Ökonomen kritisieren geplanten Staatsanleiheankauf durch die EZB
Archivmeldung vom 12.01.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFührende Ökonomen in Deutschland haben den geplanten Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) scharf kritisiert: "Ein massiver Ankauf von Staatspapieren durch die EZB mag als die Rettung für den Euro erscheinen. Für viele Mitgliedsstaaten wäre so ein Programm zumindest ein bequemer Ausweg, und die Zeit für mögliche Alternativen läuft ab", sagte Kai Konrad, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium der "Welt am Sonntag". "Mittel- und langfristig gefährdet die EZB damit aber den Euro und opfert sich am Ende selbst", warnte er.
Die Vorbereitungen für ein solches Programm zum Ankauf von Staatsanleihen, im Fachjargon "Quantitative Easing", kurz QE genannt, laufen bei der EZB mittlerweile auf Hochtouren. Beobachter rechnen damit, dass die umstrittene Maßnahme bereits auf der nächsten Sitzung des EZB-Rats am 22. Januar beschlossen werden könnte. Sorge bereitet vielen Währungshütern vor allem die extrem niedrige Inflationsrate im Euroraum. Diese war im Dezember auf minus 0,2 Prozent gefallen, den tiefsten Wert seit mehr als fünf Jahren. Ein breit angelegter Ankauf von Staatsanleihen soll dabei helfen, die Gefahr einer Deflation für die Eurozone abzuwenden.
Für den früheren EZB-Chefökonomen Jürgen Stark ist das genau der falsche Weg. "Manche halten ein QE-Programm für eine Art Atomwaffe der Geldpolitik, für eine der schärfsten Waffen überhaupt. Wirksam ist dieses Instrument aber nur im Kampf gegen eine echte Deflation. Es gegen die europäische Misere einzusetzen, wie es die EZB nun plant, bringt hingegen überhaupt nichts, sondern schürt nur noch die Unsicherheiten und Instabilitäten", sagte er.
Stark hatte die EZB Ende 2011 aus Protest über den geldpolitischen Kurs verlassen.
Umstritten ist unter Ökonomen vor allem, wie nah die Währungsunion der gefährlichen Deflation tatsächlich schon ist - und wie groß damit der Handlungsdruck für die EZB. "Man muss sich schon die Ursachen anschauen, warum die Preise fallen", sagte Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. "Wenn Energiepreise sinken, ist das für die Gesamtwirtschaft keine schädliche, sondern gute Deflation. Dann steht mehr Kaufkraft für andere Zwecke zur Verfügung, das fördert den Konsum und damit letztlich das Wachstum."
Beträchtlich sind aus Sicht der Experten indes die Nebenwirkungen. Die EZB laufe Gefahr, künftig in noch mehr politische Krisen hineingezogen zu werden, warnte Elga Bartsch, Europa-Chefökonomin der Investmentbank Morgan Stanley. "Der Ruf der EZB als unabhängige Zentralbank könnte so beschädigt werden." Allerdings kann die EZB aus Sicht der Experten mittlerweile kaum noch zurück. "Mario Draghi hat sich mit seinen Zusagen sehr weit aus dem Fenster gelehnt und die EZB unter Zugzwang gesetzt. Wenn die EZB jetzt wieder zurückrudert, riskiert sie ihre Glaubwürdigkeit", sagte Stark. Aus seiner Sicht führt an einem QE-Programm in Europa daher kein Weg mehr vorbei. "Auch wenn es kurzfristig überhaupt nichts bringen und langfristig eher schaden wird."
Italiens Notenbankchef für Aufkauf von Staatsanleihen
Angesichts der extrem niedrigen Inflationsraten in Europa hat der Italienische Notenbankchef Ignazio Visco große Sympathie für den Aufkauf von Staatsanleihen signalisiert. "Staatsanleihenkäufe sind in dieser Situation das wirksamste Mittel", sagte der Gouverneur der Banca d`Italia im Interview mit der "Welt am Sonntag". Im Rat der Europäischen Zentralbank würden zwar verschiedene Möglichkeiten diskutiert, auch der Kauf anderer Wertpapiere, beispielsweise Unternehmensanleihen. "Aber dieser Markt ist nicht besonders groß. Außerdem finanzieren sich dort vor allem große Konzerne, die ohnehin bereits sehr günstig an Geld kommen", sagte Visco.
Der EZB-Rat wird in seiner nächsten Sitzung am 22. Januar über den Einstieg in ein Staatsanleihenprogramm beraten. Das so genannte Quantitative Easing ist umstritten. Kritiker sehen eine gefährliche Nähe zur verbotenen Staatsfinanzierung mit der Notenpresse. Visco rät von übertriebenen Berührungsängsten gegenüber dieser Maßnahme dagegen ab: "Das ist ein Standard-Instrument der Geldpolitik", sagte er. "Wir nennen das nur unkonventionell, weil es in Europa so lange nicht genutzt wurde."
Visco erinnerte auch an die Erwartungslage, die inzwischen entstanden sei. "Die Finanzmärkte haben ein QE-Programm in Europa schon in gewissem Maße eingepreist", sagte er mit Blick auf die teilweise extrem niedrigen Renditen europäischer Staatsanleihen. "Wir müssen nun liefern - ansonsten würden die Zinsen sofort wieder steigen." Gerade nachdem die Preise im Euro-Raum im Dezember um 0,2 Prozent gefallen sind, sieht Visco die EZB unter Handlungsdruck. "Das ist nur eine einzelne Zahl, aber sie steht am Ende einer langen Serie von sehr niedrigen Teuerungsraten", sagte er. "Deshalb ist diese Situation sehr kritisch. Die Menschen könnten sich immer weiter auf niedrige oder gar negative Inflationsraten einstellen."
Während andere Notenbanker das Risiko eines Staatsanleihenprogramms betonen, sieht Visco vor allem dann Risiken, wenn die EZB nichts unternehmen sollte. "Ich kann nur davor warnen, das gesamtwirtschaftliche Risiko zu unterschätzen. Wenn die Inflationsraten zu lange sehr niedrig bleiben und die Wirtschaft kaum wächst, drohen wir in eine Abwärtsspirale zu geraten, die sich selbst immer weiter verstärkt - genau das nennt man Deflation", sagte er.
Sinkende Energiepreise haben den Handlungsdruck für die EZB aus seiner Sicht nicht unbedingt vermindert, obwohl sie die Konjunktur beleben könnten. "Das billige Öl hilft der Wirtschaft, das ist keine Frage", sagte der Italiener. "Andererseits sorgt es für niedrigere Preise. Und das ist ein Problem, wenn sich die Inflationsraten bereits nahe der Nulllinie befinden. Die Inflationserwartungen drohen weiter zu sinken."
Falls die EZB Staatsanleihen kauft, sollte sie die Risiken aus Viscos Sicht nicht bei den jeweiligen nationalen Notenbanken belassen, wie es teilweise diskutiert wird. "Wenn die jeweilige nationale Notenbank auf eigene Rechnung kauft, werden die Finanzierungsbedingungen in Europa noch weiter auseinanderfallen als bisher", warnte Visco. "Wir sollten es bei dem Verfahren belassen, das auch sonst für unsere geldpolitischen Maßnahmen gilt: Die Risiken trägt das Eurosystem insgesamt."
Quelle: dts Nachrichtenagentur