Boehme-Neßler sieht bei Auslandsdeutschen "schweren Wahlfehler"
Der Jurist Volker Boehme-Neßler sieht Unregelmäßigkeiten bei der Bundestagswahl. "Dass nicht wenige Stimmen der Auslandsdeutschen erst zu spät ankommen und nicht mitgezählt werden, ist ein schwerer Wahlfehler", sagte der Professor für öffentliches Recht an der Universität Oldenburg dem Nachrichtenportal T-Online.
"Denn das verletzt den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Alle
Bürger, die wählen wollen, müssen die Möglichkeit haben, zu wählen, und
das war bei - vielleicht - Tausenden Wählern aus dem Ausland offenbar
nicht gegeben." Wie groß das Problem tatsächlich sei, werde sich erst in
den nächsten Tagen herausstellen, "wenn die Wahlbriefe eintrudeln und
geprüft werden", so der Verfassungsrechtler.
Zwar gilt: "Das
Bundesverfassungsgericht hebt eine Wahl nicht einfach auf, nur weil es
Unregelmäßigkeiten gibt." Entscheidend sei aber, ob der Fehler
"mandatsrelevant" sei - also die Sitzverteilung im Bundestag
beeinflussen könnte. "Bei einem so knappen Wahlausgang ist die
Möglichkeit eines mandatsrelevanten Wahlfehlers gegeben", erklärte
Boehme-Neßler.
Eine Wahlwiederholung hält er aber für
unwahrscheinlich. "Das Bundesverfassungsgericht versucht grundsätzlich,
Wahlfehler zu reparieren, anstatt eine Wahl komplett aufzuheben."
Denkbar sei, verspätete, aber rechtzeitig abgeschickte Stimmen
nachträglich zu zählen. "Ich könnte mir vorstellen, dass das
Verfassungsgericht so den Wahlfehler reparieren würde."
Die
Folge: "Die Zusammensetzung des Bundestags könnte sich noch einmal
ändern - und mit ihr die Mehrheitsverhältnisse, sollte das BSW
nachträglich einziehen." Boehme-Neßler sagte aber auch, das
Verfassungsgericht werde abwägen, "ob es wert ist, das Land ins Chaos zu
stürzen. Da bin ich sehr skeptisch." Karlsruhe lege sehr großen Wert
auf einen stabilen, arbeitsfähigen Bundestag. Ohnehin könne ein
Verfahren am Verfassungsgericht lange dauern: "Bis ein Wahlfehler also
geheilt wird, kann das bis zu 1,5 Jahre dauern." Politisch gesehen könne
das BSW die Wahlfehler aber "als Instrument nutzen".
Langfristig
erwartet Boehme-Neßler Reformen: "Ich glaube, dass es langfristig
Änderungen im Wahlrecht geben wird." Vorschläge wie eine Stimmabgabe in
deutschen Konsulaten seien sinnvoll. "Lange Zeit wurde das Thema der
Auslandswahl als Randproblem betrachtet. Das Thema wird jetzt politisch
diskutiert, und ich bin überzeugt, dass es Reformen geben wird. Für die
Auslandsdeutschen wäre das eine gute Nachricht", so Boehme-Neßler.
Wichtig sei ihm: "Es handelt sich nicht nur um Ausgewanderte, die kein
Interesse mehr an Deutschland haben, sondern auch um Expats, die
wiederkommen und mitbestimmen wollen."
Quelle: dts Nachrichtenagentur