Fall Skripal: Wer profitiert davon?
Archivmeldung vom 22.03.2018
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSchon seit fast drei Wochen läuft die Konfrontation zwischen russischen und britischen Massenmedien, Diplomaten und Politikern, die durch die Vergiftung eines Ex-Doppelagenten ausgelöst wurde. Im Westen wird behauptet: Russland trägt die Schuld. Doch wer profitiert davon wirklich?
Andranik Migranjan schreibt hierzu in seinem Beitrag beim russischen online Magazin "Sputnik": "Ohne diesen Zwischenfall durch Ermittlungen aufgeklärt zu haben, sprach der britische Außenminister Boris Johnson auf einmal von möglichen „russischen Spuren“ in diesem Fall. Und dann stellte die Ministerpräsidentin Theresa May ein Ultimatum an Moskau, dass es zugeben sollte, einen Mordversuch an Sergej und Julia Skripal unternommen zu haben. Als aber die russischen Behörden den Briten höflich zu verstehen gaben, dass sie diesen Fall zunächst selbst einmal gründlich ermitteln und dann Russland um Hilfe bitten sollten, verfügte Theresa May, 23 russische Diplomaten, die angeblich Spionage betrieben hätten, unverzüglich aus Großbritannien auszuweisen. Zugleich legte sie alle politischen bzw. Diplomatischen Kontakte auf höchster Ebene auf Eis.
Die russischen Diplomaten sind bereits heimgekehrt. 23 britische Kollegen werden im Sinne der von Moskau ergriffenen Gegenmaßnahme nach dem „Spiegelprinzip“ demnächst Russland verlassen.
Dieser Fall passt sehr gut in den Kontext der russisch-britischen Beziehungen der letzten Jahrzehnte, als auf die Insel geflüchtete russische Unternehmer und ehemalige Agenten der russischen Geheimdienste aus bisher ungeklärten Gründen starben. Und in fast allen diesen Fällen warfen die britischen Behörden diese Tode Russland und Präsident Wladimir Putin persönlich vor, ohne klare Beweise vorzulegen.
Die jüngsten Handlungen der Briten haben sowohl in der britischen Bevölkerung als auch bei ihren Verbündeten auf beiden Seiten des Atlantiks Zustimmung gefunden. Und die westlichen Medien stempeln Moskau zu einem Bösewicht ab, von dem man Verbrechen nicht nur in Russland, sondern auch in jedem anderen Land der Welt erwarten könnte.
Ohne eindeutige Beweise zu haben, auf deren Basis man Schlüsse ziehen könnte, wer aus welchen Gründen Skripal und seine Tochter töten wollte, sehe ich mich nun berechtigt, ähnlich wie die britischen Behörden zu vermuten, wer das gewesen sein könnte.
Anders als die britischen Behörden, die nicht einmal ein Motiv für dieses Verbrechen nennen wollen, versuche ich aber, auf die Frage zu antworten, wer an Sergej Skripals Tod interessiert sein könnte.
Die Version, die russischen Geheimdienste wären in diesen Fall involviert, ist aus meiner Sicht untauglich.
Erstens war Sergej Skripal kein „Überläufer“. Er wurde von der russischen Seite gegen in den USA festgenommene Agenten ausgetauscht.
Zweitens war Skripal nicht mehr gefährlich für Russland, denn er wusste nichts außer jenen Informationen, die er den Briten bereits vor seiner Festnahme übermittelt hatte. Andernfalls hätte die russische Seite ihn nie ins Ausland ziehen lassen – gegen die russischen Agenten wäre er jedenfalls nicht ausgetauscht worden.
Drittens wurde Skripal nach seiner Ausreise aus Russland zweifellos ständig von den britischen Geheimdiensten beobachtet. Und falls er irgendwelche für Russland gefährliche Handlungen unternommen hätte, weshalb die Russen seine Tötung hätten beschließen können, hätten die britischen Geheimdienste dieses Motiv der russischen Seite sofort zur Kenntnis gebracht, damit ihre Version glaubwürdig klingt.
Viertens waren Wladimir Putin und die russischen Geheimdienste am wenigsten daran interessiert, durch die Vergiftung des alten Doppelagenten und dessen Tochter eine tiefe Krise in den Beziehungen mit London (bzw. mit dem ganzen Westen, denn bekanntlich haben die USA und die anderen Nato-Länder die unbegründeten Vorwürfe Mays gegen Moskau bereits unterstützt) auszulösen, besonders im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland.
Fünftens behaupten westliche Medien ständig, dass in Russland ohne die Zustimmung Putins absolut nichts passiert. Das bedeutet, dass er persönlich den Befehl zur Liquidierung Sergej Skripals gegeben haben müsste. Über Putin kann man ja viele Dinge sagen, aber eines ist offensichtlich: Der russische Staatschef ist ein sehr rationaler und pragmatischer Mensch, der immer die Konsequenzen seiner Handlungen bedenkt. Darin besteht Putins großer Unterschied zu seinem US-Amtskollegen Trump, den so gut wie alle Mitarbeiter des Weißen Hauses Michael Wolf zufolge, gelinde ausgedrückt, als „unausgeglichen“ bezeichnen. So hat er erst vor wenigen Tagen seinen Außenminister Rex Tillerson entlassen, weil dieser angeblich nicht imstande gewesen war, seine Meinung von den intellektuellen Fähigkeiten seines Bosses für sich zu behalten.
