Warum Erdogan besser keine Beweise für Öl-Geschäfte mit IS fordern sollte
Archivmeldung vom 02.12.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seine Bereitschaft erklärt, zurückzutreten, falls der Kauf von Öl durch Ankara bei der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ bewiesen wird. Das berichtet die deutsche Ausgabe des russischen online Magazins "Sputnik".
Weiter heißt es auf der Webseite: "„Die Vorwürfe, dass die Türkei Öl bei IS kauft, sind inakzeptabel und es ist amoralisch, darüber zu sprechen. Solche Themen können nicht einfach so angeschnitten werden, es müssen Beweise vorgelegt werden. Falls es solche Dokumente gibt, müssen sie gezeigt werden. Falls diese Tatsache bewiesen wird, werde ich nicht länger auf diesem Sessel bleiben“, sagte der türkische Staatschef am Rande des Weltklima-Gipfels in Paris.
Das ist nicht die erste umstrittene Äußerung des türkischen Präsidenten, dessen Vorgehen in Syrien von Russlands Präsident Wladimir Putin als Schlag in den Rücken durch Helfershelfer der Terroristen bezeichnet wurde. RT legt mehrere Fakten vor, die darauf hinweisen, dass die Nichtbeteiligung der Türkei an den Öllieferungen von den unter Kontrolle der Terroristen stehenden Gebieten nicht so unumstritten ist, wie dies Ankara erklärt.
Aufnahmen aus dem All
Erstens zeigte Russland beim G20-Gipfel in Antalya den Staats- und Regierungschefs das Ausmaß des Ölhandels durch die IS-Terroristen. Wie Russlands Präsident Wladimir Putin sagte, gibt es Satellitenaufnahmen, die zeigten, dass Tanklaster „bis zum Horizont“ wie eine „lebende Pipeline“ Öl aus Syrien in die Türkei transportieren. „Sie fahren Tag und Nacht in die Türkei“, sagte der russische Staatschef.
Recherchen „The Guardian“
Putins Worte bewegten einen Journalisten der britischen Zeitung „The Guardian“ zur Durchführung einer eigenen Untersuchung. Er betonte im Ergebnis, dass den Zusammenhang zwischen den Behörden der Türkei und dem „Islamischen Staat“ selbst die Anhänger des Erdogan-Regimes verfolgen könnten. Putin: IS-Öl aus besetzten Regionen fließt in die Türkei
Seit 2012, als die Terroristen in Richtung Syrien vorrückten, war ihre Präsenz auf allen Abschnitten ihres Weges offensichtlich – sie blieben nicht unbemerkt und versammelten sich regelmäßig in türkischen Hotels, in Cafés. Im Ergebnis kamen europäische Diplomaten zu dem Schluss, dass die Behörden der Türkei mit den radikalen Islamisten sympathisieren, die sich nach Syrien begeben, um gegen Baschar al-Assad zu kämpfen.
Laut „The Guardian“ schlossen türkische Geschäftsleute Super-Deals mit IS-Extremisten, die sich mit Ölschmuggel befassten, wobei jede Woche rund zehn Millionen US-Dollar in die Kasse der Terroristen flossen. Wie hochgestellte Mitglieder des „Islamischen Staates“ der britischen Zeitung mitteilten, bevorzugten die türkischen Behörden, sich in ihre Angelegenheiten nicht einzumischen.
Zudem wurden im Zufluchtsort des vernichteten Terroristen Abu Sajaf, der für den Ölhandel zuständig war, auf Hardware Informationen über Verbindungen zwischen hochgestellten IS-Vertretern und einigen türkischen Beamten entdeckt.
Türkischer Angriff auf russisches Su-24-Flugzeug
Wie die Leiterin des Zentrums für Asien und Nahen Osten des Russischen Instituts für strategische Studien, Anna Glasowa, zuvor in einem RT-Interview gesagt hatte, wurde der russische Su-24-Bomber einige Tage nach dem Beginn der russischen Luftangriffe gegen Objekte des Schmuggelöls abgeschossen, das aus Syrien an verschiedene Länder geliefert wurde, darunter die Türkei.
„Man kann sicher behaupten, dass eine solche Ölmenge nicht unbemerkt von den türkischen Behörden geliefert werden konnte. Türkische Führungskräfte nahmen an diesen Geschäften sicher teil“, sagte Glasowa.
Mehr zum Thema: Putin: Jet-Abschuss sollte Lieferung von IS-Öl an Türkei absichern
Der russische Außenminister Sergej Lawrow betonte ebenfalls, dass die Türkei gleich nachdem die russische Luftwaffe die Ölkonvois der Terroristen zu bombardieren begann, Besorgnis äußerte. „Das ist natürlich kaum ein Zufall, dass unsere türkische Nachbarn sich danach sehr nervös verhielten“.
Türkische Opposition
Der stellvertretende Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Partei der Völker Idris Baluken betonte, dass der Angriff der türkischen Luftwaffe auf das russische Militärflugzeug im Voraus geplant worden sei. Ihm zufolge kann die Demarche mit dem Wunsch Erdogans erklärt werden, sich in die Operation der russischen Luftwaffe gegen die Terroristen in Syrien einzumischen.
Das Mitglied der größten türkischen Oppositionspartei CHP Mehmet Ali Ediboglu betonte ebenfalls, dass die Vorwürfe gegen die türkische Regierung nicht unbegründet seien. „IS verdiente beim Ölexport 800 Millionen US-Dollar pro Jahr und gab dieses Geld für Waffenkäufe aus. Damit wurde das Öl zum Mittel für Terrorismusfinanzierung“, so Ediboglu. „In Kirkuk, im Norden Iraks, funktionieren vier Ölhandelsfirmen, die dem Anführer der irakischen Kurden, Masud Barsani, nahe stehen. Via diese Firmen kaufen Dutzende Händler, vor allem aus der Türkei, Öl und verkaufen es weiter auf den Weltmärkten. Ich fragte den Energieminister danach im Parlament. Die Antwort war sehr interessant. Er sagte: Wir kaufen Öl bei Barsani im Norden Iraks, woher es kommt – das wissen wir nicht, das sind nicht unsere Sorgen“.
Festnahme von Journalisten und Militärs in der Türkei
Der Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ Can Dündar und der Korrespondent dieser Zeitung Erdem Gül waren zuvor wegen der Enthüllungen der Waffenlieferungen durch die türkischen Behörden an die IS-Terroristen festgenommen worden. Dabei wurden die Ermittlungen gegen die Journalisten auf direkten Auftrag Erdogans aufgenommen. Wegen Berichten zu Waffenschmuggel für IS: Journalisten in Türkei festgenommen
Die Zeitung veröffentlichte im Mai Fotos von Konvois türkischer LKWs. Wie die Zeitung berichtete, wurden Waffen und Munition an Extremisten geliefert. Zudem tauchte im Netz ein Video auf, auf dem den Journalisten zufolge Waffen zu sehen waren, die die türkischen Behörden an Terroristen in benachbarten Ländern liefern. Doch die volle Version der Videoaufnahme, von der die Rede ist, ist nicht mehr zugänglich. Örtliche Behörden haben sie anscheinend gesperrt bzw. gelöscht.
Die türkischen Behörden wiesen zunächst diese Vorwürfe zurück und behaupteten, dass es sich bei den Konvois um humanitäre Hilfe handelte, doch später teilten einige Beamte mit, dass die Waffen aus den LKWs für die turkmenischen Einheiten bestimmt waren, die im Norden Syriens kämpften. Dabei unterstützte Erdogan diese Version und betonte, es gebe keinen Unterschied, ob es in den LKWs Waffen gegeben habe oder nicht. Ihm zufolge wurden die LKWs jedenfalls zum Schutz der Interessen der Türkei in der Region geschickt.
Doch später wurden drei hochgestellte Militärs vor Gericht gerufen – General Ibrahim Aydin, Oberst a.D. Burhanettin Cihangiroglu und General Hamza Celepoglu, die im Januar 2014 LKWs mit Waffen stoppten. In einer Kiste mit der Aufschrift „Vorsicht! Fragil!“ wurde unter Medikamenten Munition entdeckt. Diese LKWs gehörten der Aufklärungsverwaltung der Türkei. Den Militärs, die diese Waffen entdeckten, wurden die Bildung einer Terrorgruppe und Spionage vorgeworfen.
Erdogan-Clan
Syriens Außenministerium betonte, dass der Vorfall mit dem russischen Su-24-Flugzeug, das von einem türkischen F-16-Kampfjet abgeschossen wurde, der ganzen Welt bewies, dass der türkische Präsident Terroristen hilft und empfahl Washington, die Informationen zu überprüfen, dass Erdogans Sohn, Bilal, am Ölschmuggel unter Beteiligung des „Islamischen Staates“ teilnahm.
