daraus, dass es diesen Einsatz vorbereitet. Und für diesen Fall braucht man ein sicheres Hinterland, wo derzeit die Hisbollah agiert“, so Nadejin-Rajewski.
Kerry in Moskau
US-Außenminister John Kerry traf am Dienstag in Moskau ein, um unter anderem die Syrien-Krise zu erörtern. Die russische Tageszeitung „Kommersant“ kommentierte in ihrer Onlineausgabe: „Offenbar ist Barack Obamas Regierung zum Schluss gelangt, dass die gemeinsame Arbeit an einer Syrien-Regelung in der Lage wäre, das Eis im russisch-amerikanischen Verhältnis zu schmelzen.“
„Experten haben jedoch ihre Zweifel daran, dass das Syrien-Problem eine passende Wahl wäre, um gemeinsame Ansätze zu demonstrieren. Russland geht davon aus, dass eine Regelung in Syrien lediglich politisch erzielt werden kann. Einen Eingriff von außen lehnt die Regierung in Moskau ab. In Washington ist man dagegen der Meinung, dass die Zeit der Diplomatie vorbei und das Assad-Regime nicht mehr legitim sei“, so der Kommentar."
Quelle: Text Sergej Dus - „Stimme Russlands"