Der gebremste Aufstieg - Interview mit BRICS-Expertin Dr. Miriam Prys-Hansen
Archivmeldung vom 21.10.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBrasilien steckt im Rezessions- und Korruptionssumpf, Indien kann die Lage der Ärmsten trotz Wachstum nicht bessern, Russland kämpft angesichts drohender Sanktionen gegen niedrige Ölpreise, China schwächelt, Südafrika lebt auf Pump. Vor diesem Hintergrund konnte der BRICS-Gipfel im indischen Goa keinen neuen Glanz verbreiten, analysiert Dr. Miriam Prys-Hansen vom Hamburger GIGA-Institut. "In diesem Club passt nicht viel zusammen. Angst muss der Westen nicht haben."
Hat der Club der aufsteigenden Mächte in Goa etwas vom schon verblassten Glanz aufpoliert?
Dr. Miriam Prys-Hansen: Das liegt im Auge des Betrachters. In den internationalen Medien, insbesondere in den BRICS-Staaten selbst, wird zwar gelobt, wie viel die fünf BRICS-Staaten erreicht haben. Einerseits gibt es in der Tat neue Felder der Kooperation: So wurde der Bekämpfung des Terrorismus breiter Raum gegeben und eine verstärkte landwirtschaftliche Forschung verabredet. Im Detail betrachtet hat sich für mich aber eher bestätigt, dass dies ein Club ist, in dem nicht viel zusammenpasst. In der Abschlusserklärung von Goa stehen sehr viele Allgemeinplätze, die aus den letzten Gipfelerklärungen rauskopiert scheinen. Bezeichnend für die BRICS ist, dass die bilateralen Beziehungen im Vordergrund bleiben, etwa bei den gigantischen Rüstungsabkommen zwischen Indien und Russland. Als Gruppe ist die BRICS schwächer, als in der Vergangenheit befürchtet wurde. Stark macht die Gruppe, dass dort mit Russland, Indien und China drei Schwergewichte in einem auf Kooperation angelegten Forum zusammenkommen.
Wirtschaftlich erlebt der Club eine Schwächephase. Bringt das auch seine politischen Sollbruchstellen zum Vorschein?
Dr. Prys-Hansen: Das gilt eher nicht für die beiden kleineren Staaten, Südafrika und Brasilien. Für sie erhöht sich die Bedeutung der BRICS im Abschwung sogar, garantiert sie ihnen doch in einer schwierigeren Phase den Zugang zum asiatischen Markt. Folgerichtig ging es etwa in den bilateralen Treffen zwischen Brasilien und Indien fast ausschließlich um wirtschaftliche Kooperation. China schlägt gleichzeitig nun mehr Skepsis entgegen, weil die anderen vier befürchten, dass sie angesichts des Schwächelns des chinesischen Wirtschaftsraumes lediglich als Absatzmärkte für die chinesische Überschussproduktion herhalten sollen. Deshalb schaffte es der vor Goa lancierte Vorschlag aus Peking, zwischen den fünf Staaten eine Freihandelszone zu schaffen, noch nicht einmal auf die Agenda des Gipfels.
Den Anspruch, internationale Konflikte lösen zu wollen, können die BRICS-Staaten gemeinschaftlich kaum erfüllen. Sind sie eher Rivalen als Partner?
Dr. Prys-Hansen: Rivalität besteht vor allem zwischen den großen Drei, vor allem aber zwischen China und Indien. Insbesondere die Nibelungentreue Pekings zu Pakistan ist schon immer ein wunder Punkt in den Beziehungen zwischen Indien und China. Neu Delhi wurde auf dem Gipfel massiv dafür kritisiert, seinen Konflikt mit dem verfeindeten Nachbarn Pakistan als Thema in den Vordergrund und damit die wirtschaftliche Entwicklung in den Hintergrund gerückt zu haben. Als Schutzpatron Pakistans sieht sich China. So verhinderte Peking, dass Indien seine Erklärungen gegen grenzüberschreitenden Terrorismus - die ebenfalls auf Islamabad zielte - in das Abschlussdokument drücken konnte.
Sind die umfangreichen Rüstungsgeschäfte zwischen Neu Delhi und Moskau genau deshalb auch als Signal an Peking gedacht?
Dr. Prys-Hansen: Das kann man so sehen. Aber das war ein Signal in zwei Richtungen. Denn Russland hat vor dem Gipfel auch mit Pakistan Rüstungsgeschäfte und Militärübungen vereinbart. Da schrillten in Neu Del-hi natürlich die Alarmglocken und die Bereitschaft wuchs, die traditionell guten Beziehungen zum Kreml wieder zu pflegen.
Als die BRICS aus der Taufe gehoben wurden, herrschte in der Finanzwelt Euphorie. Goldman Sachs legte einen entsprechenden Fonds auf, der mittlerweile wieder geschlossen wurde. Sind die wirtschaftlichen Blütenträume verwelkt?
