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Politischer Schlagabtausch zwischen Ungarn und Rumänien um Siebenbürgen

Archivmeldung vom 04.05.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.05.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Das Szeklerland, hier gelb eingezeichnet, liegt heute tief im rumänischen Staatsgebiet im östlichsten Teil Siebenbürgens.
Das Szeklerland, hier gelb eingezeichnet, liegt heute tief im rumänischen Staatsgebiet im östlichsten Teil Siebenbürgens.

Bild: Sie / wikimedia.org (CC BY-SA 3.0)

"Letzte Woche ereignete sich in der rumänischen Politik ein spektakulärer Vorgang mit weitreichenden Folgen. Eine Gesetzesvorlage zur Schaffung einer „Autonomen Region Székelyföld“ passierte erfolgreich die erste Abgeordnetenkammer. Erst die zweite Kammer, der Senat, zerschmetterte die Forderung. Darauf folgte ein Wutausbruch des Präsidenten und ein Wortgefecht mit dem ungarischen Außenminister." Dies schreibt Ciktor Erdesz auf "Unser Mitteleuropa".

Weiter schreibt Erdesz: "

Széklerland spielt für die Ungarn eine entscheidende Rolle

Es ist eine Forderung, die seit dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien besteht: Die Schaffung eines Autonomiegebiets für das Szeklerland/Székelyföld. Dieses Gebiet liegt am östlichsten Rand Siebenbürgens. Es entspricht etwa den vier alten ungarischen Komitaten Háromszék, Udvarhely (deutsch: Oderhellen), Csík (deutsch: Tschick) und Maros-Torda. Diese Region spielt für die Ungarn eine ganz besondere Rolle, da sich der Legende nach die einwandernden „Urungarn“ im Karpatenbecken vor etwa 1.100 Jahren dort niedergelassen haben sollen. Doch auch ethnisch hat es eine wichtige Bedeutung. Während Siebenbürgen als Ganzes im Laufe der Jahrhunderte durchgehend von Ungarn, Deutschen und Rumänen besiedelt war, war das Szeklerland stets eine ungarische Hochburg. Auch 100 Jahre nach dem Zwangsanschluss an Rumänien ist dies nicht anders. Von den über 800.000 Einwohnern sind heute über 70 Prozent Ungarn.

RMDSZ als ungarische Stimme im Parlament

Doch auch 100 Jahre nach der Abtrennung haben die Szekler kein autonomes Gebiet wie zum Beispiel die Südtiroler, sondern müssen tagtäglich um die Erhaltung ihrer Kultur kämpfen. Dabei versuchen sie natürlich auch politische Waffen zu benutzen. Die Partei RMDSZ (deutsch: Demokratische Union der Ungarn in Rumänien) gilt zwar als schwach und angeschlagen, doch sie schaffen regelmäßig den Einzug ins Parlament in Bukarest. Bei den letzten Parlamentswahlen 2016 holten sie sechs Prozent der Stimmen. Oftmals stellen sie einen Antrag für ein Gesetz zur Schaffung eines autonomen Szeklerlands. Erwartungsgemäß wird dieser immer im Parlament abgeschmettert. Doch am Montag, den 27. April 2020, geschah nach fast 100 Jahren die Sensation.

Nichtbehandlung gilt als Akzeptanz

Wie die Székely Hírmondó berichtete, wurde zunächst im Dezember 2019 an den Ausschuss für Menschenrechte weitergeleitet, in welchem Vertreter aller Parteien sitzen. In diesem wurde der Vorschlag zwar abgelehnt, doch mit drei Fürstimmen, einer Enthaltung und vier Gegenstimmen fiel das Ergebnis historisch knapp aus. Dabei hat die Einschätzung des Ausschusses aber keine bindende Wirkung. Der Entwurf geht dann zurück an das Parlament (Unterhaus), die erste und mächtigere Kammer im rumänischen Zwei-Kammern-System. Doch das Plenum setzte die Gesetzesvorlage nicht mehr auf die Tagesordnung. Es wurde also monatelang nicht behandelt, obwohl es so vorgesehen ist. Die übermächtige sozialdemokratische PSD, die bei den Parlamentswahlen fast 46 Prozent der Stimmen erhielt, bildet aktuell allein eine Minderheitsregierung. Sie hätte die Aufgabe gehabt, die Vorlage im Parlament zu behandeln. Das Nichtbehandeln hat dabei einen großen Effekt: Wenn die Regierung zu dem Gesetz nichts in Form einer parlamentarischen Debatte sagt, wird dies als Zustimmung gewertet. Dabei haben die PSD (46 Prozent) und die ungarische RMDSZ (sechs Prozent) im Parlament eine Mehrheit. Also hat juristisch gesehen das Parlament das Gesetz akzeptiert!

