EU-Vertreter wollen bei "Grexit" Vertiefung der Währungsunion
Archivmeldung vom 27.04.2015
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtVertreter der Institutionen sowie europäischer Regierungen fordern laut eines Berichts der "Welt am Sonntag" im Falle eines Euroaustritts von Griechenland ein sofortiges Signal für eine Vertiefung der Währungsunion. Spitzenpolitiker fürchteten dabei weniger die direkten Folgen eines "Grexits", als die Konsequenzen für den Fall, dass ein weiteres Euroland später in Schieflage geraten sollte.
"Dagegen müssen wir die Währungsunion so schnell wie möglich wappnen", sagte ein ranghohes Regierungsmitglied eines großen Eurostaates. Vertreter der Institutionen aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission sowie europäische Regierungspolitiker bestätigten diese Auffassung.
Auch SPD-nahe Wirtschaftsexperten fordern die Eurozone zu weiteren Reformen der Währungsunion auf. "Die Weiterentwicklung der Währungsunion ist das vergessene Kind der Krise", sagte Henrik Enderlein, Wirtschaftsprofessor an der Berliner Hertie School of Governance der "Welt am Sonntag". "Dabei kann die Währungsunion in ihrer jetzigen Verfasstheit nicht überleben. Die Politik des Durchwurstelns wird besser als jede Krise die Währungsunion zum Einsturz bringen."
Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger glaubt allerdings nicht, dass die Deutschen zur Übernahme weiterer Haftungsrisiken bereit sind. "Ich würde als Politiker alles unternehmen, damit sich der deutsche Steuerzahler nicht weiter aufregen muss", sagte Bofinger. Eine gemeinsame europaweite Arbeitslosenversicherung etwa gebe "Mord- und Totschlag. Solch ein Schritt wirkt destruktiv auf den Integrationsprozess, weil viele Wähler dies als Transferunion ansehen würden."
Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnt davor, die gemeinsame Schuldenhaftung zu erhöhen. "Euro-Bonds oder andere Formen von Gemeinschaftshaftung braucht Europa nicht", sagte Fratzscher. Europa brauche stärkere Regeln, damit nicht alle Mitgliedstaaten für das Fehlverhalten einzelner Länder geradestehen müssen. "Gerade deshalb brauchen wir einen europäischen Finanzminister mit Eingriffsrechten in die nationalen Haushalte. Ein europäischer Finanzminister sollte sich auch über eine eigene Steuerabgabe finanzieren können."
CDU-Abgeordneter: Griechenland wird noch Jahrzehnte Hilfe benötigen
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann hat die Notwendigkeit mehrerer neuer Hilfsprogramme für Griechenland eingeräumt. "Wir müssen den Bürgern reinen Wein einschenken: Bleibt Griechenland im Euro, wird es nicht nur ein drittes Hilfspaket geben, sondern auch ein viertes, fünftes oder sogar mehr", sagte Hauptmann gegenüber der "Bild"-Zeitung. Sollte Griechenland im Euro bleiben, werde das Land "noch Jahrzehnte unsere Hilfe benötigen".
Hauptmann, der ordentliches Mitglied im Wirtschaftsausschuss des Bundestags ist und an der US-Eliteuniversität Yale Wirtschaft und Politik studiert hat, plädierte vor diesem Hintergrund dringend für den Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone. "Auf lange Sicht ist er für alle die wirtschaftlich beste Lösung: Europäische Verträge haben wieder ihre Gültigkeit. Griechenland erhält seine Wettbewerbsfähigkeit zurück", so der CDU-Politiker.
Grüne warnen vor Euro-Austritt Griechenlands
Die Grünen haben eindringlich vor einem Euro-Austritt Griechenlands gewarnt. "Für Europa steht zu viel auf dem Spiel, um die Mitgliedschaft Griechenlands in der Euro-Zone einzelnen Details der Reformliste, dem Jahrmarkt politischer und persönlicher Eitelkeiten beteiligter Akteure oder auch kurzfristigen taktischen Kalkülen zu opfern", schreiben die Vorsitzende der Grünen, Simone Peter, und der Co-Vorsitzende der Europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" (Online-Ausgabe). "Scheitert Europa hier, kommt es nicht zu einem gemeinsamen Weg, wäre die Europäische Union in beispielloser Weise geschwächt - und das mit weitreichenden Folgen."
Bei einem Scheitern würde aus Peters und Bütikofers Sicht auch ein Grundprinzip der europäischen Integration in Frage gestellt: Konflikte und Interessengegensätze innerhalb eines gemeinsamen Rahmens von Werten und demokratischen wie institutionellen Regeln auszuhandeln und durch Kompromisse zu lösen. "Und das in einem gemeinsamen europäischen Geiste zu tun, statt nationale Ressentiments und Chauvinismen wiederzubeleben und gegeneinander in Stellung zu bringen."
Aus gutem Grund werde daher in Washington wie in Moskau sehr genau beobachtet wie die Europäer diese Krise managten. "Denn wenn die Europäische Union eine solche Krise im eigenen Haus nicht zu lösen vermag, wie sollte sie gegenüber den zahlreichen Krisenherden in seiner direkten Nachbarschaft, von der Ukraine über Syrien bis hin zu Libyen, noch glaubwürdig und wirkungsvoll auftreten können?"
Trotzdem seien Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) eher bereit, einen Euro-Austritt Griechenlands, den sogenannten Grexit, in Kauf zu nehmen, "als das Scheitern der von ihnen betriebenen Austeritätspolitik eingestehen zu müssen". Sich aus der Krise "herauszuschrumpfen", habe sich als "fataler Irrweg" erwiesen, betonen die Grünen-Politiker. "Eigentlich braucht es nur etwas gesunden Menschenverstand, um zu sehen, dass es in Griechenland nicht so weiter gehen kann wie bisher: Wer krank ist und vom Arzt scheußliche Medizin verschrieben bekommen hat, wird zunehmend an der Art und der Zusammensetzung der Medizin zweifeln, wenn er immer kränker wird statt zu genesen."
