Frankreich nach Terroranschlag unter Schock
Archivmeldung vom 08.01.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach dem Terroranschlag auf die islamkritische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" mit mindestens zwölf Todesopfern ist Frankreich im Ausnahmezustand. Nachdem am Mittag vermutlich drei Täter in den Redaktionsräumen des Magazins um sich schossen und dabei nach ersten Angaben zehn Mitarbeiter sowie zwei Polizisten töteten, lief eine Großfahndung der Polizei an. Zahlreiche öffentliche Gebäude, aber auch religiöse Einrichtungen bekamen zusätzlichen Schutz, Schulausflüge und andere Veranstaltungen wurden abgesagt.
Nach dem Terroranschlag auf die Redaktion der islamkritischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" sind in ganz Frankreich rund 100.000 Menschen spontan Menschen gegen den Terror auf die Straße gegangen. Am Pariser Place de la République waren am späten Nachmittag Transparente zu sehen, auf denen mit "Salut Charlie" den Blattmachern Respekt gezollt wurde. Auch die Aufschrift "Je suis Charlie" - auf Deutsch "Ich bin Charlie" - war auf Schildern zu sehen. Per Facebook wurde auch zu einer Kundgebung vor der französischen Botschaft in Berlin aufgerufen, zu der über tausend Menschen zusagten. Aus der ganzen Welt wurden Beileidsbekundungen nach Paris geschickt.
"Mit großer Bestürzung habe ich von dem abscheulichen Überfall auf die Pariser Redaktion von `Charlie Hebdo` erfahren, bei dem so viele Menschen ihr Leben lassen mussten", schrieb Bundespräsident Gauck in einem Telegramm. Und weiter: "Es gibt nichts, was ein solches Verbrechen rechtfertigen könnte. Möge uns bewusst bleiben, dass wir uns unermüdlich für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie einsetzen und sie schützen müssen. Meine Gedanken sind bei den Hinterbliebenen, denen ich Kraft wünsche für die vor ihnen liegende schwere Zeit."
Bundeskanzlerin Merkel bezeichnete den Terroranschlag als "barbarisch". "Wir stehen zu den unverbrüchlichen Werten von Pressefreiheit, Freiheit und Demokratie", sagte Merkel in einer kurzen Erklärung in London.
Auch der US-Präsident verurteilte den Anschlag: "Frankreich ist Amerikas ältester Alliierter", betonte Obama in einer Erklärung. Die USA und Frankreich stünden Schulter an Schulter im Kampf gegen den Terror.
Die Arabische Liga verurteilte die Attacke auf das Satiremagazin ebenfalls, so wie auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland. Er sei tief erschüttert gewesen, als er von dem Terrorakt gehört habe, sagte der Vorsitzende des Gremiums, Aiman Mazyek, am Abend im ZDF. Ziel der Terroristen sei es, "unsere freie Gesellschaft in Europa zu spalten". Dies dürfe man nicht zulassen, die Gesellschaft müsse nun zusammenstehen, so Mazyek. Die Terroristen würden keineswegs den Propheten Mohammed rächen, sondern stattdessen den Islam beschädigen.
Erwartungsgemäß griffen auch die Organisatoren der "Pegida"-Demonstrationen in Dresden den Terroranschlag auf: "Die Islamisten, vor denen Pegida seit nunmehr 12 Wochen warnt, haben heute in Frankreich gezeigt, dass sie eben nicht demokratiefähig sind, sondern auf Gewalt und Tod als Lösung setzen", hieß es am Mittwochnachmittag auf der offiziellen Facebook-Seite.
AfD-Vize Gauland erklärte mit Blick auf den Anschlag: "Vor diesem Hintergrund erhalten die Forderungen von Pegida besondere Aktualität und Gewicht." Das wiederum bezeichnete der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder (CDU), als "schäbig". Nach dem Anschlag waren am Nachmittag auch die Redaktionsräume der spanischen Zeitung "El Pais" vorübergehend evakuiert worden. Grund sei ein verdächtiges Päckchen gewesen, sagte ein Sprecher am Nachmittag. Auch die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" verstärkte ihre Sicherheitsvorkehrungen. Die Zeitung hatte 2005 mit dem Abdruck von Karikaturen des Propheten Mohammed Proteste in der muslimischen Welt ausgelöst, bei denen dutzende Menschen ums Leben kamen. Unterdessen rangen in Paris vier Verletzte mit dem Leben. Sie befänden sich in "kritischem Zustand", teilten die Behörden mit.
