Willy Wimmer zu Aleppo-Berichterstattung: „Man macht bei uns Perversion zum System“
Archivmeldung vom 17.12.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWilly Wimmer, früherer OSZE-Vizepräsident und Ex-Staatssekretär beim Bundesverteidigungsminister, findet es nicht überraschend, dass die Uno, aber auch die westlichen Leitmeiden Fake News über die Entwicklung in Aleppo aufgreifen und verbreiten. Diese Meiden seien längst darauf ausgerichtet, die Kriegspolitik der Nato zu unterstützen, meint er.
Im Interview heißt es: "Herr Wimmer, am Dienstag hat die UN einen Bericht veröffentlicht, in dem sie behauptet, in Ost-Aleppo würden massenhaft Zivilisten durch Regierungstruppen getötet, entführt und gefoltert werden. Woher die Information kommt, ist dabei nicht klar, im Bericht wird lediglich auf „vertrauenswürdige Quellen“ verwiesen. Wie ist ein solcher Bericht zu werten?
Wir müssen leider seit vielen Jahren davon ausgehen, dass, beginnend bei der OSZE über das Rote Kreuz und bis zu den Vereinten Nationen, Berichte dieser Art im amerikanischen oder angelsächsischen Interesse geschrieben werden. Wir haben in den internationalen Organisationen gesehen, dass die ansonsten objektiven Berichte vor der Veröffentlichung dem amerikanischen Botschafter oder Chefdelegierten vorgelegt werden mussten, damit die amerikanische Sicht der Dinge der Welt präsentiert werden konnte.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung muss man davon ausgehen, dass das ein durchgehendes Muster ist. Ich erwähne auch deshalb das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, weil es aus meiner Sicht nicht angeht, dass der Hauptfinancier dieser wichtigen Organisation die Vereinigten Staaten sind und europäische Staaten gerade einmal ein oder zwei Prozent dazu beitragen. Wenn man wirklich wissen müsste, was in unterschiedlichen Teilen der Welt passiert, müsste das staunende Publikum davon ausgehen können, dass diese Berichte fair sind. Die Erfahrung der letzten 20 Jahre zeigt aber, dass diese Erwartung in der Regel nicht gerechtfertigt ist.
Was bezweckt die UN zum jetzigen Zeitpunkt damit?
Die einzigen Staaten, die in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht in Syrien engagiert sind die legitime syrische Regierung selbst, die Russische Föderation und der Iran. Im Zusammenhang mit den Entwicklungen der letzten fünf Jahre sind sie aber auf keine nennenswerte Unterstützung der Vereinten Nationen gestoßen. Aus dem Jugoslawien-Krieg wissen wir ja, dass die Vereinten Nationen zum aggressiven Instrument der Nato geworden sind. Das zieht sich wie ein roter Faden durch alles durch und unterminiert das so notwendige Vertrauen der internationalen Staatengemeinschaft und der globalen Bevölkerung in so wichtige Einrichtungen wie Rotes Kreuz, OSZE und Vereinte Nationen. Hier wird im amerikanischen oder angelsächsischen Interesse Kriegspolitik betrieben und bei den vereinten Nationen gibt es genügend Kräfte, die sich nicht scheuen, auf diesem Klavier zu spielen.
Der russische Außenminister Lawrow hat bereits auf den Bericht reagiert und gesagt, dass Hilfsorganisationen vor Ort die geschilderten Gräueltaten nicht bestätigen können. In den westlichen Medien wird der UN-Bericht aber ohne Hinterfragung weiter verbreitet. Was halten Sie davon?
Das ist die Kriegsleier im Westen, die wir seit 1999 und dem Krieg gegen Belgrad haben. Die westlichen Leitmedien sind darauf ausgerichtet, die Kriegspolitik der Nato oder der Kriegsmächte Vereinigte Staaten, Großbritannien und Frankreich offensiv zu unterstützen. In den Blättern ist nicht der geringste Zweifel zu finden – ein Zweifel, der früher zwangsläufig da gewesen wäre, wenn man es mit solchen Erscheinungen zu tun gehabt hätte. Wir sehen auch an Organisationen, wie der Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die aus Großbritannien agiert, oder den Weißhelmen, die als Hilfsorganisation international gehandelt werden, aber selber dem größten Zweifel unterliegen, zu welchen Kapriolen sich inzwischen der Westen durchgerungen hat. Das macht natürlich das internationale Vertrauen zunichte und die eigenen Bevölkerungen glauben unseren Regierungen ja auch nichts mehr.
