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Haiti: Trotz der massiven Hilfsleistungen bleiben ein Jahr nach dem Erdbeben maßgebliche Bedürfnisse unerfüllt

Archivmeldung vom 11.01.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.01.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Fabian Pittich
Epizentrum des Erdbebens
Epizentrum des Erdbebens

Ein Jahr nachdem ein verheerendes Erdbeben geschätzte 222.000 Menschen getötet und 1,5 Millionen obdachlos zurückgelassen hat, ertragen die Haitianer inmitten einer landesweiten Cholera-Epidemie weiterhin schreckliche Lebensbedingungen. Trotz des weltweit größten humanitären Einsatzes gibt es laut einem Bericht der medizinischen Hilfsorganisation ÄRZTE OHNE GRENZEN unter anderem Lücken bei der Versorgung mit Unterkünften und Wasser sowie der medizinischen Hilfe.

Während sich der Zugang zur Basisgesundheitsversorgung seit dem Erdbeben insgesamt verbessert hat, zeigt die rasante Ausbreitung der Cholera im Land die Grenzen des internationalen Hilfssystems, wirksam auf neue Notfälle zu reagieren. Internationale Organisationen müssen ihren Verpflichtungen gegenüber der haitianischen Bevölkerung und ihren Spendern gerecht werden, indem sie ihre Versprechen in konkrete Handlungen umsetzen, sagte ÄRZTE OHNE GRENZEN. Akute Bedürfnisse müssen erfüllt werden, während langfristige Wiederaufbaupläne fortgesetzt werden. "Die schwere Verwüstung durch das Erdbeben hat eine besondere Großzügigkeit bei privaten Spendern überall auf der Welt ausgelöst und das Versprechen der internationalen Gemeinschaft, 'Haiti besser wieder aufzubauen'", sagte Stefano Zannini, Landeskoordinator von ÄRZTE OHNE GRENZEN in Haiti. "Aber heute ist traurige Realität, dass viele Menschen extrem verletzbar bleiben. Besonders, weil sie mit der Cholera-Epidemie einer zweiten und weitgehend vermeidbaren Katastrophe begegnen, die bisher mindestens 3.600 weitere Leben gekostet hat."

ÄRZTE OHNE GRENZEN veröffentlicht heute einen Rückblick über die Nothilfe-Aktivitäten der Organisation seit der Naturkatastrophe. Der Bericht dokumentiert zudem Lücken in der sekundären Gesundheitsversorgung. Der Hilfseinsatz von Ärzte ohne Grenzen seit dem Erdbeben und der Cholera-Epidemie ist der größte Nothilfeeinsatz in der Geschichte der Organisation. ÄRZTE OHNE GRENZEN geht davon aus, dass bis Ende 2010 die gesamten 104 Millionen Euro ausgegeben wurden, die Privatpersonen für die Nothilfe-Aktivitäten spendeten. Vom 12. Januar bis zum 31. Oktober 2010 behandelte ÄRZTE OHNE GRENZEN mehr als 358.000 Menschen, nahm mehr als 16.500 chirurgische Eingriffe vor und begleitete mehr als 15.000 Geburten. Seit dem Cholera-Ausbruch wurden von der Organisation mehr als 91.000 Menschen behandelt. Bis zum 1. Januar 2011 wurden landesweit insgesamt 171.300 Cholera-Fälle gemeldet.

"Wir sind dankbar für die anhaltende großzügige Unterstützung unserer privaten Spender und den Einsatz unserer Mitarbeiter, von denen viele trotz des Todes von Familienmitgliedern und Freunden Hilfe leisteten. ÄRZTE OHNE GRENZEN wird die Erfahrung in Haiti nutzen, um unsere Programme im Land zu verbessern und um weiterhin auf künftige Katastrophen vorbereitet zu sein", sagte Dr. Unni Karunakara, internationaler Präsident von ÄRZTE OHNE GRENZEN. Für das Jahr 2011 rechnet ÄRZTE OHNE GRENZEN für den Einsatz in Haiti mit einem operationalen Budget von 46 Millionen Euro. Die Organisation plant, medizinische Hilfe in acht Krankenhäusern in Port-au-Prince sowie in einem Krankenhaus in Léogâne zu leisten. Zu den Schwerpunkten der Arbeit in Haiti zählen Geburtshilfe, Notfallhilfe und Trauma-Medizin.

Welthungerhilfe-Präsidentin Dieckmann nach Haiti-Reise: Haitianer aktiv einbeziehen

Ein Jahr des Schreckens liegt hinter Haiti - erst das verheerende Erdbeben, dann der Hurrikan Tomas und Ende Oktober der Ausbruch der Cholera, der nun die Wiederaufbauarbeiten verzögert. "In der Nothilfe zu Beginn ging es darum, so schnell wie möglich zu helfen. Doch was Haiti jetzt braucht ist ein Neuanfang, der auch von den Haitianern getragen wird. Nur wenn der haitianische Staat und die Menschen in die Wiederaufbauarbeit aktiv mit einbezogen werden, können sich die Lebensumstände in Haiti dauerhaft verbessern", sagt Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, die das Land kurz vor dem Jahrestag bereist hat. Deshalb arbeitet die Welthungerhilfe eng mit lokalen Partnerorganisationen und den Behörden vor Ort zusammen.

Der Ausbruch der Cholera hat die Arbeit der Welthungerhilfe noch einmal erschwert. "Wir arbeiten an allen Fronten. Zur Bekämpfung der Cholera kooperieren wir mit rund 1.500 kubanischen Ärzten, die landesweit 50 medizinische Zentren aufgebaut haben und eine fantastische Arbeit leisten."

Im Bereich des Wiederaufbaus konzentriert sich die Arbeit der Welthungerhilfe auf die ländlichen Gebiete im Süden von Port-au-Prince, wo kaum Hilfsorganisationen arbeiten. "Wir müssen den Menschen dort eine Perspektive geben, wo sie leben - in ihren Heimatdörfern, wo ihre Familien sind, wo sie Land bewirtschaften können und wo ihre Wurzeln sind. Nur so können wir verhindern, dass sie in die ohnehin überfüllten Städte abwandern, wo sich ihre Situation zweifellos noch einmal verschlechtern würde", sagt Bärbel Dieckmann.

Wie zum Beispiel im vom Erdbeben betroffenen Dorf Les Palmes in den Bergen. Hier baut die Welthungerhilfe gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen erdbeben- und hurrikansichere Häuser für durch das Erdbeben obdachlos gewordene Familien. "Bald ist unser Haus fertig und wir müssen nicht mehr im Zelt wohnen", sagt Myriam Lonima, die mit ihrem Mann und den drei Kindern eines der Häuser beziehen wird. "Mein Mann hilft beim Bau mit. Und ich bin sehr stolz, denn die Welthungerhilfe hat uns bei der Planung miteinbezogen und gefragt, was wichtig ist."

"Wir unterstützen die Haitianer dabei, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Denn was das Land jetzt braucht sind keine vorgefertigten Lösungen. Die Menschen wollen ihr Leben selbst gestalten", so Bärbel Dieckmann

Plan: Haiti braucht Sicherheit, Schulen und Arbeit Kinderhilfswerk rechnet mit mehreren Jahren Wiederaufbau

Haiti steht ein Jahr nach dem Erdbeben vor gewaltigen Herausforderungen. Für eine bessere Zukunft des Landes, brauchen die jungen Menschen Sicherheit, Schulen und Arbeit, fordert das Kinderhilfswerk Plan. Voraussetzung sind eine zügige Regierungsbildung und stabile politische Verhältnisse. Neben der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen am Wiederaufbau setzt sich Plan vor allem für die Geburtenregistrierung ein.

Nigel Chapman, Geschäftsführer von Plan International: "Trotz der immer noch großen Not in Haiti, sind die Erfolge von Plan deutlich sichtbar. Um den Wiederaufbau voranzubringen, benötigen wir jedoch handlungsfähige Ansprechpartner. Der Mangel an Bauland und fehlende Bauvorschriften für erdbeben- und hurrikansichere Gebäude behindern unsere Bemühungen. Um den Kinderhandel sowie andere Verletzungen der Kinderrechte zu stoppen, bedarf es dringend eines funktionierenden Systems zur Geburtenregistrierung."

