Camerons EU-Pläne alarmieren Ökonomen
Archivmeldung vom 23.01.2013
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtFührende Ökonomen in Deutschland fürchten massive Nachteile für Europa, sollte Großbritannien die Europäische Union (EU) verlassen. "Ohne die Briten in der EU wäre Deutschland wirtschaftspolitisch noch isolierter, Europa würde weniger marktwirtschaftlich, was die Wirtschaftskraft Europas langfristig schwächen würde", sagte der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, "Handelsblatt-Online".
Der Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier, erwartet unabhängig davon, ob Großbritannien nun die EU verlässt oder nicht, "recht zeitnah" Konsequenzen: Die Unsicherheiten über den Ausgang des Referendums und über die künftigen rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen Großbritanniens zur EU würden steigen, sagte Bielmeier "Handelsblatt-Online". "Internationale Unternehmen, die Großbritannien bislang als Brückenkopf für den Zugang zum Binnenmarkt genutzt haben, werden dies bei ihren Standortentscheidungen sicherlich berücksichtigen und sich mit Investitionen in Großbritannien in Zukunft deutlich zurückhalten." In der gegenwärtigen, ohnehin schon äußerst labilen wirtschaftlichen Situation Großbritanniens werde dies "die konjunkturelle Erholung belasten".
Auch Deutschland würde aus Sicht Bielmeiers Nachteile durch einen Briten-Austritt erleiden. Auf politischer Ebene dürfte sich zwar die europäische Integration ohne Großbritannien als "Bremsklotz" schneller vollziehen. "Jedoch dürfte die Stellung Deutschlands innerhalb der EU geschwächt werden, da die strukturelle Mehrheit für einer Lastenverteilung ohne ausreichende Kontrollmöglichkeiten steigen würde", sagte der Ökonom.
Der Verbleib Großbritanniens in der EU sei "für beide Seiten vorteilhaft", sagte auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, im Gespräch mit "Handelsblatt-Online". Die EU bleibe dadurch marktfreundlicher und wettbewerbsfähiger. Zudem hätten die Briten große Vorteile durch den Binnenmarkt, den die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher mit betrieben habe. "Bei einem Austritt würden also beide Seiten verlieren", warnte Hüther.
Die Rolle der Londoner City würde geschmälert, wenn auch nicht grundsätzlich, da sie außerhalb der Euro-Zone liege. Der IW-Chef hofft daher, dass die Vorbehalte Londons noch ausgeräumt werden können. "Positiv wäre es, wenn die Verhandlungen zu einem investitionsorientierten, weniger agrarlastigen EU-Haushalt führen", sagte Hüther.
Europaausschuss-Vorsitzender Krichbaum kritisiert Camerons Rede scharf
Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), hat die Europarede des britischen Premierministers David Cameron scharf kritisiert. "Ob David Cameron die Geister wieder los wird, die er gerufen hat, das bezweifele ich", sagte Krichbaum der "Saarbrücker Zeitung" (Donnerstagausgabe).
Der CDU-Politiker verwies auf die 2014 bevorstehende Volksabstimmung über die Unabhängigkeit von Schottland. "Womöglich werden mehr Schotten dafür stimmen, weil ihre eigene Zukunft in Europa in einem Verbund mit Großbritannien nun unsicher geworden ist. Dann könnte Camerons angeblicher Befreiungsschlag nach hinten losgehen."
Mit Blick auf die Euro-Rettung sprach Krichbaum von "nicht hilfreichen" Signalen. Die britische Diskussion könne den Kontinent auf Jahre lähmen. "Wenn Herr Cameron schon ein Referendum will, dann sollte er es wenigstens sofort stattfinden lassen. Die Argumente sind bekannt."
Krichbaum nannte Camerons EU-Kritik zudem "populistisch" und sprach sich gegen ein Entgegenkommen auf die Forderungen des britischen Premierministers aus. "London muss verstehen, dass Europa nicht zum Rosinenpicken da ist." Jeder Mitgliedsstaat habe seine eigene Wunschliste, auch Deutschland. "Wenn wir das anfangen würden, würden wir die Büchse der Pandora öffnen. Andere Regionen in der Welt sind längst im vierten Gang und Herr Cameron versucht es mit dem Rückwärtsgang", monierte Krichbaum.
Grüne kritisieren Europa-Rede von Cameron
Manuel Sarrazin, Sprecher für Europapolitik der Grünen, hat die Europa-Rede des britischen Premierministers David Cameron kritisiert. "Camerons Strategie, mit europakritischen Tönen die Europa-Skeptiker nicht nur aus den eigenen Reihen befrieden zu wollen, ist unsouverän und gefährlich", erklärte Sarrazin am Mittwoch in Berlin. Der britische Premierminister mache die EU-Mitgliedschaft zum Spielball innenpolitischer Taktiererei.
"Camerons Konzept eines Europa à la carte missachtet, dass Großbritannien zu den großen Gewinnern des europäischen Binnenmarktes gehört, vor allem nach der EU-Osterweiterung", betonte Sarrazin. Die EU sei allerdings mehr als nur ein gemeinsamer Binnenmarkt. "Europa sollte aus der Rede die Konsequenz ziehen, die Vertiefung der EU anzugehen und eine entsprechende Vertragsreform anzustreben." Die EU brauche wirksamere Instrumente, um die Krise und ihre Ursachen bekämpfen zu können, so Sarrazin weiter. "Wir brauchen mehr und nicht weniger Europa."
Trittin warnt Briten vor Folgen von EU-Austritt
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hat die Briten vor den Folgen eines EU-Austritts gewarnt. "Was in Europa nicht geht, ist von den Vorteilen des gemeinsamen Binnenmarktes zu profitieren, sich an dessen Gestaltung aber nicht zu beteiligen", sagte Trittin der "Rheinischen Post" (Mittwochausgabe).
"Die Bürger in Großbritannien stehen vor der Entscheidung, ob sie den nationalen Weg oder den in ein gemeinsames Europa gehen wollen", betonte Trittin. Die Europäische Union werde aus der jetzigen Krise nur mit mehr Integration herauskommen. "Was Cameron jetzt vorschlägt, bedeutet einen Rückzug auf die nationale Ebene. Das wird innerhalb Europas nicht auf Zustimmung, schon gar nicht auf Einstimmigkeit stoßen."
FDP-Europaminister verteidigt Cameron
Der hessische Europaminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hat vor falschen Reaktionen auf die Europa-Rede des britischen Premierministers David Cameron gewarnt, der in dieser unter anderem ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU angekündigt hatte. "Ich halte nichts von einer Cameron-Schelte", sagte Hahn "Handelsblatt-Online".
Unter Freunden und Partnern müssten auch schwierige Themen angesprochen werden dürfen. "Ich bin mir sicher, gerade mit Blick auf die junge Generation, dass am Ende der Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union stehen wird." Für ihn persönlich sei eine Europäische Union ohne Großbritannien "undenkbar", betonte der FDP-Politiker. "Deutschland hat sich von Beginn an für eine Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Gemeinschaft eingesetzt und wird sich auch in Zukunft für den Verbleib in der Gemeinschaft einsetzen."
Hahn zeigte zudem Verständnis für Camerons Einschätzung, dass Großbritannien aus der Europäischen Union driften werde, sollte sich die Staatengemeinschaft nicht reformieren. "Cameron trifft diese Aussage nicht im luftleeren Raum", sagte der hessische Vize-Ministerpräsident. "Er bedient ein weit verbreitetes Gefühl in Großbritannien, aber auch in vielen anderen Ländern der Europäischen Union." Ansonsten wären die zahlreichen gescheiterten Volksabstimmungen in Frankreich, den Niederlanden, Irland oder auch in Dänemark nicht zu erklären, so Hahn.
"Die Reaktion der restlichen Union sollte deshalb konstruktive Gelassenheit sein", schlug der FDP-Politiker vor. Großbritannien sei das "Gewissen" der Europäischen Union. "Das Gewissen, das wir eine auf Subsidiarität ausgerichtete dezentrale Föderation souveräner Staaten sind, und eben kein zentraler Bundesstaat." Es sei aber auch das Gewissen marktwirtschaftlicher und handelspolitischer Grundprinzipien und deshalb gerade aus Sicht der Exportnation Deutschland besonders wichtig. "Die Forderung, dass Kompetenzen nicht nur einseitig von den Mitgliedstaaten auf die Union, sondern bei Bedarf auch wieder zurück an die Mitgliedstaaten gehen können, ist grundsätzlich auch nicht falsch", unterstrich Hahn.
EU-Parlamentspräsident Schulz kritisiert Europa-Rede von Cameron
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), hat die Europa-Rede des britischen Premierministers David Cameron kritisiert. Cameron spreche vielleicht vielen Menschen "aus der Seele, die nicht zufrieden sind mit dem Zustand der EU, so wie sie ist, weil sie zu langsam ist, weil sie nicht effektiv genug ist, weil sie nicht demokratisch genug ist", erklärte Schulz am Mittwoch im Deutschlandfunk.
Aber all die Reformen, die notwendig seien, um die EU "effektiver zu machen, um sie demokratischer zu machen, um sie transparenter zu machen, um sie schlanker zu machen, sind gescheitert und unter anderem an einem Land, nämlich Großbritannien", so der Präsident des Europäischen Parlaments. Diejenigen, die "maßgeblich Schuld" an den Verzögerungen in Europa hätten, zeigten nun mit dem Finger auf Europa, so Schulz. "Das finde ich absolut nicht akzeptabel."
Cameron hatte in seiner Europa-Rede Reformen der EU angemahnt. Ohne diese bestehe das Risiko, "dass Europa scheitern und das britische Volk zum Austritt drängen wird". Im Falle seiner Wiederwahl wolle er die Briten über den Verbleib des Landes in der EU abstimmen lassen. Das Referendum solle Ende 2017 stattfinden. "Es wird eine einfache Entscheidung sein: rein oder raus", kündigte Cameron an.
Quelle: dts Nachrichtenagentur