Präsident Johannis tobte vor Wut

Beschlossen ist in so einem Fall ein Gesetz aber noch nicht. Wird nämlich ein Gesetzesvorschlag durch ein solches Schweigen der Regierung durchgewunken, kommt es an die zweite Abgeordnetenkammer, den Senat (Oberhaus), der darüber endgültig entscheidet. Als publik wurde, dass der Vorschlag tatsächlich vom Unterhaus akzeptiert wurde, tobte Staatspräsident Klaus Johannis. Johannis, ein Siebenbürger Sachse, gehört zur liberalen Partei PNL, dem politischen Gegenspieler der PSD. Es wurde im Eilverfahren eine Sondersitzung des Senats einberufen. Nur zwei Tage später, am 29. April, schmetterte das Oberhaus den Gesetzesentwurf mit 126 zu 9 Stimmen ab (wobei alle neun Fürstimmen von den Senatsmitgliedern der RMDSZ kamen). Johannis äußerte sich daraufhin wutentbrannt in die Kameras. Er warf der PSD völlig absurd vor, sie hätte in einer Geheimsitzung mit der RMDSZ Siebenbürgen den Ungarn geschenkt, um selbst politisch an der Macht zu bleiben. In einer Provokation wendete er sich an die PSD auf Ungarisch mit den Worten:

„Jó napot kívánok, PSD (deutsch: Ich wünsche ihnen eine guten Tag, PSD)! Während die Regierung und die Behörden gegen die Pandemie des Coronavirus kämpfen, arbeitet die PSD in geheimen Büros in den Parlamenten daran, dass sie Siebenbürgen den Ungarn überlassen. Was hat ihnen Viktor Orbán (Anm.: ungarischer Ministerpräsident) für dieses Geschäft angeboten?“

Seine ganze Stellungnahme ist auf YouTube auf rumänisch abrufbar.

Sozialisten verfolgten spezielle Taktik

Die hysterische Reaktion des Präsidenten erfordert eine nähere Beleuchtung der Hintergründe des Handelns der PSD. Die PSD ist weit radikaler und dem Kommunismus näher, als andere Sozialdemokratische Parteien in Europa. Sie ist die Partei, die in den zwei ursprünglichen rumänischen Regionen, Moldawien und der Walachei, äußerst dominant ist. In Siebenbürgen ist sie nur schwach. Sie war in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder durch einen ausgesprochenen Minderheitenhass, vor allem einen Ungarnhass, aufgefallen. So sagte zum Beispiel der ehemalige Premierminister Mihai Tudose (PSD) 2018 in einem öffentlichen Fernsehinterview, dass wenn es die Szekler wagen ihre Fahnen aufzuhängen, sie dann gleich daneben hängen würden. Warum also ließ die PSD es zu, dass das Gesetz zur Autonomie die erste Kammer passiert?

Kampf zwischen Sozialisten und Liberalen spitzt sich zu

Der Grund ist die Zuspitzung des Machtkampfes in der rumänischen Politik. Die einstige allumfassende Macht der PSD ist seit Jahren am Zerbröckeln. 2014 verloren sie das Amt des Staatspräsidenten, der in Rumänien äußerst viel Macht besitzt, an den liberalen, deutschen Klaus Johannis. Bei der Präsidentschaftswahl 2019 gewann Johannis erneut. Durch unzählige Skandale und Korruptionsvorwürfe schmolz auch ihre einst absolute Macht im Parlament dahin. Nun müssen sie schon eine Minderheitsregierung bilden. Doch die Prognosen schauen noch düsterer aus. Anfang 2021 wird in Rumänien ein neues Parlament gewählt. In aktuellen Umfragen bricht die PSD komplett ein, verliert die Hälfte ihrer Prozente und steht noch bei etwa 24 Prozent. Klarer Sieger wäre die PNL mit fast 37 Prozent. In den Augen der PSD führt ein liberaler Regierungskurs zu einem Erstarken der Ungarn in Siebenbürgen. Daher haben sie mit ihrem Verhalten einen Warnschuss Richtung Volk abgeben wollen. Sie haben gezeigt, wie leicht es politisch sein kann, Gebiete zu verlieren und dass die Ungarn nur danach dürsten, ihre verlorenen Gebiete wieder an sich zu reißen.

Johannis vergisst seine Wurzeln

Besonders brisant ist es, dass Johannis bei beiden Parlamentswahlen nur durch die Stimmen der Ungarn Siebenbürgens an die Macht gekommen ist. Während diese im jeweiligen ersten Wahlgang den Kandidaten der RMDSZ unterstützt haben, hatten sie im zweiten Durchgang nur noch die Wahl zwischen Johannis und der PSD. Die Ungarn gaben, wie die meisten anderen Bewohner Siebenbürgens, ihre Stimme dem vermeintlich ungarn-freundlichen Johannis. Johannis scheint wohl vergessen zu haben, wer ihn zur Macht verholfen hat. Genauso scheint er vergessen zu haben, auf wessen Seite er steht. Denn die Rumänen aus der Walachei und Moldawien hetzen ununterbrochen gegen Siebenbürgen, auch gegenüber den Siebenbürger Sachsen, denen ethnisch Johannis angehört. Vergleicht man die Ergebnisse in den Wahlkreisen mit jenen der historischen Grenze bis 1920, wird schnell deutlich, wie aktuell diese alte Grenze heute noch ist.

Ungarischer Außenminister schaltet sich ein

Doch die hysterische Reaktion von Johannis war ein großer Schlag ins Gesicht der rund 1,2 Millionen Ungarn in Siebenbürgen. Nicht zuletzt, weil diese fast alle bei der Stichwahl der Präsidentschaftswahlen, sowohl 2014 als auch 2019, Johannis ihre Stimme gegeben haben. Die Ungarn dachten damals, dass ein Siebenbürger Sachse, der somit selbst einer Minderheit angehört, viel eher auf ihrer Seite wäre als ein rumänischer ungarnhassender PSD-Politiker. Johannis sorgte nun sogar für solch eine Empörung, dass ein politischer Schlagabtausch mit dem ungarischen Außenminister, Péter Szijjártó (Fidesz), folgte. Szijjártó forderte Johannis öffentlich dazu auf, mehr Respekt für die Siebenbürger Ungarn zu zeigen. Daraufhin erwiderte Johannis wiederum empört, warum sich der ungarische Außenminister in innere Angelegenheiten Rumäniens einmische. Darauf wiederholte Szijjártó seine Forderung nach mehr Respekt. Er blamierte Johannis geschickt, indem er darauf hinwies, dass es Johannis war, der in seiner Rede Viktor Orbán thematisierte. Szijjártó fragte klug, warum denn Johannis in einer „inneren Angelegenheit Rumäniens“ den ungarischen Premierminister thematisiere:

„Ich denke, dass wir als Vertreter eines über tausendjährigen Staates zurecht solche Aussagen, wie die des rumänischen Präsidenten gestern, auch auf uns beziehen. Mehr Respekt für die Ungarn! Und ich verstehe, dass das rumänische Außenministerium sagen muss, dass das eine rumänische innere Angelegenheit wäre. Aber ich empfehle denen, die Stellungnahme des rumänischen Präsidenten durchzulesen. Sie ist nicht lang, sie werden schon dazu in der Lage sein. Und dort werden sie lesen, was denn Viktor Orbán der rumänischen sozialistischen Partei versprochen hätte, warum sie das Autonomiegesetz nicht verhindert hätten, die Ablehnung im Parlament nicht verhindert hätten. Nun wenn das eine rumänische innere Angelegenheit ist, wie geraten dann wir, der ungarische Ministerpräsident, in die Stellungnahme des Präsidenten hinein?“

Die vollständige Stellungnahme ist auf der Facebook-Seite von Außenminister Szijjártó auf ungarisch abrufbar.