Dr. Prys-Hansen: Tatsächlich war Goldman Sachs sogar Taufpate, denn ihr Chefökonom Jim O'Neill prägte das Akronym BRICS bereits 2001 für ihren Fonds. Dann wurde daraus ein politischer Selbstläufer: Die Außenminister trafen sich erstmals 2006 und das erste Gipfeltreffen der Staatsoberhäupter war 2009. Es ist sehr bemerkenswert, wie sich hier eine Investmentmöglichkeit politisierte. Mittlerweile ist die Euphorie über das Wirtschaftswunder der BRICS insbesondere in den USA etwas abgeflacht. Die Frage ist, ob es sich um einen vorübergehenden Dämpfer handelt oder um eine bleibende Schwäche - und der Westen steht ebenfalls nicht glänzend da. Auch hier hilft es, zwischen den einzelne BRICS-Staaten zu differenzieren. Während Brasilien, Russland und Südafrika zumindest noch dieses Jahr (die Prognosen sind nicht mehr ganz so negativ) tatsächlich sich in einer recht schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden, wächst China immerhin noch mit über 6% und Indien ist sozusagen der alleinige ökonomische BRICS-Stern mit Strahlkraft bei einem Wachstum von 7,6 Prozent.
China betrieb 2015 mehr Handel mit den USA als mit seinen BRICS-Partnern. Was ist stärker: Profitorientierte Fliehkräfte oder "Bruderliebe"?
Dr. Prys-Hansen: Zugespitzt lässt sich schon sagen, dass die Profiterwartung über allem thront. Der Handel zwischen den BRICS-Staaten ist einfach sehr schwach, erreichte 2015 nur ein Volumen von 12 Prozent vom gesamten Handel dieser Staaten. In den Gipfelerklärungen wird das verklärt mit der Formulierung, es gebe sehr viel Potenzial. Jubelmeldungen über den in den vergangenen Tagen um 70 Prozent gewachsenen Handel zwischen Indien und Brasilien haben ebenfalls nur einen überschaubaren Wert, berücksichtigt man dessen geringes Ausgangsniveau.
Ist China mit seinen Seidenstraßen-Wirtschaftsraum-Plänen und Mauern zur See überhaupt bereit, die anderen Staaten als annähernd gleichwertig zu akzeptieren?
Dr. Prys-Hansen: Aus Sicht Chinas war BRICS schon immer ein Mittel, um zu zeigen, dass Peking imstande ist, eine derartige Koalition von Staaten anzuführen. Hier manifestiert sich ein global wachsender Führungsanspruch. Aber: Es ist nur eines von vielen Projekten der chinesischen Strategie. Etwa die AIIB, die Asiatische Investment- und Infrastrukturbank. Das Seidenstraßen-Projekt ist das Flaggschiff der chinesischen Diplomatie. BRICS wurde sogar als bloßer Steigbügelhalter für den Seidenstraßen-Wirtschaftsraum, der Zentralasien, Westasien, den Kaukasus und die Schwarzmeerregion umfassen soll, bezeichnet. Dabei birgt die Seidenstraße für BRICS durchaus Sprengkraft, ist doch dessen konkretestes Projekt der China-Pakistan-Korridor. Der geht durch Gebiete, die Indien für sich beansprucht, aber Pakistan besetzt hat. Indien kann sich der Seidenstraßeninitiative nicht anschließen, denn das würde bedeuten, Pakistans Anspruch auf diese Gebiete zu tolerieren.
Ist BRICS für China eine Fingerübung, die auf die künftige Rolle als Weltmacht vorbereiten soll?
Dr. Prys-Hansen: Mit BRICS verfolgt Peking eine zweigleisige Strategie: Einerseits sammelt China Erfahrungen im Schmieden von Allianzen, andererseits soll die Gruppe international Ängste vor einem immer stärker werdenden China nehmen, indem gezeigt wird, dass China nur im Kollektiv Änderungen der Machtarchitektur, etwa eine Reform der Weltbank, einfordert. Peking kann sich hinter BRICS auch verstecken, beziehungsweise mehr Legitimität behaupten.
Trotz bröckelnden Lacks nach acht Jahren: Sind wir unweigerlich auf dem Weg zur multipolaren Welt?
Dr. Prys-Hansen: Man muss unterscheiden zwischen BRICS als Verbund und BRICS als Gruppe von Einzelstaaten. So ist unvermeidlich, dass die Einzelstaaten mächtiger und eine neue Rolle einfordern werden. Entscheidend ist, dass sie das auch können ohne die BRICS als Institution. Indien und China sind in der Zukunft global player in allen zentralen Politikfeldern. Die BRICS, die weder über einen Präsidenten noch über ein Sekretariat verfügt, wird sich dagegen oft auf Symbolpolitik beschränken müssen. Wir gehen also unvermeidlich auf eine multipolare Welt zu, mit China und Indien als neue asiatische Machtzentren, die 35 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren. Der Westen tut gut daran, sich darauf einzustellen. Aber BRICS wird kein Ansprechpartner sein, verfügt nicht mal über eine Telefonnummer. Angst muss der Westen also vor diesem Verbund nicht haben, sollte dessen Kooperation eher mit Wohlwollen begleiten, da sich dort diese potenziellen Weltmächte in einem auf Kooperation ausgelegten Forum mit ihren diversen politischen und wirtschaftlichen Konflikten auseinandersetzen.
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (ots)