Krieg „aus Versehen“?
Archivmeldung vom 07.08.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDas Londoner European Leadership Network, ein Netzwerk prominenter Sicherheitspolitiker, veröffentlichte auf seiner Website ein analytisches Dokument mit dem Titel: „Krisenmanagement in Europa im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine“. Es ist eine Art Appell an die Führung Russlands und der Nato, wie Radio "Stimme Russlands" berichtet. Die Experten fordern beide Seiten zu Zurückhaltung und gegenseitiger Transparenz auf und warnen davor, dass in der jetzigen Situation ein beliebiger Zufall zu einem umfangreichen Militärkonflikt führen könne.
Weiter heißt es bei Radio "Stimme Russlands": "Zu den Unterzeichnern des Dokuments gehören ehemalige hochrangige Vertreter von Außen- und Verteidigungsministerien sowie Geheimdiensten, Politiker und andere Persönlichkeiten aus Großbritannien, Deutschland, Frankreich, der Türkei, aus Finnland, Polen und Russland. "Wir glauben, dass der Konflikt in der Ostukraine die Sicherheit von ganz Europa gefährdet",schreiben die Experten. "Es gab bereits mehrere Beinahe-Zusammenstöße. Es muss dringend etwas getan werden, um deren Wahrscheinlichkeit zu verringern.“Als besonders beunruhigend betrachten die Sicherheitsexperten jene Tatsache, dass sich Krisen ohne Vorwarnung zuspitzen können. Sie warnen: "Eine Eskalation in einem dieser Konflikte, ausgelöst durch unabhängige Drittkräfte wie kürzlich beim Abschuss von Flug MH17, kann die Krise zwischen Russland und dem Westen vertiefen, ohne dass eine Seite das will."
Die Unruhe der Autoren des Dokuments hinsichtlich möglicher gefährlicher Folgen der gegenwärtigen Situation in Europa ist verständlich. Doch werden jene diese Stimmen hören, die konkrete Entscheidungen treffen und reale Handlungen vollziehen? Was die russische Seite betrifft, so erklärt sie nicht nur ihre Bereitschaft, die friedliche Regelung in der Ukraine zu unterstützen, sondern sie demonstriert diese Bereitschaft auch. Alle Äußerungen Moskaus werden jedoch von Washington und dementsprechend auch von den Hauptstädten der EU- und Nato-Mitgliedsländer sofort abgelehnt als angeblich nicht aufrichtige und heuchlerische. Indessen sind es die europäischen Spitzenpolitiker, die echte Heuchelei praktizieren.
Von einer ständigen Verdrehung der Tatsachen und einer Anheizung der russlandfeindlichen Hysterie durch das Kiewer Regime muss hier nicht geredet werden. Dieses Regime war auf der Welle eines blutigen Umsturzes an die Macht gekommen und hinterlässt heute im Südosten der Ukraine seine schrecklichen Todesspuren, wo es die Willensäußerung der eigenen Bürger mit Kugeln, Geschossen und Raketen unterdrückt. Verblüffend ist jedoch die nicht verborgene Heuchelei jener, die beliebige Handlungen dieses Regimes zu „rechtmäßigen“ erklären und Russland die Schuld an allem Geschehen geben.
Es ist schwer zu glauben, dass man in den Machtkorridoren Washingtons, der EU-Länder und der Nato das reale Bild des Geschehens in der Ukraine und um sie herum nicht kennen würde. Aber zum Beispiel trat der Generalsekretär der Allianz Anders Fogh Rasmussen in der britischen Zeitung „The Financial Times“ mit einem Artikel auf. Es genügt, hier einige seiner Äußerungen anzuführen. Allein die Überschrift spricht für sich: „Angesichts der russischen Bedrohung ist ein jedes Nato-Mitglied verpflichtet, all seine Kräfte anzuspannen“ (Originaltext: „Each Nato ally has to pull ist weight after Russia’s threats“). Dann folgen ähnliche Worte aus den Zeiten des Kalten Krieges quasi wie aus einem Füllhorn: „die russische Aggression gegen die Ukraine“, „ein Alarmsignal für die Allianz“, „der rechtswidrige Versuch einer Annexion der Krim“ – in der Nato scheint man offenbar die Tatsache der Willensbekundung des Volkes der Halbinsel als russische Aggression und einen bisher noch nicht gelungenen „Versuch“ zu betrachten. Auch heißt es da: „Russland fordert die Weltgemeinschaft heraus“, „die Weltordnung ist in Frage gestellt“ usw.
Selbstverständlich wird im Artikel von Rasmussen ein ganzer Maßnahmenkomplex zum Ausbau der militärischen Stärke der Allianz aufgezählt. Ihr Wesen beschränkt sich auf Folgendes: mehr Schiff auf hoher See, mehr Flugzeuge in der Luft, mehr Militärübungen auf dem Festland. Und konkret – ein Wachstum der Militärhaushalte, ein Vorrücken der Nato-Infrastruktur an die Grenzen Russlands, eine Realisierung von Militärübungen im ganzen Raum der Allianz. Übrigens sind im September Militärübungen auf dem Territorium der Ukraine geplant, wo ein Bürgerkrieg im Gange ist. Von welchen Überlegungen lässt sich die Nato leiten? Wer und warum drängt die Situation zu jenem „Versehen“, vor dem die Mitglieder des European Leadership Network warnen? Der Leiter des Bereichs Europäische Sicherheit am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften Dmitri Danilow meint, die Ukraine-Krise befinde sich bereits tief in der gefährlichen Bahn.
„Ein beliebiger militärischer Konflikt, und in der Ukraine ist es ein militärischer Konflikt, besitzt seine Bahn, aus der er nicht mehr herauskommt“,sagt Dmitri Danilow. „Aber zugleich existiert eine sehr ernsthafte politische Krise zwischen Russland und dem Westen. Und zwar eine Krise, die bereits eine militärpolitische Dimension besitzt. Das alles spricht davon, dass an den Ostgrenzen der Nato zu Russland die militärische Aktivität zunehmen wird, was sich auch in einer stärkeren militärischen Zusammenarbeit der Ukraine mit dem Westen offenbaren wird.“
Die politischen Appelle, sich an die früher erzielten Vereinbarungen zu halten, so Danilow, sind natürlich gerechtfertigt. Sie sind darauf -, eine Eskalation des Konflikts zu verhindern. Die Experteneinschätzungen sind etwas anderes. Sie sprechen davon, dass eine Rückkehr zum Vergangenen nicht mehr möglich sei. Diese Etappe sei endgültig durchlaufen, meint Danilow überzeugt. Wird die westliche Seite begreifen können, wovor die erfahrenen Politiker warnen, - Halt zu machen an jener Grenze, hinter der ein beliebiges „Versehen“ zum Krieg führt?"
Quelle: Text von Oleg Sewergin - „Stimme Russlands"