„Herr Präsident, Sie haben kein Herz!“

Während dessen steigt die Wut auf Johannis bei den Széklern. In einer emotionalen Videobotschaft, die auf Facebook auf ungarisch abrufbar ist, formulierte es István Csomortányi, der Vorsitzende der patriotischen Erdélyi Magyar Néppárt (Siebenbürgisch-Ungarische Volkspartei), folgendermaßen: „Bună ziua (Anm.: „Guten Tag“ auf Rumänisch) Herr Präsident Johannis! Heute haben Sie der ungarischen Gemeinschaft vorgeworfen, dass wir mit ihrem Feind, der PSD, den rumänischen Sozialisten, eine Abmachung getroffen hätten, dass wir Siebenbürgen an uns nehmen. Nun Herr Präsident, ich muss Sie daran erinnern, dass uns Siebenbürgen NICHT die PSD gegeben hat. Siebenbürgen wurde uns von unseren Vorfahren überlassen.

Siebenbürgen gehört uns! Siebenbürgen gehört denen, die hier leben. Sie Herr Präsident, haben damit, dass Sie Siebenbürgen gegen Bukarest eingetauscht haben, ihre Heimat verloren. Sie haben keine Heimat! Sie haben Ihre Gemeinschaft verloren, da sie Ihre siebenbürgisch-sächsischen Wurzeln gegen Bukarest eingetauscht haben. Sie, Herr Präsident, haben, ausgehend aus diesem Grund, auch Ihre Sprache verloren. Sie Herr Präsident, haben kein Herz. Denn wenn Sie eins hätten, dann würde es Ihnen zerreißen, wenn Sie durch die 800-jährigen sächsischen Dörfer laufen und sehen, was das 100-jährige Rumänien mit ihnen angestellt hat. Sie Herr Präsident, haben ein schlechtes Gedächtnis, da Sie anscheinend vergessen haben, wem Sie es zu verdanken haben, dass Sie gewählt wurden. Und Sie Herr Präsident, haben keine Ehre, weil Sie heute auf diejenigen eingetreten haben, die vor wenigen Jahren ihre meiste Hoffnung in Sie gesetzt haben.

Das, was Sie heute getan haben, hat zwei Folgen: Die eine ist, dass Sie vorübergehend, für wenige Augenblicke, vielleicht die Popularität ihrer Partei gesteigert haben. Die andere ist, dass Sie das Zusammenleben der Ungarn und Rumänen Siebenbürgens weiter erschwert haben. War es das wert, Herr Präsident? Aber egal was Sie sagen, egal wie Sie das Ihnen erbrachte Vertrauen zurückgeben, eines wissen wir: Das Szeklerland wird seine Autonomie bekommen! So wie das ganze Partium (Anm.: Gemeint sind hier die Regionen Szatmár/Sathmar, Nagyvárad/Großwardein, Arad und das Banat) seine Autonomie bekommen wird. So wie ganz Siebenbürgen, unsere historische Region, seine Selbstverwaltung zurückerlangen wird! Herr Präsident, uns interessiert nicht ihre Karriere. Uns interessiert es nicht, auf Grund welcher politischer Taktiken Sie sagen, was Sie sagen. Aber merken Sie sich noch einmal: Egal was Sie sagen, egal was Sie tun, das Szeklerland wird seine Autonomie noch bekommen. Genauso, wie das Partium autonom werden wird. Genauso, wie Siebenbürgen in seinen historischen Grenzen seine Selbstverwaltung zurückbekommen wird. Denn der Strom fließt, doch der Fels bleibt. Der Fels bleibt. (Anm.: Spruch des ungarischen Dichters aus Siebenbürgen Albert Wass).“

Quelle: Unser Mitteleuropa von Ciktor Erdesz

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