Im Internet verbreitete sich auf der Plattform "Liveleak" ein Video unter der Überschrift "Terrorists shoot officer in Paris during terrorist attack at Charlie Hebdo", auf dem zwei mit Maschinengewehren bewaffnete und vermummte Personen zusehen sind, die um sich schießen. Dabei ist auch zu sehen, wie ein offenbar bereits verletzt am Boden liegender Polizist aus nächster Nähe erschossen wird. Das war gegen etwa 11:30 Uhr. Anschließend flüchten die Täter in einem dunklen Kleinwagen, den sie später gegen ein anderes Auto tauschten, nachdem sie dessen Fahrer überwältigt hatten. Von den Tätern fehlte bis zum Abend nach offiziellen Angaben jede Spur. Laut Medienberichten wurden gegen 16:30 Uhr zwei Wohnungen von der Polizei durchsucht. Zu Festnahmen sei es dabei aber nicht gekommen, berichtete die Zeitung "La Parisien" am Mittwochabend auf ihrer Internetseite.
Hollande ordnet Staatstrauer an
Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande hat für Donnerstagmittag um 12 Uhr zu einer Schweigeminute aufgerufen. Er bitte alle Franzosen, sich daran zu beteiligen und innezuhalten. Die Fahnen würden im ganzen Land für drei Tage auf Halbmast gesetzt. "Die gesamte Republik wurde angegriffen", so der Staatspräsident in einer um 20 Uhr live übertragenen Fernsehansprache. Es werde alles dafür getan, die Attentäter zu ergreifen und vor Gericht zu stellen. Zum Stand er Ermittlungen sagte Hollande nichts.
Anschlag von Paris ist Top-Thema bei Zeitungskommentaren
Der Terroranschlag von Paris dominiert am Donnerstag die Kommentare der deutschen Tageszeitungen. "Mit dem Massaker von Paris hat der Terror gegen die freie Welt eine neue Dimension erreicht", kommentiert die WAZ. "Die Täter gingen derart erbarmungslos gegen die Journalisten und Polizisten vor, dass einem der Atem stockt. Das Morden bewegt und schockiert. Zugleich hat die Brutalität, getrieben von blindwütigem Hass und ungeahnter Feindseligkeit, den Menschen in den westlichen Demokratien und damit uns allen endgültig die Augen geöffnet. Die Bedrohung ist gegenwärtig."
Die "Mitteldeutsche Zeitung" bezeichnet die Anschläge als "pervers": "Wenn die Terroristen - wie berichtet - mit der Parole `Allah ist groß` das Feuer auf ihre Opfer eröffnet haben, haben sie in Wahrheit das Glaubensbekenntnis des Islams in sein Gegenteil verkehrt: Ein Gott, in dessen Name so etwas geschieht, ist ein Nichts. Und groß sind allein der Unverstand der Täter, das Unrecht, das sie begehen", schreibt das Blatt. "Mit einem Mal scheint der Krieg des Islamischen Staats oder anderer islamistischer Terrorgruppen wieder bei uns angekommen zu sein", kommentiert die "Allgemeine Zeitung Mainz". Und weiter: "Wir dürfen vor diesem Terror nicht kuschen, vor dem es keine absolute Sicherheit gibt. Umso wichtiger ist es jetzt, besonnen zu bleiben. So wie wir uns keine Sprach-, Zeichen- oder Denkverbote auferlegen lassen dürfen, so dürfen wir die Freiheit und die Offenheit unserer Gesellschaften nicht von Angst und Panikmache auffressen lassen. Auch wenn der rechtsradikale Front National und die islamkritische Pegida-Bewegung nun unweigerlich neuen Zulauf bekommen werden: Die Terroristen wollen den Krieg der Kulturen, und wir sind gut beraten, diesen Krieg nicht anzunehmen. Den Krieg der Kulturen zu verneinen, bedeutet aber nicht, den Streit für die Aufklärung aufzugeben."
Quelle: dts Nachrichtenagentur