Raketenexperte: Warum die Buk-Theorie „technisch und politisch unsinnig“ ist
Archivmeldung vom 03.08.2019
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 03.08.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittZwei ehemalige Offiziere der DDR-Luftverteidigung haben gemeinsam ein Buch über den Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 im Juli 2014 veröffentlicht. Darin wird die offizielle Version mit Fakten widerlegt. Warum er damit der angeblichen russischen Verantwortung widerspricht, hat einer der beiden Autoren gegenüber Sputnik erklärt.
„Die Unterstellung, dass es eine russische Buk war, ist technisch wie politisch unsinnig.“ So sieht Bernd Biedermann die offizielle Version zum Absturz der malaysischen Boeing 777 mit der Flugnummer MH17 am 17. Juli 2014 über der Ostukraine. Gemeinsam mit Wolfgang Kerner hat er 2018 das Buch „Abschuss MH17 – Auf der Suche nach der Wahrheit“ veröffentlicht. Darin wird eine Chronologie der Ereignisse seit dem Tag der Katastrophe wiedergegeben und dargelegt, wie beide Autoren die bekannten Informationen dazu einschätzen.
„Ich habe von Anfang an meine Zweifel gehabt“, erklärte Biedermann gegenüber Sputnik, warum er sich mit dem Fall intensiv beschäftigt. Er habe als Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR mit Flugzeugabwehr-Raketen (Fla-Raketen) zu tun gehabt. Mit dem dabei erworbenen Wissen und den Erfahrungen habe er nicht nachvollziehen können, was in der offiziellen Version zu MH17 behauptet wird. Nach dieser hat eine aus Russland stammende Buk-Rakete das malaysische Passagierflugzeug vom Himmel geholt und 298 Menschen getötet. Das wird inzwischen von dem internationalen Ermittler-Team JIT (Joint Investigative Team) erklärt, nachdem diese These bereits kurz nach dem Unglück erstmals auftauchte.
Für Biedermann ist es „gegen jede Vernunft“, dass diese Erklärung so schnell nach der Katastrophe öffentlich verbreitet wurde. Er findet die offizielle Theorie außerdem „haarsträubend“, wie er im Gespräch erklärte.
Erinnerung an Absturz bei Ustica 1980
Er nannte einen Präzedenzfall für den Abschuss einer Passagiermaschine in großer Höhe: Der Absturz der DC-9 der italienischen Fluggesellschaft Itavia mit der Flugnummer IH870 am 27. Juni 1980, mit 81 Toten, nahe der Insel Ustica. Lange Zeit sei die Ursache dafür nicht klar gewesen, eine Kommission habe zehn Jahre lang erfolglos danach gesucht.
„Erst 1999, also 19 Jahre nach dem Absturz, befand ein Gericht: ‚Der Absturz der DC-9 erfolgte nach einer militärischen Abfangaktion, die DC-9 wurde abgeschossen.‘ Bis dahin war es den Geheimdiensten und Militärs gelungen, mit wahrheitswidrigen Behauptungen von den tatsächlichen Verursachern abzulenken.“
Das schrieb Biedermann in dem gemeinsam mit Ko-Autor Kerner veröffentlichten Buch „Krieg am Himmel“ von 2014. Wahrscheinlich habe ein französisches Kampfflugzeug die italienische Maschine abgeschossen – und eigentlich das Flugzeug von Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi im Visier gehabt, der am selben Tag über das Mittelmeer flog. In diesem Fall seien die beiden in Frage kommenden Flugzeugtypen DC-9 und TU-134 verwechselt worden.
Hinweise auf Abschuss durch Kampfflugzeug
Die zehn auf unnatürliche Weise ums Leben gekommenen Zeugen zur Ustica-Katastrophe sowie die geheimdienstlich gesteuerten Erklärungen zu dem Fall von 1980 hätten seine Zweifel zu MH17 erhärtet, erklärte der Ex-Offizier. Er hat selbst mehrere Jahre im Bereich der Militäraufklärung der NVA gearbeitet.
Zum anderen hätten die Fotos von Trümmerteilen des malaysischen Flugzeuges ihm als Raketentechniker gezeigt: „So sehen niemals die Trümmer eines Flugzeuges aus, das von einer Boden-Luft-Rakete getroffen wurde.“ Er verwies dabei auf seine Erfahrungen auch aus Übungsschießen mit Luftabwehr-Raketen sowie als Militär-Ausbilder für Raketen-Schießen.
„Alles, was man nach den Aufnahmen und den Zeugenaussagen aus dem Absturzgebiet beurteilen kann, lässt nur den Schluss zu: MH17 wurde von einem Kampfflugzeug abgeschossen“, so Biedermann. Ein Flugzeug, das in zehn Kilometern Höhe – so hoch flog MH17 – von einer Flugabwehrrakete getroffen werde, beginne sofort zu brennen. Das sei schon physikalisch bedingt, betonte er, denn die Splitter eines Raketengefechtskopfes würden die Flugzeughaut mit einer so hohen Geschwindigkeit durchschlagen, dass alles brennbare Material in Flammen aufgehe, selbst Aluminium.