Gleichwohl räumten Peter und Bütikofer auch ein, dass die neue griechische Regierung mit ihrem Auftreten etliche Chancen verspielt habe, einen Kurswechsel weg von der Austeritätspolitik für ganz Europa mit anzustoßen. Diese Schubumkehr bleibe aber trotzdem nötig.
"Eine Investitionsoffensive ist überfällig, die im Sinne eines Green New Deal nachhaltige Wirtschaftsbereiche voranbringt, welche in Zukunft wettbewerbsfähig sind", schreiben die Grünen-Politiker und fügen hinzu: "Nachhaltige Investitionen statt Austerität lautet die so einfache wie wirkungsvolle Formel des Green New Deal."
EU-Vertreter wollen bei "Grexit" Vertiefung der Währungsunion
Vertreter der Institutionen sowie europäischer Regierungen fordern laut eines Berichts der "Welt am Sonntag" im Falle eines Euroaustritts von Griechenland ein sofortiges Signal für eine Vertiefung der Währungsunion. Spitzenpolitiker fürchteten dabei weniger die direkten Folgen eines "Grexits", als die Konsequenzen für den Fall, dass ein weiteres Euroland später in Schieflage geraten sollte. "Dagegen müssen wir die Währungsunion so schnell wie möglich wappnen", sagte ein ranghohes Regierungsmitglied eines großen Eurostaates.
Vertreter der Institutionen aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission sowie europäische Regierungspolitiker bestätigten diese Auffassung. Auch SPD-nahe Wirtschaftsexperten fordern die Eurozone zu weiteren Reformen der Währungsunion auf. "Die Weiterentwicklung der Währungsunion ist das vergessene Kind der Krise", sagte Henrik Enderlein, Wirtschaftsprofessor an der Berliner Hertie School of Governance der "Welt am Sonntag". "Dabei kann die Währungsunion in ihrer jetzigen Verfasstheit nicht überleben. Die Politik des Durchwurstelns wird besser als jede Krise die Währungsunion zum Einsturz bringen."
Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger glaubt allerdings nicht, dass die Deutschen zur Übernahme weiterer Haftungsrisiken bereit sind. "Ich würde als Politiker alles unternehmen, damit sich der deutsche Steuerzahler nicht weiter aufregen muss", sagte Bofinger. Eine gemeinsame europaweite Arbeitslosenversicherung etwa gebe "Mord- und Totschlag. Solch ein Schritt wirkt destruktiv auf den Integrationsprozess, weil viele Wähler dies als Transferunion ansehen würden."
Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnt davor, die gemeinsame Schuldenhaftung zu erhöhen. "Euro-Bonds oder andere Formen von Gemeinschaftshaftung braucht Europa nicht", sagte Fratzscher.
Europa brauche stärkere Regeln, damit nicht alle Mitgliedstaaten für das Fehlverhalten einzelner Länder geradestehen müssen. "Gerade deshalb brauchen wir einen europäischen Finanzminister mit Eingriffsrechten in die nationalen Haushalte. Ein europäischer Finanzminister sollte sich auch über eine eigene Steuerabgabe finanzieren können."
Griechenland: "Ärzte ohne Grenzen" kritisiert Situation der Flüchtlinge
Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" hat die Bedingungen für Flüchtlinge in Griechenland scharf kritisiert und die Regierung in Athen zum Gegensteuern aufgefordert. Der Geschäftsführer der deutschen Sektion von "Ärzte ohne Grenzen", Florian Westphal, sagte der "Welt": "Die Situation von Flüchtlingen in Griechenland ist dramatisch und in weiten Teilen inakzeptabel. Die griechische Regierung und die EU müssen dringend etwas tun, um die Aufnahmebedingungen der Flüchtlinge auf den Inseln zu verbessern."
Westphal warnte zugleich vor einem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen in Griechenland: "Unsere Teams beobachten, dass sich die Zahl der ankommenden Bootsflüchtlinge auf den griechischen Inseln im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat. Aktuell erreichen die Zahlen schon jetzt im Frühjahr die Höchststände vom Spätsommer."
Die griechischen Behörden müssten einen "Vorsorgeplan" erarbeiten: "Wir fürchten eine deutliche Verschlechterung der Situation im Verlauf des Jahres, falls nicht Vorkehrungen für einen weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen getroffen werden". Die meisten Flüchtlinge in Griechenland kämen normalerweise zwischen Juli und September. Ihre Herkunftsländer sind laut Westphal Syrien und andere Kriegsgebiete wie Afghanistan. Konkret kritisierte Ärzte ohne Grenzen, dass es auf den griechischen Inseln "kein funktionierendes Aufnahmesystem" gebe.
"Zum Teil werden Hunderte Personen, darunter Schwangere und Kinder, in viel zu kleine Polizeistationen gepfercht, manchmal müssen sie sogar im Freien übernachten, bis alle administrativen Schritte abgeschlossen sind. Die Menschen müssen Unterkünfte, ausreichende Toiletten, Nahrungsmittel und medizinische Betreuung erhalten. Es kann nicht sein, dass private Organisationen wie `Ärzte ohne Grenzen` für humanitäre Mindeststandards wie den Zugang zu medizinischer Versorgung einspringen müssen." Es sei ein "Skandal", dass die Europäische Union nicht in der Lage sei, angemessene Bedingungen für die ankommenden Flüchtlinge zu sc! haffen.
Quelle: dts Nachrichtenagentur