Drei Monate seit Beginn der Proteste - Tibet ist der größte Gulag der Welt
Archivmeldung vom 13.06.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDrei Monate, seit die friedlichen Proteste in Lhasa ihren Anfang nahmen und sich in der Folge auf andere ethnisch tibetische Gebiete ausweiteten. Das Tibetische Solidaritätskomitee möchte aus diesem Anlass all den tapferen Tibeterinnen und Tibetern, den Lebenden und den Toten, in Tibet seine aufrichtige Anerkennung zollen, ganz besonders aber diejenigen würdigen, die während der letzten drei Monate ihr Leben für die Sache Tibets geopfert und ihren Besitz aufs Spiel gesetzt haben.
An den vielen, vielen friedlichen Protesten, zu denen es in den vergangenen drei Monaten in Tibet kam, nahmen zuweilen bis zu 10.000 Menschen teil, und wieder ein andermal protestierte nur eine einzelne Person. Es ist in den vergangenen drei Monaten kein einziger Tag vergangen, an dem es nicht irgendwo in Tibet ein solches Ereignis gegeben hätte. Tibeter aus allen Teilen der Gesellschaft machten bei den Protestaktionen mit: Mönche und Nonnen, Ngakpas (Yogis), hoch angesehene Lamas (Lehrmeister und reinkarnierte Mönche) und Khenpos (Klosteräbte), Geshes (spirituelle Lehrer), ehemalige Äbte, Bauern und Nomaden, Lehrer und Schüler, tibetische Regierungsbeamte, tibetische Parteikader und Gemeindevorsteher, Ärzte und Künstler, Bewohner von Stadt und Land, Greise von 80 Jahren und Kinder von gerade einmal zwölf Jahren, Arme und Reiche – sie alle haben ihren Beitrag zu der Sache Tibets geleistet.
Die Proteste ereigneten sich in allen drei traditionell tibetischen
Provinzen, die nun aufgeteilt sind auf die Autonome Region Tibet (TAR),
die Provinz Qinghai (tib. Tsongon) sowie die Provinzen Sichuan, Gansu
und Yunnan. Und sogar in China selbst demonstrierten tibetische
Studenten aus Solidarität mit ihren Landsleuten in Tibet.
Die friedlichen Protestaktionen trugen unterschiedlichen Charakter: Es
gab friedliche Prozessionen und Demonstrationen unter Zurschaustellung
von Bannern, Friedensmärsche, Selbsttötungen, Hungerstreiks,
Wandzeitungen wurden angebracht, Widerstand gegen die "Arbeitsteams",
die die Klöster heimsuchten, geleistet, die landwirtschaftlichen
Arbeiten wurden ausgesetzt, es kam zu Transportstreiks, der
Nicht-Kooperation bei der Kampagne der "Patriotischen Erziehung", der
Weigerung, Seine Heiligkeit den Dalai Lama zu diffamieren, und so
weiter. Abgesehen von vereinzelten Fällen von gewaltsamen
Ausschreitungen – provoziert durch verdeckte Agenten, die sich als
Tibeter ausgaben – waren 99 % der Proteste friedlicher Natur.
Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, allein zwischen
dem 10. und 25. März habe es über 150 Protestaktionen gegeben. Unter
Zugrundelegung dieser Angaben kam es also jeden Tag zu durchschnittlich
zehn Demonstrationen.
Die wichtigsten Slogans, die während all dieser Aktionen zu hören waren, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: "Tibet ist eine unabhängige Nation! Lange lebe der Dalai Lama! Seine Heiligkeit der Dalai Lama soll seinen rechtmäßigen Platz in Tibet wiedereinnehmen! Freiheit für Tibet! Wir fordern Menschenrechte in Tibet! Wir fordern Religionsfreiheit in Tibet! Tibet gehört den Tibetern! Chinesen raus aus Tibet!“
Ohne auch nur die geringste Notiz von den Problemen der Tibeter zu
nehmen und nach der Ursache ihrer tiefen Verbitterung zu fragen,
kommandierte die chinesische Regierung einfach ihre Truppen und
paramilitärischen Kräfte nach Tibet ab, um die Proteste gewaltsam zu
unterdrücken, was in einem Blutbad und brutaler Repression endete. Die
friedlich demonstrierenden Tibeter wurden erschossen, erstochen,
zusammengeschlagen und inhaftiert. Diesen grausamen Vergeltungsschlägen
der chinesischen Regierung fielen bisher mindestens 209 Menschenleben
zum Opfer, an die 6000 Tibeter wurden verhaftet und über 1000 verletzt.
Bei sowohl geheimen als auch dem Schein nach öffentlichen Prozessen
wurden mindestens 40 Tibeter zu unterschiedlich langen Haftstrafen
verurteilt.
Kurz nachdem überall in Tibet die friedlichen Proteste begannen, hat die chinesische Regierung Tibet für ausländische Medienvertreter und Touristen unzugänglich gemacht. Diejenigen, die sich anfänglich noch in Tibet befanden, wurden hinausgeworfen. Große Kontingente an Militär und paramilitärischen Kräften wurden nach Tibet entsandt, so daß eine kriegsrechtsähnliche Situation entstand. Die Soldaten und paramilitärischen Kräfte führten in jedem tibetischen Haushalt Razzien durch, bei denen sie nach Indizien suchten, um den Mitgliedern des betreffenden Haushalts ein Delikt anhängen zu können. Auf diese Weise wurden unzählige unschuldige Tibeter willkürlich festgenommen und verschwanden hinter Gittern.
Im Anschluß an diese brutalen Repressionsmaßnahmen wurde die Kampagne der "Patriotischen Erziehung" in allen Gegenden Tibets wiedereingeführt und zwar in intensivierter Form. Im wesentlichen wird dabei von den Tibetern verlangt, Seine Heiligkeit, den Dalai Lama, zu schmähen und ein Loblied auf die Chinesische Kommunistische Partei zu singen. Mit einem Wort: Tibet ist nach wie vor das größte Gefangenenlager (Gulag) der Welt!
Angesichts der kritischen Situation in Tibet appellieren wir an die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft, sich dringend unserer folgenden Forderungen anzunehmen:
1) unverzüglich unabhängige Untersuchungskommissionen nach Tibet zu entsenden;
2) unverzüglich der freien Presse Zugang zu ganz Tibet zu gewähren;
3) unverzüglich dem brutalen Morden in ganz Tibet ein Ende zu setzen;
4) unverzüglich für die sofortige Freilassung aller festgenommenen und verhafteten Tibeter zu sorgen;
5) unverzüglich die medizinische Versorgung der verletzten Tibeter zu ermöglichen;
6) die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit der Menschen und ihren Zugang zu lebensnotwendigen Gütern sicherzustellen.
Quelle: Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM)