Kann es sich die Europäische Union leisten, China zu drohen und mit Sanktionen zu bestrafen?
Archivmeldung vom 11.04.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićSeit Beginn des Ukraine-Konfliktes bemühen sich die USA, ihren Einfluss auf die Außenpolitik der Europäischen Union zu verstärken. Zudem drängt Washington seine europäischen Verbündeten, noch stärker gegen Peking vorzugehen. Aber ist das realistisch? Dies analysiert Timur Fomenko im Magazin "RT DE".
Weiter analysiert Fomenko auf RT DE: "Die Einflussoperationen der USA auf dem "alten Kontinent" sind umfangreich und reichen von einer ganzen Armee US-finanzierter und -gelenkter Denkfabriken über wohlgesinnte Journalisten bis hin zu Politikern. Es ist wenig überraschend, dass das Verhältnis zu Russland in diese langjährigen Bemühungen eingeordnet wurde, um die Europäische Union (EU) dazu zu bringen, sich den US-amerikanischen Präferenzen auch in Bezug auf Peking anzupassen und das "Merkel-Erbe" des (deutschen) Engagements in China endlich loszuwerden.
Das machte den China-EU-Gipfel am vergangenen Freitag zu einem kritischen Ereignis. Es ist unvermeidlich, dass Zeitungen wie die Financial Times (FT) versuchen, dieses Ereignis in ausschließlich negativen Narrativen rund um Peking auszuschmücken, indem dort etwa ein Artikel mit dem Titel "Russlands Invasion in der Ukraine schmiedet eine neue Einheit innerhalb der EU gegenüber China" publiziert wurde, der eine noch härtere Haltung gegenüber China voraussagt, weil China versucht, sich vor einem Abwenden von Moskau "zu drücken".
Aber das ist weit von der Realität entfernt. Was die EU sagt und was die EU tut, sind oft zwei verschiedene Dinge, wenn sie nämlich versucht, um jede erdenkliche Weise den Anschein von Geschlossenheit zu demonstrieren, koste es was es wolle. In der Praxis hat man in Brüssel tatsächlich nicht mehr weder den politischen Willen noch die Einheit oder die Mittel, um Peking umfassend zu irgendetwas zu zwingen – insbesondere nachdem China erneut bekräftigt hat, dass seine strategische Partnerschaft mit Russland weiterhin "keine Grenzen" habe.
Nicht nur, dass der Anschein einer Einheit der EU gegenüber Russland, welche der Artikel der FT als "überraschend" für Peking darzustellen versucht, erheblich übertrieben ist, sondern es scheint sogar noch weniger plausibel, dass die EU irgendeine politische Entschlossenheit habe, jenen Schmerz einer frontalen Konfrontation mit dem viel stärkeren Wirtschaftspartner China zu ertragen, das gemessen am nominalen BIP inzwischen eine Wirtschaftsmacht größer als die gesamte EU ist. So oder so scheint es klar, dass der Weg einer Angleichung der Interessen EU an die der US-Außenpolitik nämlich Westeuropa noch schwächer, ärmer und weniger relevant als je zuvor machen wird – typisch für die Selbstgeißelung, die sich die EU oft auf Geheiß aus Washington, D.C. bereits auferlegt hat.
Die Herangehensweise westlicher Nationen gegenüber China in Bezug auf die Ukraine ist zunehmend die, den Kuchen zu bestellen und ihn auch selber zu essen. Peking wird als Gegner, Konkurrent und Rivale gesehen und die Darstellungen in den Mainstream-Medien sind von Misstrauen, Verachtung und Skepsis gekennzeichnet. Es gibt Bestrebungen, die gesamte Region um China militärisch aufzurüsten, wobei die Vereinigten Staaten die europäischen Länder dazu drängen, ihre "indopazifischen Strategien" zu übernehmen, nämlich Kriegsschiffe in das Südchinesische Meer zu schicken und Taiwan zu unterstützen, während die Haltung zu der abtrünnigen Insel als binärer Kampf um die Vorherrschaft zwischen Autoritarismus und liberaler Demokratie dargestellt werden.