Zusammenhang von Ursache und Wirkung entscheidend
„Dann fallen diese Teile brennend zu Boden. Das genau ist ja bei MH17 nicht passiert. Sondern da sind sogar große, gut erhaltene Teile auf die Erde gefallen. Und wenn es zu Bränden kam, dann erst auf der Erde, als heiße Teile wie die vom Triebwerk mit brennbaren Trümmerteilen in Berührung kamen. Das geschah nicht in Folge des Abschusses.“
Zudem sei die Fläche, auf der die MH17-Trümmer niedergingen, sehr groß gewesen, erinnerte Biedermann. Bei einem punktuellen Treffer durch eine Fla-Rakete wie vom Buk-System wären die Trümmer nur auf einer relativ kleinen Fläche niedergegangen.
Von vorneherein sei neben der Frage nach einem möglichen Abschuss durch ein Kampfflugzeug auch die Frage danach ausgeklammert worden, wer einen entsprechenden Befehl dazu gegeben haben könnte. Für ihn sei immer der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung entscheidend, erklärte der Ex-DDR-Militär. Deshalb habe er sich gefragt, warum das malaysische Passagierflugzeug überhaupt angegriffen wurde. Beide Autoren seien sich sicher, dass die Maschine mit der Flugnummer MH17 gar nicht das eigentliche Ziel war.
Kampfpilot mit ganz anderem Ziel?
Im Buch zitieren sie Meldungen aus dem Juli 2014, dass das Flugzeug des russischen Präsidenten Wladimir Putin, aus Brasilien kommend, am 17. Juli 2014 nahe des Absturzgebietes von MH17 geflogen sei.
„Welches Flugzeug wollte man abschießen, wenn nicht die Maschine des russischen Präsidenten?“, fragen Biedermann und Kerner. Ersterer erklärte dazu gegenüber Sputnik, dass das zeitliche Zusammentreffen des MH17-Abschusses und des Putin-Rückfluges kein Zufall sein könne. Er ist sich sicher: „Das Ziel dieses Angriffs war eigentlich Putins Il-96. Da lasse ich mir auch von niemand etwas Anderes erzählen.“
Biedermann verwies auf den im Buch abgebildeten Flugplan des ukrainischen Kampfpiloten Wladislaw Woloschin vom 16. Juli 2014 für den Folgetag. Den hatte das russische Magazin „Sowerschenno sekretno“ (dt.: „Streng geheim“) 2017 veröffentlicht. Woloschins Maschine vom Typ Su-25, eigentlich ein Erdkampfflugzeug, habe am 17. Juli 2014 Luft-Luft-Raketen unter den Tragflächen gehabt, so Biedermann.
Der Raketen-Experte hatte bereits im Dezember 2014 bei Sputnik darüber selbst geschrieben. Dabei gab er folgendes Geschehen nach der Landung Woloschins wieder: „Als der Pilot, Hauptmann Wladislaw Woloschin, ausgestiegen war, zeigte er sich fassungslos. Er sagte: ‚Es war ein anderes Flugzeug.‘ Auf die Frage, was mit dem Flugzeug geschehen sei, antwortete er: ‚Das Flugzeug war zur falschen Zeit am falschen Ort.‘ Alle Versuche zu einem weiteren Gespräch wurden sofort gestoppt.“ Sputnik hatte wie andere russische Medien auch den Namen des Zeugen für die Aussagen Woloschins genannt: Jewgeni Wladimirowitsch Agapow.
Angriff auf Sicht als Alptraum für Jet-Piloten
Im Buch sind die Fotos der beiden Flugzeuge abgebildet, die sich tatsächlich auf den ersten Blick ähnlichsehen. Der genauere Blick zeigt allerdings Unterschiede in der Farbanordnung der „Bauchbinde“ sowie in der Tatsache, dass die russische Präsidentenmaschine vom Typ Il-96 vier Triebwerke unter den Tragflächen hat, die Boeing 777 der Malaysian Airlines nur zwei.
Biedermann sagte auf die Frage, ob ein Pilot solche Unterschiede nicht erkennen könne, dass das nicht möglich sei. Das wisse er aus Gesprächen mit Kampfpiloten der NVA. Diese hätten ihm erklärt, dass das Cockpit eines Kampfjets nur begrenzte Sicht auf anderes in der Luft ermögliche. Hinzu komme die hohe Geschwindigkeit. Deshalb würden Kampfflugzeuge normalerweise systematisch vom Boden aus zu ihren Zielen geführt. Piloten moderner Kampfjets würden sich nur ungern auf Sicht einem Ziel nähern.
