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EU will neues Verhandlungskapitel bei Beitrittsgesprächen mit Türkei eröffnen

Archivmeldung vom 17.10.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.10.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: Andreas Gerhold, on Flickr CC BY-SA 2.0
Bild: Andreas Gerhold, on Flickr CC BY-SA 2.0

Die Europäische Union will die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschleunigen und erstmals seit zwei Jahren in den kommenden Wochen ein weiteres Verhandlungskapitel eröffnen. Das berichtet die "Welt" unter Berufung auf übereinstimmende Informationen von EU-Diplomaten.

"Im Kreis der EU-Staaten herrscht jetzt Einigkeit, dass man in den Beitrittsgesprächen mit der Türkei möglichst schnell über das Kapitel 17, also über Wirtschafts- und Währungspolitik, verhandeln will. Das Kapitel 17 soll zwar nicht mehr vor den Wahlen in der Türkei Anfang November eröffnet werden, aber spätestens bis Jahresende", hieß es in hohen, informierten Diplomatenkreisen.

Lange Zeit hatte Frankreich es abgelehnt, mit den Beratungen über eine Angleichung der türkischen Wirtschafts- und Währungspolitik an europäische Rechtsakte zu beginnen, berichtet die "Welt" weiter. Die EU-Kommission hatte zuletzt im Frühjahr 2015 (und zuvor schon im Jahr 2007) den EU-Regierungen empfohlen, im Rahmen der Beitrittsgespräche Kapitel 17 zu öffnen. Die EU-Staaten hatten darauf aber zunächst nicht reagiert.

Insbesondere die europäischen Unternehmen seien an Reformen in der türkischen Wirtschaftsgesetzgebung interessiert, weil sie Rechtssicherheit bei Investitionen benötigen, hieß es weiter in Diplomatenkreisen. "Je schneller sich die türkische Wirtschaft modernisiert, desto besser für die EU", sagte ein EU-Diplomat.

Das letzte Verhandlungskapitel in den Beitrittsgesprächen mit der Türkei wurde im November 2013 eröffnet. Es handelte sich um Kapitel 22: Regionalpolitik und die Koordination der strukturpolitischen Instrumente. Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei laufen seit 2005.

Türkei-Bericht der EU kritisiert Ankara wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit

Der Türkei-Bericht der EU kritisiert Ankara wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit: Wegen der anstehenden Wahlen in der Türkei und der Bemühungen um eine Hilfe Ankaras in der Flüchtlingskrise hat die EU-Kommission den neuen Fortschrittsbericht zur Türkei noch nicht veröffentlicht. Die EU-Kommission befürchtet Verwerfungen im Verhältnis zur Türkei.

Der "Süddeutschen Zeitung" liegt aber ein Schreiben vor, in dem alle wichtigen Ergebnisse des vorläufigen Berichts detailliert aufgeführt werden. Es stammt vom EU-Verbindungsbüro des Bundestags und datiert vom 12. Oktober. Sein Inhalt dürfte die türkische Regierung tatsächlich nicht erfreuen: Der Türkei-Bericht der EU-Kommission werde "kritisch ausfallen, vor allem hinsichtlich der Einhaltung der politischen Kriterien", heißt es in dem Schreiben des EU-Verbindungsbüros. Der Bericht sei zwar "noch in interner Abstimmung". Man habe "auf Arbeitsebene" aber bereits den Inhalt in Erfahrung gebracht. Laut Verbindungsbüro stellt die EU-Kommission in ihrem Bericht "eine deutliche Verlangsamung des Reformprozesses in der Türkei" fest.

Vor allem "im Bereich Rechtsstaatlichkeit" übe die Kommission "scharfe Kritik hinsichtlich bereits verabschiedeter Schlüsselgesetze, die gegen europäische Standards verstießen". Dabei wird zum Beispiel auf ein neues Sicherheitsgesetz verwiesen, das die Befugnisse der Polizei bei Festnahmen, Durchsuchungen und Schusswaffengebrauch erweitere und derzeit im Kampf gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zur Anwendung komme. Außerdem wird erwähnt, dass die Türkei im Juli 2015 "eine weitreichende militärische Kampagne gegen PKK-Aktivisten gestartet und somit den Konfliktbereinigungsprozess der Kurdenfrage beendet" habe.

