Magazin: NSA-Erkenntnisse aus Deutschland für Tötungen genutzt
Archivmeldung vom 16.06.2014
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.06.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDie USA haben offenbar Daten, die von der Europazentrale der National Security Agency (NSA) in Deutschland abgefangen wurden, für die Tötung von Terrorverdächtigen genutzt. Das berichtet das Nachrichten-Magazin "Spiegel" in seiner jüngsten Ausgabe unter Berufung auf einen geheimen NSA-Bericht, der die Erfolge der Überwachung vom Standort Deutschland aus schildert.
In dem Dokument, das aus dem Bestand des Whistleblowers Edward Snowden stammt, berichtet der Geheimdienst, dass die NSA-Führung 2003 beschlossen habe, das Personal in Deutschland zu verstärken. Eine Gruppe von Analysten habe damit begonnen, nach Informationen über Terrorgruppen in Nordafrika zu suchen. Die von Deutschland aus erlangten nachrichtendienstlichen Erkenntnisse seien "für die Festnahme oder Tötung von mehr als 40 Terroristen verantwortlich", heißt es in der Bericht der NSA vom Januar 2005. Sie hätten zum Erfolg des weltweiten "Krieges gegen den Terror" und der US-Politik in Afrika beigetragen.
Aus der kleinen Gruppe der NSA-Analysten in Deutschland erwuchs die größte europäische Dependance der NSA in Griesheim bei Darmstadt. Von dem geheimen Standort aus werden laut den geheimen NSA-Dokumenten inzwischen 26 Aufklärungsmissionen betrieben. Zu den überwachten Daten zählen europäische Kommunikation sowie "Ziele in Europa". Dabei kann das Griesheimer NSA-Zentrum offenbar nicht nur auf Metadaten zurückgreifen, sondern mehrere Tage lang auf vollständige Kommunikationsinhalte, die unter anderem vom britischen Geheimdienst GCHQ bereitgestellt werden.
Laut einem Bericht von 2012 kann die NSA dabei "komplexe Analysen von Lebensgewohnheiten" erstellen. Eine NSA-Sprecherin wollte sich zu konkreten Punkten nicht äußern, sagte dem "Spiegel" aber, es gebe einen "ausführlichen und engen Austausch" mit den deutschen Sicherheitsbehörden. Nach der neuen Richtlinie von Präsident Barack Obama sollten Privatsphäre und Bürgerrechte "integrale Bestandteile der Planung von Telekommunikationsüberwachung sein".
Magazin: Mehr als 200 US-Spione in Deutschland
In Deutschland sollen insgesamt mehr als 200 US-Agenten spionieren, die hier offiziell mit Diplomatenstatus angemeldet sind. Das berichtet der "Spiegel". Hinzu kommen dem Bericht zufolge vermutlich mehrere hundert Angestellte privater Firmen, die im Auftrag der National Security Agency (NSA) arbeiten.
Das Nachrichtenmagazin berichtet weiter, dass ein Vertrag zwischen dem US-Geheimdienst NSA und dem Bundesnachrichtendienst (BND) für die Kooperation am Lauschposten im bayerischen Bad Aibling eine Ausnahmeklausel zur Ausspähung von Deutschen enthalte. In einem am 28. April 2002 unterzeichneten "Memorandum of Agreement" (MoA) verpflichteten sich die Partner zwar, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zu achten, also keine Deutschen und keine Amerikaner von Bad Aibling aus auszuforschen.
Im Falle "terroristischer Aktivitäten" gelte dieser Grundsatz allerdings nur eingeschränkt. Wenn sich bei abgefangenen Signalen brisanten Inhalts im Nachhinein herausstellte, dass sie von einem Deutschen stammten, könnten sie trotzdem verwendet werden wenn der Partner informiert werde und zustimme. Das Gleiche gelte, wenn sich die "Endpunkte" der belauschten Kommunikation im jeweils anderen Land befänden.
Der BND wollte dem Bericht zufolge auf Anfrage von einer Ausnahmeregelung nichts wissen und erklärte: "Es wurde zu keinem Zeitpunkt von den gesetzlichen Regelungen abgewichen." Nach Informationen aus den Unterlagen des ehemaligen NSA-Agenten Edward Snowden, die das Magazin einsehen konnte, betrieben der BND und die NSA im bayerischen Bad Aibling gleich zwei gemeinsame Arbeitsgruppen zur technischen Aufklärung und sogar zur Auswertung abgefangener Signale.
Der BND teilte dazu mit, die Aufklärungs- und Analysezentren bestünden "seit 2012 bzw. seit 2011 nicht mehr". Weiter hieß es: "Auch zuvor erfolgte die Fernmeldeaufklärung ausschließlich durch den BND." Aus den NSA-Dokumenten soll allerdings etwas anderes hervorgehen: Dort heiße es, die Kooperation sei als "gemeinsam besetzte und gemeinsamen Aufträgen folgende" Überwachungseinheit "einzigartig". Eine Vorschrift der Amerikaner von 2005 soll sogar betonen, dass "NSA und BND gemeinsam, als JSA, in der Mangfall-Kaserne technische Überwachung betreiben", müsse unbedingt geheim bleiben.
Grünen-Fraktionsvize: Merkels Schweigen zur NSA-Affäre untragbar
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion und Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags, hält es für unglaubwürdig, dass die deutschen Geheimdienste von den Aktivitäten der NSA nichts gewusst haben.
"Es ist ein untragbarer Zustand, dass sich die Bundesregierung nicht zur Überwachung der Deutschen durch die NSA äußert", sagte von Notz der "Welt". Die Ignoranz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezüglich der bekannt gewordenen Totalüberwachung der Bevölkerung, ausgerechnet im Jahr 25 nach dem Ende des Überwachungsstaates DDR, sorge zunehmend für eine Verunsicherung der Bevölkerung und auch der Unternehmen, sagte von Notz. "Merkels Schweigen zur NSA-Affäre schadet dem Vertrauen in den Rechtsstaat und den Wirtschaftsstandort Deutschland."
Die jetzt bekanntgewordenen Geheimberichte der NSA zu ihren Aktivitäten in Deutschland bestärken von Notz in seinem Zweifel an der Aussage des früheren Kanzleramtsministers Ronald Pofalla (CDU), wonach sich die NSA auf deutschem Boden streng an deutsches Recht halte.
"Es spricht vieles dafür, dass es zwischen der NSA, den deutschen Behörden und anderen Geheimdiensten eine Art Ringtausch gibt", sagte von Notz. "Die Deutschen besorgen dann Massenüberwachungsdaten beispielsweise aus Afghanistan und erhalten wahrscheinlich im Gegenzug von den Amerikanern in Deutschland gesammelte Daten. Das wäre ein System des institutionalisierten Verfassungsbruchs."
Der "Spiegel" hatte unter Berufung auf Papiere des Informanten Edward Snowden berichtet, dass die NSA in Griesheim bei Darmstadt ihre größte Zweigstelle in Europa unterhält. Die neuen Enthüllungen seien von einer "neuen Qualität", sagte von Notz.
Quelle: dts Nachrichtenagentur