„Aber Woloschins Flugplan war auf ‚freie Jagd‘ ausgerichtet. Er sollte diesen Kurs fliegen, in der Hoffnung, dass er das Flugzeug entdeckt, das er abschießen sollte, und dann bekämpft.“ Als er das Flugzeug entdeckt habe, habe er nur noch im Bruchteil von Sekunden die groben Details überprüfen können, aber nicht mehr die genauen Unterschiede. So sei es zur Verwechslung zwischen der russischen und der malaysischen Maschine gekommen, meint Biedermann.
Gezielte Provokation gegen Russland?
Der niederländische Politikwissenschaftler Kees van der Pijl stellt in seinem Buch „Der Abschuss – Flug MH17, die Ukraine und der neue Kalte Krieg“ den MH17-Abschuss ebenfalls in den Zusammenhang mit Putins Aufenthalt in Brasilien in den Tagen zuvor. Er verweist dabei auf die Gespräche der BRICS-Staaten in der brasilianischen Hauptstadt ebenso wie auf das Gespräch Putins mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am 13. Juli 2014 in Rio de Janeiro. Dabei sei es auch um Lösungen für die Ukraine-Krise gegangen. Doch beides habe den USA, die bereits am 16. Juli 2014 verschärfte Sanktionen gegen Russland angekündigt hätten, nicht gepasst, so van der Pijl in seinem Buch.
Biedermann hält es für unwahrscheinlich, dass es sich bei dem Abschuss von MH17 um eine gezielte Provokation gegen Russland gehandelt haben könnte. Das Muster dafür wäre die von US-Militärs geplante, aber nicht umgesetzte „Operation Northwoods“ gegen Kuba in den 1960er Jahren. Eine solche durchdachte, großangelegte Aktion schließe er bei der Ukraine im Fall MH17 aus.
„Die waren zu dem Zeitpunkt schon in einem desolaten Zustand. Ihr Luftraumüberwachungssystem hat nicht richtig gearbeitet. Die Piloten wurden nicht anständig bezahlt. Jeder Oligarch, der es sich leisten konnte, konnte sie in seinem Sinne bezahlen und einsetzen.“
Zwei Tage nach dem Abschuss sei Woloschin vom damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko mit dem „Orden für Tapferkeit“ ausgezeichnet worden, so Biedermann. „Da müssen auch beim Letzten die Glocken läuten, dass da etwas faul ist.“Eigenartiger „Selbstmord“ eines Kampfpiloten
Eigenartiger „Selbstmord“ eines Kampfpiloten
Er sei mit seinem Ko-Autor überzeugt, dass es immer noch lebende Zeugen der Aktion gibt, die aber bisher ruhiggestellt werden konnten. An einem Einsatz eines Kampfflugzeuges seien rund 40 Menschen beteiligt, von der Flugsicherung über die Bodentechniker bis zum Piloten, erklärte er dazu. „Ich hoffe immer noch, dass irgendwann einer den Mut hat, zu erklären: Ich war dabei und so war es!“
Der Pilot hat sich Meldungen zufolge im März 2018 erschossen, angeblich mit einer Dienstwaffe, bei der die Seriennummer ausgeschliffen war. Es sei „absurd“ und gebe es in keiner Armee der Welt, dass ein Offizier eine Pistole ohne Seriennummer bei sich hat, so Biedermann. „Das ist das Strickmuster der Geheimdienste, um keine Rückschlüsse auf die wirklichen Täter zuzulassen.“ Woloschins mysteriöser Tod bestätige die These vom Kampfflugzeug, das eigentlich Putins Maschine abschießen sollte, heißt es im Buch.
Der Ex-Militäraufklärer sieht in den Vorgängen um das Angebot des Privatermittlers Josef Resch an das JIT, ihm vorliegende Informationen zu MH17 öffentlich zu übergeben, eine Bestätigung seiner Sicht. Die niederländische Staatsanwaltschaft hatte kürzlich das Angebot von Resch abgewiesen. Das zeige, dass die offiziellen Ermittler „absolut nicht bereit sind, über eine andere Variante nachzudenken außer der, die sie selbst in die Welt gesetzt haben“.
In den vom Privatermittler genannten Dokumenten wird der Flug von Putin am 17. Juli 2014 ebenso erwähnt wie Aufzeichnungen von Kampfpiloten. Die von Resch beschriebenen Informationen seien „so überzeugend, dass, würden sie sich darauf einlassen, sie ganz schlechte Karten hätten, das zu widerlegen“, sagte Biedermann dazu. Er rechnet nicht damit, dass das JIT darauf eingeht. „Es muss weiter antirussisch bleiben“, beschrieb er die Stoßrichtung der offiziellen Version.
„Die Wahrheit hat es schwer in unserer Zeit“, so der Experte auf die Frage nach den Chancen, dass die Wahrheit zu MH17 ans Licht kommt. „Aber man darf auch nicht aufgeben.“ Das zeige der Abschuss bei Ustica 1980, wo das tatsächliche Geschehen nicht auf Dauer verheimlicht werden konnte."
Quelle: Sputnik (Deutschland)