Prognose: Kiews Abkommen mit EU schadet Beziehungen mit Moskau
Archivmeldung vom 23.10.2013
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.10.2013 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer russische Präsident Wladimir Putin trifft am Donnerstag mit seinem ukrainischen Amtskollegen Viktor Janukowitsch zusammen. Zur Erörterung stehen das geplante ukrainische Assoziierungsabkommen mit der EU und dessen Folgen. Wie Andrej Iljaschenko bei Radio "Stimme Russlands" berichtet, warnt eine russische Expertin davor, dass die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew sich nach diesem Abkommen ändern werden.
Iljaschenko weiter: "Im Vorfeld des Gipfeltreffens sagte Juri Uschakow, Berater des russischen Präsidenten, mit Blick auf das von der Ukraine angestrebte Assoziierungsabkommen mit der EU, diese Frage sei derzeit für die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew besonders brisant und stehe deshalb unbedingt auf der Tagesordnung der Verhandlungen zwischen Putin und Janukowitsch.
Tamara Gusenkowa, Vizechefin des Russischen Instituts für strategische Studien, kommentierte in diesem Zusammenhang, die Ukraine habe ihren nationalen Kurs noch nicht gewählt. Die Regierung in Kiew wolle in das europäische Projekt einsteigen, um Rezepte und konkrete Anweisungen zu bekommen. Dabei stecke sie eigentlich in der Klemme. Die Ukraine brauche enge Kontakte mit der EU, wolle aber keinen Zank mit der Dreier-Zollunion Russlands, Weißrusslands und Kasachstans. Komme ein Assoziierungsabkommen mit der EU zustande, werde es Spannungen zwischen Moskau und Kiew verursachen. Die Ukraine sitze derzeit also zwischen zwei Stühlen:
„Sobald man dieses Abkommen unterzeichnet, wird sich der Abstand zwischen diesen Stühlen bereits am nächsten Tag unerreichbar vergrößern. Es geht ja um einen Versuch, dieses Abkommen zu beschleunigen. Das bedeutet sofort eine Freihandelszone, aber auch neue Standards und Richtlinien.“
Dabei werde die Ukraine nicht nur Vorteile einer EU-Assoziierung erleben, sondern sich auch an eine harte europäische Disziplin gewöhnen müssen, so Gusenkowa weiter:
„Es wird nicht gelingen, das bisherige Leben weiter zu leben, als ob sich nicht geändert hätte. Denn die Europäische Union wird streng aufpassen und fordern, all diese Richtlinien, Regeln und Standards einzuhalten. Die Ukraine wird ihre Beziehungen zur EU, der Dreier-Zollunion und Russland neu aufbauen müssen. Es wäre für die Ukraine falsch, mit gewissen ‚Ferien‘ in Bezug auf ihre Verpflichtungen zu rechnen.“
Die Regierung in Kiew hat noch einige Wochen, um eine endgültige Entscheidung zu fällen. Am 18. November versammeln sich dann die EU-Außenminister zu einem Treffen. Sie wollen sich mit dieser Frage im Hinblick auf den für Ende November geplanten EU-Gipfel beschäftigen."
EU-Annäherung: Kiews Kalkül geht nicht unbedingt auf
Von Ilja Charlamow erschien, vor ein paar Tagen, ebenfalls bei Radio "Stimme Russlands" dieser Beitrag: "Je näher ein Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU rückt, desto heftiger wird über seine Zweckmäßigkeit gestritten.
Anstatt in die Dreier-Zollunion von Russland, Weißrussland und Kasachstan einzusteigen, argumentiert die Regierung in Kiew für eine europäische Integration. Die ukrainische Führung lobt die fortgestrittenen europäischen Technologie-Standards und spricht nebulös von weiteren Vorteilen. Sie schweigt allerdings dazu, was die ukrainischen Waren erwartet.