Maike Röttger, Geschäftsführerin von Plan Deutschland, ergänzt: "Kinder und Jugendliche müssen am Wiederaubau Haitis beteiligt werden. Sie wissen sehr genau, was für ihre Zukunft wichtig ist. So ergab eine landesweite Plan-Umfrage unter 14- bis 19-Jährigen, dass für sie der Schulbesuch oberste Priorität hat. Bildung ist unser Schwerpunkt. Plan unterstützt das Erziehungsministerium maßgeblich beim Wiederaufbau des Schulwesens und hat bereits 152 Klassenräume errichtet sowie rund 1.000 Schulungen realisiert. Sich von einer derart verheerenden Katastrophe zu erholen, ist nicht einfach und erfordert Zeit und Ressourcen. Das war in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich."

Plan leistet Erdbeben-Hilfe in der Hauptstadtregion rund um Croix-des-Bouquets und in Jacmel. In Deutschland nahm das Kinderhilfswerk dafür Spenden in Höhe von 5,3 Millionen Euro ein. Dank der Hilfe können 30.000 Mädchen und Jungen wieder zur Schule gehen, über 27.000 Haitianer wurden medizinisch versorgt. In Notunterkünften richtete Plan 30 kinderfreundliche Bereiche ein, in denen rund 11.000 Mädchen und Jungen betreut und vor Kinderhandel und Missbrauch geschützt wurden. Seit Mitte Oktober engagiert sich Plan in der Cholerabekämpfung und hat bisher weit mehr als 100.000 Haitianer aufgeklärt, mit sauberem Wasser, Hygieneartikeln und Medikamenten versorgt. 

Lähmung der Hilfsmaßnahmen

Die haitianische Bevölkerung und die tätigen Hilfsorganisationen stehen ein Jahr nach dem Beben vor großen Herausforderungen: Noch über eine Million Menschen ohne Obdach, Ausbreitung der Cholera und eine Wahl, deren Ergebnis Unsicherheit verbreitet und für Unruhen sorgt.

Aber auch: Häuser, die bereits errichtet wurden, tausende Menschen, die durch Verbesserung der Hygienesituation vor der tödlichen Krankheit bewahrt werden, hunderte Menschen, die trotz schwerer Verletzungen wieder selbst mobil sind, Haitianer, die in Orthopädietechnik und Physiotherapie ausgebildet werden. Dafür setzten sich die Bündnispartner von Aktion Deutschland Hilft ein. "Wir haben Verständnis dafür, dass zur Durchführung korrekter und allgemein anerkannter Wahlen ein Konsens der Entscheidungsträger notwendig ist. Alles, was dazu beiträgt, Gewalt und Unruhe auf den Straßen zu vermeiden, dient dem Aufbau des Landes. Dennoch: Wir appellieren an die politische Klasse, sich zügig auf einen für alle akzeptablen Modus für die Nachwahlen zu verständigen. Jeder Aufschub geht zu Lasten der notleidenden Bevölkerung", beklagt Manuela Roßbach, Geschäftsführerin von Aktion Deutschland Hilft.

"Wir brauchen dringend verlässliche Partner in einer anerkannten und stabilen Regierung, damit der Wiederaufbau mit den Gemeinden vorangetrieben werden kann. Die vielfach gebeutelten Haitianer resignieren zunehmend, weil alles zu langsam geht. Wir Hilfsorganisationen wollen helfen, die Menschen wollen ihre Situation verbessern. Eine dringend erforderliche Landreform würde Rechtssicherheit bei der Errichtung der notwendigen Unterkünfte schaffen", so Roßbach weiter.

Quelle: Ärzte ohne Grenzen / Welthungerhilfe / Plan International Deutschland e.V. / Aktion Deutschland Hilft e.V.

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