Ökonomin Dr. Stormy-Annika Mildner: Tea Party bewies ihre Gefährlichkeit
Archivmeldung vom 05.08.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach wochenlangem Spektaktel wurde die Zahlungsunfähigkeit der USA in letzter Minute abgewendet. Doch der Kompromiss zwischen Demokraten und Republikanern ist nur ein Notbehelf. Er wird das Schuldenproblem nicht lösen, möglicherweise sogar verschlimmern, meint die Expertin für US-Wirtschaftspolitik, Dr. Stormy-Annika Mildner von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Die Tea Party hat Obama den Verzicht auf Steuererhöhungen und massive Einsparungen aufgenötigt. Schwächt diese Schlappe seine Wiederwahlchancen?
Dr. Stormy-Annika Mildner: Zunächst einmal hat Obama keine lupenreine Schlappe erlitten; auch die fiskalkonservativen Republikaner konnten nicht alle Vorstellungen durchsetzen. Der von ihnen geforderte Verfassungszusatz über einen ausgeglichenen Haushalt oder auch die Bindung von Steueranhebungen an eine Zweidrittelmehrheit im Kongress schafften es letztlich nicht in den Kompromiss. Vor allem hat Obama erreicht, dass die Schuldengrenze so weit angehoben wird, dass sie finanziellen Spielraum für die Regierung bis nach den anstehenden Präsidentschaftswahlen Ende 2012 schafft. Aus dem Wahlkampf wird sie also rausgehalten. Die Republikaner können hingegen für sich verbuchen, dass es in der ersten Phase der Haushaltssanierung zu keiner Anhebung der Steuern kommen wird; der Kompromiss setzt lediglich auf Ausgabenkürzungen. Bis Ende November soll nun eine mit jeweils sechs Demokraten und Republikanern aus Repräsentantenhaus und Senat besetzte Haushaltskommission Vorschläge über weitere Kürzungen in Höhe von 1,5 Billionen Dollar für die zweite Phase der Haushaltssanierung erarbeiten. Diese können Änderungen bei Pflichtausgaben für staatliche Sozialversicherungssysteme sowie Einnahmesteigerungen durch eine Steuerreform einschließen. Der Kongress soll bis Ende des Jahres über diese Vorschläge entscheiden. Washington ist es also gelungen, sich auf einen Kompromiss zu einigen und damit die drohende Zahlungsunfähigkeit der USA abzuwenden. Die Bevölkerung ist allerdings mit seiner Regierung insgesamt unzufrieden. Sowohl Präsident als auch die demokratische und republikanische Parteiführung im Kongress haben noch einmal deutlich an Zustimmung verloren. Besonders stark zeigt sich dies bei den Republikanern. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew sind nur 25 Prozent der Befragten mit der Arbeit der republikanischen Parteiführung zufrieden. Dahingegen glauben immer noch 41 Prozent der Befragten, dass Obama gute Arbeit leistet. Allerdings hat das amerikanische Volk wie jedes Wahlvolk ein kurzes Gedächtnis. Bleibt die Arbeitslosigkeit hoch, wird der Schuldenstreit 2012 vergessen sein, und Obama dürfte es nicht leicht haben.
Die eigene Partei folgte dem Präsidenten im Repräsentantenhaus nur zur Hälfte. Hat Obama seine Strahlkraft auf die eigenen Anhänger eingebüßt?
Dr. Mildner: Tatsächlich ist die Parteidisziplin der Demokraten geringer als die der Republikaner. Selbst von den Tea-Party-Anhängern schwenkten letztlich einige auf die Parteilinie ein. Maßgeblicher Antrieb der Abweichler der Demokraten ist die Angst, nicht wiedergewählt zu werden. Sie befürchten, dass die Ausgabenkürzungen zulasten der sozial Schwachen gehen, ihrer Klientel.
Der US-Schuldenberg wird vorerst weiter wachsen. Ist das Grundproblem nur aufgeschoben statt gelöst?
Dr. Mildner: In der Tat reicht die vorgesehene Summe der Kürzungen nicht aus, um weitere Schuldenaufnahmen zu verhindern. Und dies belastet die US-Wirtschaft. Denn der Staat nimmt Kredite auf, treibt so die Zinsen in die Höhe und erschwert damit der Privatwirtschaft, Kredite aufzunehmen, um zu investieren. So verdrängt der Staat mit seinen eigenen Investitionen die privaten vom Markt. Da aber staatliche Inves"titionen meistens nicht so produktiv sind wie private, schadet das dem Wirtschaftswachstum. Zwar sind sich alle einig, dass der US-Haushalt saniert werden muss. Worüber sich die Ökonomen allerdings streiten, ist der richtige Zeitpunkt und wo genau eingespart werden soll. So kritisiert beispielsweise Paul Klugman, ausgerechnet jetzt mit einem radikalen Sparprogramm loszulegen. Eine gesunde Fiskalpolitik verhält sich antizyklisch, in wirtschaftlich schwächeren Zeiten muss mehr ausgegeben, in guten Zeiten mehr gespart werden. Was jetzt angesichts eines Wachstums von 0,4 Prozent im ersten Quartal 2011 und einer Arbeitslosigkeit von über neun Prozent gemacht wird, ist pro-zyklisch und riskiert, das Wachstum weiter zu dämpfen. Das Fatale daran wäre, dass dies auch das Steueraufkommen verringern und somit das Sparprogramm konterkarieren würde.
