"Fracht 200" – auch 2008 rollen Zinksärge mit willkürlich ermordeten Soldaten durch Russland
Archivmeldung vom 25.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie in der Vergangenheit immer wieder kritisierte Brutalität russischer Offiziere gegenüber jungen Rekruten in der russischen Armee steigt wieder an.
Anlässlich des mit großem Pomp am 23. Februar gefeierten "Tags der
russischen Armee" berichtet die Internationale Gesellschaft für
Menschenrechte (IGFM) über das sich wiederbelebende Diktat der
Längerdienenden, das jährlich ca. 3.000 jungen Rekruten durch Freitod,
Misshandlung und Folter das Leben kostet. Opfer dieser militärischen
Kastenordnung werden den Eltern als "Fracht 200" in verschweißten
Zinksärgen zugestellt. Die Todesursachen werden in der Regel falsch
angegeben, Zeugen eingeschüchtert, die Verbrechen in den seltensten
Fällen geahndet.
Auch an diesem Feiertag, dem "Tag der Armee", wird die sogenannte "Fracht 200" – Zinksärge mit Leichen von bis zur Unkenntlichkeit gefolterten Soldaten - durch Russland rollen. Sie sind Opfer der größten Geißel der russischen Streitkräfte, der grausamen Kastenordnung „dedowschtschina“ (Diktat der Längerdienenden). Jährlich treibt sie Hunderte junger Rekruten in den Selbstmord, macht Tausende zu Invaliden auf Lebenszeit.
Am 13. Februar warf sich der Rekrut Roman Nedoresow vor einen fahrenden Zug, weil er die Schinderei seiner Vorgesetzten nicht mehr ertragen konnte. Roman Rudakow, der trotz chronischer Bluterkrankung in die Armee eingezogen wurde und dem infolge von Misshandlungen durch Offiziere die Beine amputiert werden mussten, verstarb. Artur Nurislamow liegt mit eingeschlagener Schädeldecke im Koma. Drei Namen und Schicksale, die für Tausende gequälten jungen Soldaten stehen. Nach Angaben der russischen Organisation der Soldatenmütter "Recht der Mutter" sterben jährlich ca. 3000 Rekruten ohne Feindberührung einen gewaltsamen Tod in der russischen Armee.
Militärgeneralstaatsanwalt Sergej Fridinskij rechnet für 2008 gar mit einem starken Anstieg der im Rahmen der „dedowschtschina“ begangenen Verbrechen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums von Ende Januar 2008 erhöhte sich die Zahl der Suizide unter den Wehrdienstleistenden 2007 um 7% im Vergleich zum Vorjahr. Daran haben auch die positiven Schritte, wie die Einführung von demokratischen Institutionen wie der Elternkomitees nichts ändern können. Im Gegenteil betonen russische Menschenrechtler, dass Rekruten bei Willkür nach wie vor kaum Rechtschutz in Anspruch nehmen können. 7500 Klagen von Offizieren standen im vergangenen Jahr nur 60 von Rekruten gegenüber. "Grausamkeit, Willkür und Rechtlosigkeit sind zu Synonymen für den Begriff ‚Russische Armee’ geworden", so die Menschenrechtler in ihrem jüngsten Schreiben an Präsident Putin, Oberkommandierender der russischen Streitkräfte.
Die schrittweise Umstellung von Teilen der Armee in eine Berufsarmee
hat für die Rekruten die Lage verschlimmert. So mehrten sich 2007
Berichte, nach denen Wehrdienstleistende misshandelt und gefoltert
wurden, um eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben. In einigen
Einheiten wurden Berichten zufolge die Rekruten halbnackt in eisiger
Kälte auf dem Exerzierplatz gehalten, bis sie unterschrieben, in anderen
wurden sie in einen kalten dunklen Keller ohne Nahrung gesteckt oder
täglich geprügelt. Und etliche wurden überhaupt nicht gefragt; sie
wurden vom Kommandeur kurzum zu Vertragssoldaten erklärt.
Fälle, in denen Rekruten durch Offiziere erpresst oder korrumpiert wurden, stiegen explosionsartig an. Die Armeezeitung "Krasnaja Swesda" veröffentlichte eine sogenannte "Preisliste" z.B. für die Genehmigung des Urlaubs und was zu "wirtschaftlichen Zwecken" abzuführen sei. Nach wie vor werden Rekruten nicht selten als kostenlose Arbeitskraft von Kommandierenden missbraucht.
Quelle: Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM)