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Solidarität wird verschüttete Chilenen retten

Archivmeldung vom 28.08.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.08.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Grubenunglück von Mine San Jose, Copiapo, Chile, am 5 August 2010. Bild: www.latercera.com/multimedia/interactivo/2010/08/687-27661-4-las-opciones-de-rescate.shtml
Grubenunglück von Mine San Jose, Copiapo, Chile, am 5 August 2010. Bild: www.latercera.com/multimedia/interactivo/2010/08/687-27661-4-las-opciones-de-rescate.shtml

Die 33 Bergleute, die seit 5. August in der Gold- und Kupfermine San Jose in Chile eingeschlossen sind, haben gute Überlebenschancen. Das schätzt der Traumaexperte Georg Pieper, der die 1988 im deutschen Borken verschütteten Minenarbeiter als Psychotherapeut betreut hat. "Unter Bergleuten gibt es die höchste Solidarität aller Berufsgruppen. Menschen entwickeln besonders bei gegenseitiger Hilfe enorme Kräfte, die sie überleben lassen", so der Experte im pressetext-Interview.

Wie ein Lauffeuer ging vergangenen Sonntag die Meldung um, dass die in 688 Metern Tiefe verschütteten "mineros" noch am Leben sind. Ihre Verbindung zur Außenwelt ist ein acht Zentimeter dünnes Rohr, über das sie bereits Nahrungsmittel und nötige Utensilien erhalten. Am heutigen Samstag startet die Rettungsaktion, in der Bohrgeräte einen Schacht bis zu den Arbeitern vortreiben sollen. Allerdings wird es laut Chiles Präsident Sebastian Pinera bis Weihnachten dauern, bis die Verschütteten wieder bei ihren Familien sind.

Kleinreden dürfe man die Last auf der Psyche dieser Bergleute nicht, betont Pieper. "Angst und Tod sind vor Augen und die Bedingungen wie der enge Raum und die Temperatur sind extrem." Das psychische Durchhalten sei neben Sauerstoff, Nahrung und Wasser der entscheidende Faktor für das Überleben. "Wer den Mut verliert, wird viel schneller krank und natürlich sind nach der bisherigen Schwächung auch Todesfälle möglich. Kommt es dazu, verschärft sich die Situation für die gesamte Gruppe."

Domino und Gottesdienst

Die psychische Fähigkeit, weitere vier Monate durchzuhalten, hängt für den Traumaexperten ganz entscheidend von bestimmten Faktoren ab. "Einerseits brauchen die Betroffenen einen geregelten Tagesablauf, wozu die Domino- und Kartenspiele eine Hilfe sind. Feste Rituale zu den Tageszeiten sind notwendig, wie etwa ein morgendlicher Gottesdienst oder das gemeinsame Mittagessen." Auch das Singen helfe der Psyche sehr - vielleicht mit ein Grund, warum es so viele Bergarbeiterlieder gibt.

Weiters sei es wichtig, so gut als möglich Normalität herzustellen. "In Chile steht bald der Nationalfeiertag an. Diesen gilt es auch für die Eingeschlossenen zu feiern, sowie etwa wichtige Fußballspiele oder die Einhaltung des Sonntags." Tagesnachrichten gehören dazu - und das Bewusstmachen, dass die Zeit vorbei geht. "Die Entscheidung war richtig, dass man die Kumpels über die monatelange Dauer der Rettung informiert hat. Ähnlich wie im Gefängnis können sie sich nun darauf einstellen." Zwingend notwendig ist dafür allerdings, dass diese Zeit vom Einzelnen akzeptiert wird.

Sorge um die Außenwelt

"Es reicht für die Eingeschlossenen nicht, mit ihren Angehörigen zu telefonieren", vermutet der Psychotherapeut. In derartigen Situation könne man oft beobachten, dass die Sorge um die Angehörigen größer sei als die um das eigene Wohl. "Ratsam wäre es, wenn Fachleute den Bergarbeitern mitteilen, dass ihre Familien mit der Situation klarkommen." Zu hoffen sei, dass die Angehörigen bereits jetzt psychologisch betreut werden.

Gelingt die Rettung, ist die schwierige Situation für die Bergleute jedoch nicht vorbei. Ganz im Gegenteil, betont Pieper. "Vielfach ist es nachher noch schwieriger. Die Umgebung versteht die Geretteten nicht, zudem ist ein enormer Medienrummel vorprogrammiert, der selbst die zusammengeschweißte Schicksalsgemeinschaft auseinanderbringen kann. Die Rückkehr in die Gesellschaft wird schwer fallen, denn man kaum mehr dort weitermachen, wo man zuvor aufgehört hat."

Quelle: pressetext.deutschland Johannes Pernsteiner

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