Eurokrise: Ökonomen attackieren italienische Regierung
Archivmeldung vom 26.10.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFührende Ökonomen in Deutschland haben Italiens Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi angesichts seiner zögerlichen Sanierungsmaßnahmen für die Staatsfinanzen scharf kritisiert. "De facto finanziert die EZB Staatsausgaben Italiens mit der Notenpresse", sagte der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, gegenüber der Onlineausgabe des "Handelsblatts". Italien schaffe es nur deshalb, sich zu halbwegs akzeptablen Zinsen Mittel am Kapitalmarkt zu besorgen, weil das italienische Finanzministerium seine Staatsanleihen vor allem an Banken verkaufe, die sie nach einer Frist teilweise an die Europäische Zentralbank (EZB) weiter veräußerte. In dieser Notsituation eine dringend notwendige Rentenreform zu verschleppen, sei "fahrlässig".
Nach Auffassung Krämers müssen sich die Peripherieländer letztlich selbst retten. "Der sogenannte Rettungsfonds EFSF kann nur Zeit kaufen - auch wenn die Politiker seine Feuerkraft durch eine Anleiheversicherung erhöhen." Harsche Kritik am Verhalten der italienischen Regierung äußerte auch der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn. "So manövriert man sich in den Abgrund", sagte Horn gegenüber der Onlineausgabe des "Handelsblatts".
Für den IMK-Chef liegt daher auf der Hand, dass die Zukunft des Euros jetzt nicht mehr davon abhänge, wie viel und was einzelne Länder sparen. "Der Zeitpunkt für solche Partiallösungen ist durch die allgemeine Zögerlichkeit der politischen Reaktion längst verpasst worden." Die Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssten, seien vielmehr grundsätzlicher Natur. "Die Euro-Gruppe muss die Aussage, treffen, dass alle umlaufenden Staatsanleihen garantiert werden", sagte Horn. "Und es muss klar sein, dass die EZB diese Aussagen stützt und notfalls mit eigenen Käufen die Kurse stabilisiert." Erst auf der Basis dieser Beschlüsse versprächen weitere Konsolidierungsprogramme in den Mitgliedsländern Erfolg.
Der Chefvolkswirt de Dekabank, Ulrich Kater, zeigte sich hingegen überzeugt, d! ass auch Italien kein Interesse an einer Eskalation der Euro-Problematik habe. "Das heißt, dass unabhängig vom Zustand der Koalition in Rom Lösungen präsentiert werden", sagte Kater der Onlineausgabe des "Handelsblatts". "Wie verbindlich diese sein können, das kann dann erst die nächste Regierung demonstrieren." Aber gerade diese Diskussion sei das beste Beispiel dafür, dass der Euro-Raum eine erneutes Bekenntnis zu dem bereits festgelegten Ausmaß an erlaubter Staatsverschuldung benötige sowie einen verbindlichen Mechanismus, diese Grenzen auch umzusetzen. "Der EFSF kann jedem Mitgliedsland, auch Italien, an den Märkten Zeit kaufen", sagte Kater. "Diese Zeit muss allerdings genutzt werden, um glaubwürdige Reformen einzuleiten."
Lambsdorff: Berlusconi-Rücktritt würde Euro-Krise nicht entschärfen
Nach Einschätzung des Vorsitzenden der FDP im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, würde ein möglicher Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi die Schuldenkrise nicht automatisch entschärfen. "Die Glaubwürdigkeit der Regierung Berlusconi hat in den letzten Tagen stark gelitten, doch daraus kann man nicht einfach folgern, dass ein Regierungswechsel der Euro-Rettung kurzfristig zugute kommen würde", sagte Lambsdorff gegenüber der Onlineausgabe des "Handelsblatts". Auch eine neue Regierung stünde vor der schwierigen Aufgabe, tiefgreifende und unpopuläre Reformen durchsetzen zu müssen. "Für Italien gilt es in jedem Fall, die hohe Schuldenlast zu bekämpfen und das schwache Wirtschaftswachstum anzukurbeln, um das Potenzial des Landes endlich voll auszuschöpfen, denn im Grunde ist Italien ein starkes Land mit zahlreichen wettbewerbsfähigen Unternehmen", sagte der FDP-Politiker.
Nach Lambsdorffs Ansicht muss es jetzt primär darum gehen, dass die italienische Regierung beim EU-Gipfel am Mittwochabend in Brüssel ein "glaubwürdiges und tragfähiges Konzept vorstellt und damit das Vertrauen sowohl der Finanzmärkte als auch der Partner in der EU wiederherstellt". In einem zweiten Schritt müsse man dann sehen, ob es im Parlament eine Mehrheit gebe. Zudem müsse man beobachten, ob die dringend notwendigen Strukturmaßnahmen auch wirklich umgesetzt würden. "Wenn das gelingt, dann wäre das ein positives Signal für die EU."
Quelle: dts Nachrichtenagentur