Bleiben die Ratingagenturen trotz dieser Aussichten dabei, Washington als Top-Schuldner einzustufen?
Dr. Mildner: Die Möglichkeit der Herabstufung ist noch nicht gebannt. Die Reaktionen der Ratingagenturen hängen stark davon ab, welche Vorschläge die Haushaltskommission entwickeln wird.
Ist die Rolle des Dollar als Leitwährung gefährdet?
Dr. Mildner: Wir haben bereits in den vergangenen Jahren eine schleichende Diversifizierung von Währungsreserven beobachtet. So hat Peking vorsichtig umgeschichtet, um sich weniger abhängig von der US-amerikanischen Politik zu machen, aber gleichzeitig keine Panik auf den Märkten auszulösen und damit die eigenen Dollarreserven zu entwerten. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Die Rolle des Dollars ist dennoch nicht gefährdet, da es schlichtweg an guten Alternativen mangelt. Denn der Euro-Raum leidet unter mindestens ebenso großen Verschuldungs- und Vertrauensproblemen wie die USA. Zu einer schnellen Flucht aus dem Dollar wird es deshalb nicht kommen.
Werden die angekündigten Einschnitte in staatliche Leistungen das soziale Gefälle vergrößern?
Dr. Mildner: Wenn bei der Gesundheitsvorsorge für ältere und bedürftige Menschen oder bei den Arbeitslosenhilfen gespart wird, trifft es tatsächlich die Schwächsten der Gesellschaft.
Trotz drohender Staatspleite prallten die Anschauungen unversöhnlich aufeinander. Verliert Washington die Fähigkeit zum Kompromiss?
Dr. Mildner: Viele Beobachter sind der Meinung, dass dies der schwierigste Kongress in der Geschichte der USA ist. Nicht nur, dass die Regierung gespalten ist zwischen einem demokratischen Präsidenten und Senat einerseits und einem republikanisch dominierten Repräsentantenhaus andererseits. Erschwert wird die Kompromissbildung dadurch, dass die Republikaner in sich gespaltet sind. Die radikal fiskalkonservative Tea Party-Fraktion lässt sich von ihrer Parteispitze kaum einfangen.
Die Tea Party ist im Zentrum der Macht angekommen. Wie gefährlich ist ihr Ideal, die USA wie eine Westernstadt zu regieren, für die Weltmachtrolle der USA?
Dr. Mildner: Ihre Gefährlichkeit hat die Tea Party unter Beweis gestellt, indem sie den US-Bankrott in Kauf genommen hätte, um ideologische Standhaftigkeit zu demonstrieren. Die Frage ist allerdings, wie es mit der Tea Party weitergeht. Denn auch sie hat bei vielen republikanischen Wählern eine Glaubwürdigkeitsschlappe hinnehmen müssen. Das bleibt in den kommenden Wahlen nicht unbestraft.
Der US-Staat soll auf ein Niveau schrumpfen, das er zuletzt unter Eisenhower hatte. Wird diese Schrumpf-Version der Rolle der USA gerecht?
Dr. Mildner: Zu einem derart massiven Schrumpfungsprozess wird es nicht kommen. Man kann die Uhr nicht zurückdrehen, dafür hat der Staat mittlerweile zu viele Aufgaben übernommen. Auch die Republikaner wollen eine politisch-wirtschaftliche Führungsrolle der USA weltweit. Das verträgt sich nicht mit einer Staatsquote aus den 50er-Jahren.
Erstmals seit 20 Jahren soll auch das Pentagon bluten. Ist die Zeit kostspieliger Kriege für Washington vorbei?
Dr. Mildner: Auch der Verteidigungsetat ist vor Kürzungen nicht verschont. Wie hoch diese ausfallen werden, hängt aber letztlich von den Vorschlägen der Haushaltskommission ab. Zudem könnten die Kongressmitglieder mit einem Haushaltstrick hohe Kürzungen verhindern, nämlich indem sie den anstehenden Abzug aus dem Irak und auch den aus Afghanistan in der anzustrebenden Einsparsumme anrechnen.
Beschleunigen Verschuldung und Schrumpfkur den relativen Niedergang der USA?
Dr. Mildner: Der Niedergang der USA wurde schon so oft beschworen, etwa Ende der achtziger Jahre, dass ich vorsichtig bin mit diesem Szenario. Denn trotz Pessimismus folgte in den 90er-Jahren ein unglaubliches Wirtschaftswachstum der US-Wirtschaft von durchschnittlich vier Prozent.
Relativer Abstieg meint ja auch einen Machtverlust durch den Aufstieg anderer Nationen wie Indien und China...
Dr. Mildner: Laut dem Bericht zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Davoser Weltwirtschaftsforums sind die USA zumindest in einem Bereich noch immer absolut top: Und das ist Innovationsfähigkeit und Entwicklung neuer Technologien. Wenn es ihnen gelingt, diese Stärke auszuspielen und Marktanteile zurückzugewinnen, wenn sie wieder höhere Wachstumsraten erzielen und wenn sie ihr Schuldenproblem in den Griff bekommen -- dann werden sie sicherlich nicht so schnell überholt werden, wie es viele derzeit prognostizieren.
Quelle: Landeszeitung Lüneburg / Das Interview führte Joachim Zießler(ots)