Albrecht Müller, Herausgeber der NachDenkSeiten hat ebenfalls in einem detaillierten Artikel gezeigt, wie einseitig die westliche Medienberichterstattung ist. Beispielhaft dafür veröffentlichten Spiegel Online und andere Videos mit angeblichen Hilferufen von festsitzenden Menschen aus Aleppo, deren Echtheit nicht geklärt ist, während russische Beobachtungskameras in Echtzeit die Evakuierung von Zivilisten und Aufständischen zeigten. Wie kann man dieses Ungleichgewicht in den deutschen Medien vertreten?
Das ist Regierungspolitik, das ist offensive Nato-Politik. Wir wissen ja, dass der Kommunikationsdirektor der Nato jener unglückliche Jamie Shea ist, der 1999 die Öffentlichkeit jeden Tag in den Krieg geprügelt hat und anschließend alles getan hat, um diese Kriegsbereitschaft aufrecht zu erhalten. In einer solchen Situation können Sie im Westen nicht davon ausgehen, dass nur im Ansatz eine faire Berichterstattung erfolgt. Spätestens seit dem zweiten Irakkrieg und den Dingen, die man uns im Zusammenhang mit Kuweit vorgelogen hat, dass sie im Wesentlichen von amerikanischen PR-Agenturen stammen.
Wenn vor zwei Jahren zum ersten Mal in der modernen deutschen Geschichte im Bundestag Wert darauf gelegt wird, dass man sogenannte Spin-Doctores beschäftigt, dann weiß man, wohin die Reise geht. Wer glaubt denen hier noch was? Eigentlich niemand mehr, sie glauben sich doch selbst nichts mehr!
Auf Sputnik-Anfrage wollten die Verantwortlichen des UN-Berichts Ihre Quellen nicht nennen, es hieß, aus Gründen des Quellenschutzes. Sollte bei so schweren Anschuldigungen die UN nicht verpflichtet werden, ihre Quellen transparent darzustellen?
Die Vereinten Nationen müssen wieder ihren alten Charakter im Zusammenhang mit dem Dienst am internationalen Frieden zurückgewinnen. Solange sie als Hilfsorgan der Nato angesehen werden müssen, glaubt denen sowieso niemand. Und vor diesem Hintergrund ist es auch mehr als zwangsläufig, dass man Sputnik und anderen, die wissen wollen was Sache ist, solch fadenscheinigen Begründungen liefert.
Auf dem EU-Gipfel in Brüssel hat Kanzlerin Merkel Russland und Iran ganz offen Verbrechen vorgeworfen. Kann sie sich das zum jetzigen Zeitpunkt erlauben?
Offensichtlich kann die Dame sich alles erlauben. Aber man muss ja nur in die deutsche Öffentlichkeit hineinhorchen, um festzustellen, dass das den Leuten zum einen Ohr rein geht und zum anderen Ohr wieder hinaus. Das hat auch damit zu tun, dass in Deutschland und anderen europäischen Staaten alle wissen, dass es die Amerikaner, die Briten und die Franzosen gewesen sind, die über Spezialkräfte die Entwicklung in Syrien so befeuert haben, dass es überhaupt erst zu einem fünfjährigen Konflikt dort gekommen ist. Wo ist eigentlich die Stimme der deutschen Bundeskanzlerin gewesen, als dies nachweislich durch unsere Bündnispartner geschehen ist? Wo hat Frau Merkel dazu aufgerufen, von diesem schändlichen Handeln abzulassen? Und dazu muss man noch sagen: Diejenigen, die völkerrechtswidrige Kriege zu verantworten haben, sind dann wie Tony Blair anschließend auch noch europäische Repräsentanten für genau den Raum im Nahen und Mittleren Osten geworden. Das heißt, man macht bei uns die Perversion zum System. Und da muss man sich natürlich fragen, wo hat denn damals Frau Merkel dazu beigetragen, den britischen Premierminister dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zuzuführen? Das ist doch der Ausgangspunkt der Entwicklung, mit der wir es jetzt zu tun haben. Und das sehen in Deutschland viele Menschen so."
Quelle: Sputnik (Deutschland)