Und damit stellt sich die Frage: Wer könnte von der Vergiftung Sergejs (und Julias) Skripal profitieren? Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien, kann aber aus dem Kontext der jüngsten Ereignisse folgendes schließen:
Ich glaube nicht an die bei vielen russischen Massenmedien populäre Version, die britischen Behörden wollen die Bevölkerung von den negativen Folgen des Brexits oder von dem Riesenskandal um die Aktivitäten einer Bande von Kinderschändern in einer kleinen Provinzstadt in England ablenken.
Viel glaubwürdiger scheint mir eine andere Version zu sein:
Im Westen, vor allem in Großbritannien und den USA, ist schon seit vielen Jahren eine nahezu hysterische Kampagne zur Dämonisierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin und Russlands im Allgemeinen im Gange. Diese Länder haben sich vorgenommen, das Regime in Russland auszuwechseln. Ohne die Möglichkeit zu haben, sich in Russlands Innenpolitik bzw. in die russischen Wahlprozesse einzumischen (denn viele Agenten wurden bereits ausgewiesen, und die anderen werden von den russischen Geheimdiensten kontrolliert), bemühen sich die Briten und Amerikaner um die Diskreditierung Russlands und Präsident Putins persönlich.
Unter anderem wollen sie die Legitimität der jüngsten Präsidentschaftswahl, die Putin wieder überzeugend gewonnen hat, infrage stellen. Großbritannien wurde nicht umsonst als Tatort gewählt: Erstens ist dort die entsprechende Basis vorhanden und zweitens rufen große Skandale auf der Insel fast garantiert ein großes Aufsehen weltweit hervor. Und in diesem Fall glaubte man, dass man sich keine Mühe mit den Beweisen der „russischen Schuld“ geben müsste.
In den ersten Jahren der Sowjetmacht gab es den Begriff „Revolutionsjustiz“, und es galt, dass jegliche Handlungen, die den Interessen der Arbeiterklasse entsprachen, fair und legitim wären. Dieses Prinzip gilt im Grunde seit vielen Jahren im Westen: Vor einigen Wochen hatte der frühere CIA-Direktor James Woolsey während einer Sendung bei Fox News auf die Frage der Moderatorin Laura Ingraham, ob sich die USA in Wahlen in anderen Ländern eingemischt hätten, klar und deutlich „ja“ gesagt und auch einige konkrete Beispiele angeführt. Das begründete Woolsey damit, dass sich die US-Geheimdienste in Wahlprozesse im Ausland nur „aus guten Gründen“ einmischen und dabei nur vornehme Ziele verfolgen würden.
Und kann es denn im Westen ein noch „vornehmeres“ Ziel als die größtmögliche Dämonisierung Russlands und Wladimir Putins geben?"
Experten über Bekanntes und Verschwiegenes zum Skripal-Fall
"Das sagte der Leiter der Abteilung für Nichtweiterverbreitung und Rüstungskontrolle im russischen Außenministerium, Wladimir Jermakow.
„Die Logik ist ganz einfach, und es kommen nur zwei Varianten infrage: Entweder können sich die britischen Behörden gegen solche Anschläge auf ihrem Territorium nicht wehren, oder haben sie den Angriff auf die russische Staatsbürgerin direkt oder indirekt – ich kann niemanden beschuldigen – inszeniert“, sagte Jermakow auf einem Briefing.
Zugleich beteuerte er abermals, dass Russland mit dem Attentat auf Sergej und Julia Skripal am 4. März nichts zu tun habe.
Großbritannien war und ist einer der Staaten, die seit den 1970er Jahren an neuartigen Chemiewaffen basteln. Dies teilte der Kommandeur der russischen ABC-Abwehrtruppen, Generalmajor Igor Kirillow, am Mittwoch bei einem Briefing im russischen Außenministerium mit.
Programme zur Entwicklung einer neuen Generation von Giftstoffen würden schon seit den 1970er Jahren in Westeuropa durchgeführt, so Kirillow. Großbritannien zähle zu jenen Staaten, die dieses Programm umsetzen, und habe enorme Erfahrung und Kenntnisse in der Entwicklung solcher Stoffe.
Wie Kirillow ferner betonte, befasst sich das Zentrum der britischen Chemie- und Biowaffenforschung „Porton Down“ mit der Entwicklung und Untersuchung von Giftstoffen und befindet sich „durch einen glücklichen Zufall“ in der Nähe von Salisbury.
"Angesichts der neuesten Nachrichten über die Zuteilung von rund 50 Millionen Pfund Sterling durch die britische Regierung an dieses Labor, wollen die Wissenschaftler vom ‚Porton Down‘, denselben ‚Nowitschok‘ (dt: Neuling), den sie ausposaunen, vernichten?", fragte Kirillow beim Briefing zum Fall des vergifteten Sergej Skripal, Ex-Oberst des russischen Auslandsgeheimdienstes GRU."
Quelle: Sputnik (Deutschland)