Man spricht auch nicht gerne darüber, was kleinen und mittleren Unternehmen im Land droht. Sie können aber unter der Dumping-Last zusammenbrechen. Im Gegensatz zur Ukraine hat die EU trotz der Krise nach wie vor Geld, um europäische Hersteller zu unterstützen. Dabei wird die Ukraine im Fall ihrer EU-Integration den Zugriff auf den riesigen Markt Russlands, Weißrusslands und Kasachstans zum Teil verlieren. Da muss man zwischen Ost und West wählen. So sind die Handelsregeln der EU und der Dreier-Zollunion.
Die Regierung in Kiew sollte sich außerdem auf geo- und innenpolitische Nachteile gefasst machen. Bogdan Bespalko, Experte der Staatsuniversität Moskau, kommentiert:
„Europa braucht die Ukraine als gewissen strategischen Raum, um einen blockierenden Einfluss auf Russland auszuüben. Im diesem Sinne soll die Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen und quasi Europas Kolonie werden – nicht weil sie das braucht, sondern weil sie in diesem Fall nicht an Russland geht und nicht in der Lage ist, Russland stärker zu machen. Das ist das Ziel der Europäer und des Westens.“
Das nachdrückliche Interesse der allgegenwärtigen USA an einer europäischen Integration der Ukraine scheint vor diesem Hintergrund nicht zufällig zu sein. In einer pathetischen Erklärung zum Thema sparte US-Außenminister John Kerry nicht mit Lobesworten an die Regierung in Kiew. Diese soll Fortschritte erzielt und die einzig richtige Entscheidung getroffen haben. Und die ukrainische Führung ist mit ihrer Rolle als „jüngste europäische Ehefrau“ der USA anscheinend zufrieden.
Es ist allerdings nicht klar, womit die Regierung in Kiew innerhalb des Landes rechnet. Sie sagt zwar, die Anhänger einer EU-Integration seien in der Überzahl, das stimmt aber nicht. Bestenfalls spricht sich die Hälfte der Ukrainer für diese Integration aus. Wer steckt dann hinter dem umstrittenen Projekt? Tamara Gusenkowa, Vizechefin des Russischen Instituts für strategische Studien, klärt auf:
„Für die europäische Integration setzt sich die regierende Elite ein – zusammen mit dem oligarchischen Kapital und den Großunternehmern, aber auch mit einigen politischen Gruppen. Sie wählen sich eine Nische und platzieren ihre Kapitale auf dem europäischen Markt. Davon erhoffen sie sich künftig gewisse Vorteile. Der wichtigste Grund besteht darin, dass sie mit Hilfe der europäischen Integration ihre Kapitale im Ausland sichern wollen.“
Doch nicht Oligarchen, sondern Durchschnittsverbraucher werden all die Verpflichtungen erfüllen müssen, die die Ukraine im Fall einer EU-Integration übernimmt. Aus europäischer Perspektive kann dieses Land nichts mehr als ein weiterer Absatzmarkt mit billigen Arbeitskräften werden.
Wollen wirklich die meisten Ukrainer dieses Schicksal für ihr Land? Das stimmt kaum. Nach dem WTO-Beitritt ist das ukrainische Bruttoinlandsprodukt um mehr als 15 Prozent geschrumpft. Ein Assoziierungsabkommen mit der EU wird diesen Trend laut Experten nur ankurbeln. Das ist keine wirtschaftliche Frage mehr, sondern etwas aus dem Bereich der Politik. Vor allem gilt das für die derzeitige Regierung in Kiew, die bereit ist, die soziale Stabilität im Interesse des Großkapitals zu opfern.
Die ukrainische Führung setzt auf die EU. Doch falls ihr Plan scheitert, wird das ein politisches Urteil für diejenigen sein, die zu keinem strategischen Denken fähig sind – und nicht einmal in der Lage, ihre eigene politische Zukunft zu prognostizieren."
Quelle: Text Andrej Iljaschenko und Ilja Charlamow - „Stimme Russlands"