„Das gesamte Öl wird an ein Unternehmen geliefert, das dem Sohn Erdogans gehört. In diesem Zusammenhang wurde die Türkei nervös, als Russland die Luftangriffe gegen IS-Infrastruktur zu fliegen begann und bereits mehr als 500 Tanklaster vernichtete. Das machte Erdogan und sein Unternehmen nervös“, sagte der syrische Informationsminister Omran as-Soubi.
Laut vielen Experten kontrolliert Bilal persönlich den Handel mit Öl, das Terroristen illegal an die Türkei liefern.
Laut dem Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow verfügt Moskau über Informationen über das Interesse von Erdogans Sohn am Ölgeschäft.
Zudem wird das Amt des Energieministers in der neuen türkischen Regierung vom Schwager des amtierenden Präsidenten bekleidet.
Kontakte mit Kämpfern
Im Internet erschien ein Video, auf dem einer der Anführer der „Grauen Wölfe“, ein gewisser Alpaslan Celik, Sohn des früheren Bürgermeisters einer türkischen Stadt, von der Beteiligung am Mord des russischen Su-24-Piloten spricht. Diese bewaffnete Gruppierung ist unter anderem für ein blutiges Massaker an 150 politischen Häftlingen und für den Versuch eines Attentats auf Papst Johannes Paul II. verantwortlich. Die Kämpfer haben Kontakte mit den höchsten Machtstrukturen der Türkei. Laut dem Sprecher der Partei für Demokratie der Völker, Aihan Bilgen, treten die „Grauen Wölfe“ als „grobe Kraft“ der Partei der nationalistischen Bewegung auf, die ihrerseits das Erdogan-Regime unterstützt.
Dem offiziellen Sprecher der syrischen Streitkräfte, General Ali Maihub, zufolge leistet die türkische Führung internationalen Verbrechern militärische Unterstützung „und kauft dafür billiges Öl, Kulturgegenstände, die die Banditen in syrischen und irakischen Museen geraubt haben, sowie andere Schmuggelwaren“. Er betonte, dass der Autoverkehr zwischen der Türkei und dem von den Terroristen kontrollierten Territorium ohne jegliche Kontrolle erfolge.
Der französische Abgeordnete Nicolas Dhuicq (Union für eine Volksbewegung, UMP) zeigte sich ebenfalls überzeugt, dass Ankara ein Doppelspiel führt und den Ölschmuggel gemeinsam mit den Islamisten betreibt. Er betonte, dass der türkische Staatschef unzufrieden sei, dass die russischen Kräfte dieses Spiel behindern. „Denn Präsident Erdogan betreibt bekanntlich den Ölschmuggel gemeinsam mit IS“, so der Parlamentarier.
Der frühere libanesische Präsident Emile Lahoud gab in einem Exklusivinterview für RT einen Kommentar zum Tod des russischen Piloten nach dem Angriff des türkischen Kampfjets ab. Nach seinen Worten hatte Ankara diese Aktion im Voraus geplant, weil Erdogan mit den regionalen extremistischen Gruppierungen verbunden ist.
„Die ganze Welt weiß, dass der türkische Präsident Erdogan die Fundamentalisten und Extremisten bereits seit fünf Jahren unterstützt“, so Lahoud. „Als der ‚Islamische Staat‘ entstand, unterstützte er auch diese Gruppierung, indem er ihr den Ölhandel genehmigte, wobei das Öl in die Türkei durch das Gebirge im Grenzgebiet transportiert wurde.“
Der frühere irakische Sicherheitsberater Mubarak ar-Rubai teilte unter Berufung auf Geheimdienste mit, dass IS-Kämpfer in den letzten acht Monaten irakisches Öl und Gas auf dem türkischen Schwarzmarkt für 800 Millionen Dollar verkauft haben.
Der Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, unterstrich seinerseits, dass die Türkei immer radikale Islamisten unterstützt habe und eine Art Stützpunkt sei, wo Kämpfer angeheuert und nach Syrien geschickt werden. „Türkische Medien behaupten, die Türkei hätte immer dem tschetschenischen Volk geholfen. Tatsächlich, Ihr habt die Wahhabiten und Terroristen unterstützt, indem Ihr für sie Geld sammeltet. Ihr habt solche Personen wie Udugow, Umarow, Bassajew empfangen und ihnen medizinische Hilfe geleistet. Und dann verübten sie und ihre Mithelfer Terroranschläge und vernichteten das tschetschenische Volk. Das war Eure Hilfe“, schrieb Kadyrow auf seiner Instagram-Seite.