In den vergangenen zwei Jahren war jegliches Wohlwollen des Westens insgesamt gegenüber China minimal ausgeprägt. Während sich zwar der größte Teil Europas nicht auf demselben tiefen Niveau wie die angelsächsischen Nationen bewegte, waren die Bemühungen der USA, über ihre Einflusskanäle an der Schraube zu drehen, dennoch spürbar. Andererseits wird trotzdem wird von China immer noch erwartet, dass es kooperiert und den Willen des Westens in verschiedenen Fragen erfüllt, die nicht seinen eigenen, sondern dessen Interessen dienen – oft begleitet von unverhohlenen Drohungen.
Bei einer solchen Haltung ist es unvermeidlich, dass China seine strategische Partnerschaft mit Russland weiterhin als facettenreich und entscheidend betrachten wird. Warum sollte Peking Moskau dem Westen zuliebe vor einen Bus schubsen, wenn der Westen seinerseits China gegenüber ganz klar keinerlei Wohlwollen oder gute Absichten zeigt? Peking handelt richtig, wenn es seine verschiedenen Optionen und eigenen Interessen dementsprechend absichert. Das bedeutet zwar nicht, die Situation in der Ukraine vollständig zu billigen, aber es bedeutet auch nicht, sie einfach auf Verlangen bestimmter Länder vordergründig zu verurteilen. Chinas eigene Absicherung ist sowohl umsichtig als auch strategisch richtig – denn es wäre naiv, den USA und ihren Vasallen zu vertrauen. Wenn es in dieser Situation irgendeine Zusammenarbeit oder Gefälligkeiten geben soll, hätte Peking jedes Recht, dafür einen sehr hohen Preis zu verlangen.
Wollen die EU-Mitglieder mit China Friedensgespräche? Wenn ja, dann muss zum Beispiel die Förderung des umfassenden Investitionsabkommens zwischen China und der EU (CAI) ein Teil davon sein. Oder Litauens lächerliches Abenteurertum in Bezug auf Taiwan muß beendet werden. Über die harte Rhetorik hinausgehend sollte auch angemerkt werden, dass die EU derzeit nicht in einer Position der Stärke ist, um ernsthaft zurückzuschlagen, selbst wenn sie es wollte. Deutschlands Prognose für das diesjährige Wirtschaftswachstum wurde gerade auf nur 1,8 Prozent gesenkt, da die katastrophale deutsche Energiepolitik ihren Tribut zu fordern beginnt, während die Inflation in Spanien bereits den Rekordwert von fast 10 Prozent erreicht hat. Kann es sich diese EU leisten, China zu drohen und zu sanktionieren? Und würde überhaupt jedes EU-Mitglied dahinterstehen? Keine Chance.
Daher wird China jenseits des üblichen politischen Geplänkels der EU klug und pragmatisch gegenübertreten und sorgfältig und subtil darauf achten, dass das Boot nicht ins Schaukeln kommt. Die EU ist angesichts der Einflüsse, denen sie ausgesetzt ist, vielleicht nicht mehr ganz so einvernehmlich oder freundlich zu China, wie sie es in der Vergangenheit war. Aber es wäre ein ganz anderes Spiel, darin einig zu sein oder den Spielraum zu haben, sich tatsächlich als geeinter Block gegen Peking zu stellen, während die EU diese Geschlossenheit nicht einmal gegenüber Moskau hat. Letztendlich müssten die europäischen Länder, wenn sie das wirklich wollten, bereit sein, China mindestens so viel zu bieten, wie sie auch selbst erwarten, und müssten aufhören, an transatlantische Fantasien zu glauben. Man sollte sich in Brüssel endlich der Frage stellen, ob man noch über eine selbstbestimmte strategische Autonomie verfügt und ob man wirklich eine Win-Win-Diplomatie mit dem größten Handelspartnern über Bord werfen kann und will, um den Wünschen aus Washington entgegenzukommen. So oder so, die derzeitigen Entwicklungen sind in eine entscheidende Phase getreten."
Quelle: RT DE