"Auch im türkischen Justizwesen verschlechtere sich nach Einschätzung der Kommission die Lage", heißt es in dem Schreiben des EU-Verbindungsbüros. Durch den unzulässigen Eingriff der Exekutive in die Justiz sei "deren Unabhängigkeit weiter beeinträchtigt". Richter und Staatsanwälte seien wegen ihrer Entscheidungen festgenommen und Staatsanwälten Ermittlungsverfahren entzogen worden.

"Anlass zur Sorge" gäben aber auch "die verschärften Restriktionen bei der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit". Außerdem äußere die EU-Kommission "Bedenken bezüglich des mangelnden politischen Willens beim Kampf gegen die Korruption". Sogar im Kampf gegen die organisierte Kriminalität habe die Türkei "nur mäßigen Reformeifer" gezeigt. Beim Schutz der Menschenrechte seien ebenfalls "gravierende Mängel festzustellen".

Insbesondere im Bereich der Meinungsfreiheit hätten sich die Verhältnisse "wesentlich verschlechtert". In diesem Zusammenhang wird auf "Strafverfahren gegen Journalisten, Schriftsteller oder Nutzer sozialer Medien" verwiesen, die in den vergangenen beiden Jahren eingeleitet wurden. Außerdem werden Änderungen des Internet-Gesetzes beklagt, die "nicht im Einklang mit den europäischen Standards stehen".

Bei der "Religionsfreiheit habe sich die Lage ebenfalls nicht verbessert". Nach wie vor fehle "ein Rechtsrahmen, der gewährleiste, dass alle nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften und die Gemeinschaft der Aleviten ohne Beschränkungen ihre Religion ausüben können".

Ausdrücklich gelobt wird die Türkei in dem Bericht der EU-Kommission für ihre Bemühungen "zur Bewältigung der Migrationskrise". Derzeit hielten sich circa 2,2 Millionen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak in der Türkei auf, eine Million von ihnen seien Kinder. Die Flüchtlinge würden "mit Lebensmitteln generell gut versorgt". Außerdem hätten sie kostenlosen Zugang zu medizinischer Versorgung. Dieses Engagement für Flüchtlinge "entlaste jedoch die türkische Regierung nicht von ihren Verpflichtungen im Rahmen des Beitrittsprozesses", heißt es in dem Schreiben des Verbindungsbüros. Deshalb werde die EU-Kommission ihrem Türkei-Bericht "strikte Reformempfehlungen" beifügen.

Merkel offen für Türkei als sicheres Herkunftsland

Ungeachtet der inneren Entwicklung in der Türkei deutet Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Unterstützung für den Vorschlag der EU-Kommission an, dem Land den Status eines sicheren Herkunftslandes zu geben. Vor ihrer Reise in die Türkei an diesem Sonntag sagte Merkel in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die Türkei sei ein EU-Beitrittskandidat und als solcher der einzige, der diesen Status nicht habe. Natürlich "bereiten uns die Achtung der Menschenrechte oder die Situation der Kurden weiter Sorgen", sagte Merkel, fügte aber hinzu: "Dennoch hielte ich es für falsch, der Türkei diesen Status grundsätzlich zu verweigern."

Die Bundeskanzlerin signalisierte zudem die Bereitschaft zu Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger. "Wir haben die Gespräche über die Visumspflicht immer mit dem Rückführungsabkommen verbunden." Das sei inzwischen in Kraft getreten; bei der Visumsfrage gibt es "einzelne Schritte, die wir schneller gehen können, während andere länger brauchen werden."

Bei ihrem Besuch in Ankara strebt die Bundeskanzlerin einen Interessenausgleich mit der Türkei an, die als Schlüsselland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise gilt und rund zwei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat. "Unser Interesse ist es, die Bewegung der Flüchtlinge zu ordnen und zu steuern, das Interesse der Türkei ist es, Entlastung zu bekommen."

Bei Ihrem Gipfeltreffen in Brüssel hatten sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder grundsätzlich auf einen "Aktionsplan" verständigt, mit dem die EU die Türkei auch finanziell entlasten soll. Bei den Gesprächen mit der türkischen Regierung will die Bundeskanzlerin die Türkei auch zu einer besseren Zusammenarbeit an der griechisch-türkischen Grenze bewegen. Merkel sagte der Zeitung, sie arbeite an europäischen Lösungen, "vor allem an einem wirksamen Schutz der der EU-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei". Im "Aktionsplan" ist vorgesehen, dass die Türkei mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex kooperiert und die Weiterreise von Flüchtlingen in EU-Staaten unterbindet.

Quelle: dts Nachrichtenagentur

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