Nach seinen Worten kommen Banditen aus aller Welt in die Türkei. „Die Türkei kämpft nicht gegen IS! Sie handelt mit ihm, kauft bei ihm Öl und finanziert die Gegner des Islams, die Tausende Muslime töten“, so Kadyrow.
Der Abgeordnete des EU-Parlaments Javier Couso sagte jüngst, es sei höchste Zeit, „der Türkei, gelinde ausgedrückt, eine richtige Ohrfeige zu verpassen“, weil sie „kriminell fahrlässig gegenüber terroristischen Gruppierungen“ sei.
Auch der frühere französische Ministerpräsident Francois Fillon behauptete, über Beweise zu verfügen, dass fast das ganze Öl, das IS exportiere, in türkischen Raffinerien verarbeitet werde. „Der Handel erfolgt unmittelbar unter Beteiligung türkischer Unternehmen“, so Fillon. „Eine Verabredung zwischen der Türkei und IS ist offensichtlich.“
Der russische Premier Dmitri Medwedew fand Ankaras Position gar nicht überraschend – „wenn man die Informationen bedenkt, dass manche türkische Beamte, die mit Öllieferungen von IS-Raffinerien verbunden sind, ein unmittelbares Interesse daran hatten.“
Auch das Weiße Haus hat gefordert, die türkische Grenze für die IS-Kämpfer zu schließen. Das "Wall Street Journal" zitierte eine Quelle in der US-Administration: „Das Spiel hat sich geändert. Genug ist genug. Die Grenze muss verriegelt werden. Das ist eine internationale Gefahr, die von Syrien ausgeht und durch die Türkei verläuft.“
Dem russischen Politologen und Orientalisten Grigori Melamedow zufolge „ist es allen längst bekannt, dass das Öl aus Syrien durch das türkische Territorium transportiert wird. Meines Erachtens können Beweise dafür jederzeit vorgelegt werden. Bisher hatte sich aus diplomatischen Gründen niemand damit beschäftigt, um die Türkei nicht in eine ungünstige Lage zu versetzen und mit ihr nicht zu streiten.“ In diesem Kontext erwähnte der Experte gegenüber RT „beispielsweise von unseren Luftstreitkräften gemachte Luftfotos“, auf denen Tankwagen abgebildet seien, die sich auf dem Weg von dem von IS kontrollierten Territorium zur türkischen Grenze befinden.
Der Politologe Juri Potschta von der Russischen Universität der Völkerfreundschaft fügte hinzu, dass das Öl nicht der einzige Grund sei, warum die türkischen Behörden sich für diesen Schritt entschlossen haben. „Teilweise sind diese Extremisten die Waffe der Türkei im Kampf gegen das legitime Regime in Damaskus. Es wurden ihre Ölinteressen betroffen. Möglicherweise werden dort auch Drogen oder sonst noch etwas befördert. Es werden sogar archäologische Wertgegenstände ausgeführt. In diesem Fall ist Russland in den Interessenbereich der Türkei eingedrungen und hat die türkische Führung verärgert“, so der Experte.
Der einstige Chef der französischen Militärmission bei der UNO General a.D. Dominique Trinquand sagte ebenfalls, die Türkei würde nicht gegen IS kämpfen bzw. nicht „verschiedene Arten des Handels an ihrer Grenze unterbinden, egal ob mit Öl oder Phosphaten, mit Baumwolle oder mit Menschen“.
Ein weiterer Militär, der frühere Befehlshaber der Nato-Kräfte in Europa Wesley Clark, vermutete, dass das Bestehen des "Islamischen Staates" in einem gewissen Sinne den Interessen der Türkei entspreche und dass Ankara am Ölhandel mit IS-Kämpfern teilnehmen könnte.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Montag gesagt, dass Russland zusätzliche Beweise dafür erhalten habe, dass das auf dem von IS kontrollierten Territorium geförderte Öl in die Türkei transportiert werde. Der Staatschef schloss zudem nicht aus, dass die russische Su-24 abgeschossen worden sei, um die Öllieferungen in die Türkei nicht zu gefährden.
„Wir haben allen Grund zu vermuten, dass die Entscheidung zum Abschuss unseres Flugzeugs dadurch bedingt war, die Öllieferwege auf das türkische Territorium zu sichern, und zwar zu den Häfen, wo das Öl in Tankschiffe umgeladen wird“, sagte Putin am Rande der Klimaschutz-Konferenz in Frankreich."
Quelle: Sputnik (Deutschland)