Enegieexpertin Dr. Kirsten Westphal fordert Umsetzung des Solarprojekts ,,Desertec"
Archivmeldung vom 31.07.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit riesigen Solarkraftwerken in der nordafrikanischen Wüste wollen 15 Unternehmen Strom erzeugen und nach Europa transportieren. Am Projekt ,,Desertec" sind unter anderem die Münchener Rück, RWE, E.ON, die Deutsche Bank sowie Firmen aus der Solarwirtschaft beteiligt. Die Idee wird kontrovers diskutiert, obwohl noch ein weiteres derartiges Großprojekt existiert: Der Solarplan der EU.
Dr. Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik, einer Denkfabrik der Bundesregierung, ist sich sicher: "Trotz aller Risiken sind diese Projekte alternativlos. Gefragt sind jetzt deutsche und europäische Weichenstellungen."
Solarstrom aus der Wüste -- ist dies eine Fata Morgana oder eine realistische Vision?
Dr. Kirsten Westphal: Das ist eine realistische Vision, wenn man die nötigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen schafft. So muss Europa die Weichen dafür stellen, dass Solarstrom in Europa auch über Grenzen hinweg gehandelt werden kann. In Nordafrika müssen dagegen überhaupt erst mal die Voraussetzungen geschaffen werden, dass in größerem Maßstab in konzentrierte Solarkraft investiert wird.
Wie groß sind die politischen Risiken in Nordafrika?
Dr. Westphal: Ich würde gar nicht von Risiken sprechen, sondern von unfreundlichen Rahmenbedingungen. Viele nordafrikanische Staaten sind Öl- und Gasproduzenten, deren Regime halten sich nicht zuletzt, indem sie die Profite, die Renten aus diesem Geschäft zum politischen Machterhalt nutzen. Zudem existieren dort oft noch niedrige, weil subventionierte Strompreise. Solarstrom, der zu Anfang teuer sein wird, könnte damit nicht konkurrieren. Und das wäre fatal, weil ein großer Anteil des erzeugten Stroms vor Ort verkauft werden soll.
Woran hakt die Umsetzung des EU-Solarplanes von 2008?
Dr. Westphal: Zum einen hemmt das globalpolitische Umfeld. Nach dem Gaza-Krieg haben die arabischen Staaten Ende 2008 und Anfang 2009 die offiziellen Treffen der "Union für das Mittelmeer" ausgesetzt, unter deren Dach der Solarplan verwirklicht werden soll. Hinter den Kulissen arbeiten Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien mit nordafrikanischen Partnern aber weiter an dem Vorhaben, das die Installation von 20 Gigawatt in der Region bis 2020 vorsieht.
Aber die Europäer sind sich auch nicht einig: Während Berlin einen Masterplan favorisiert, setzt Paris auf werbewirksame Pilotprojekte. Sind sich die Europäer wenigstens über das strategische Ziel einig, ihre Abhängigkeit von Nahost-Öl und russischem Gas zu verringern?
Dr. Westphal: Ich bezweifle, dass dies das strategische Ziel ist, das dahinter steht. Vorrangiges Ziel muss es sein, den Umbau unseres Energiesystems, das auf fossilen Brennstoffen, also Öl, Kohle und Gas basiert, voranzutreiben und erneuerbare Energien in großem Stil zu nutzen. Das ist notwendig, um die Klimaerwärmung -- wie nun als globales Ziel vereinbart -- auf zwei Grad zu begrenzen. Eine dazu notwendige Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 50 Prozent und in den Industrieländern um 80 Prozent 2050 ist mit konventionellen Energien nicht zu erreichen. Da ist es sinnvoller, die größte Energiequelle überhaupt anzuzapfen, die Sonne. Sie verspricht auch, die zweite große Herausforderung anzugehen: Die Energiearmut, die in vielen Regionen herrscht, wo die Mehrheit der Bevölkerung keinen Zugang zu Strom hat. Solarenergie kann übrigens auch zur Entsalzung genutzt werden und damit das Wasserproblem eindämmen.
Verwundert es Sie nicht, dass dem Wüstenprojekt angesichts dieser Tragweite keine Priorität eingeräumt wird wie einst dem Apollo-Programm?
Dr. Westphal: In der Tat. Nicht zufällig hat E.ON-Chef Wulf Bernotat das Desertec-Projekt mit der Mondlandung verglichen. Zwar gibt es nicht diese staatliche Förderung wie damals beim Apollo-Programm, aber die ersten Schritte wurden gemacht. Das Solarprojekt der EU bereitet politisch den Boden, Desertec bündelt nun die Interessen der Industrie. Bevor allerdings Nationen erste Investitionen tätigen können, muss Europa Hindernisse aus dem Weg räumen. So müssen die Markteintrittsbarrieren für die neuen Kraftwerkstechnologien und den Solarstrom abgebaut werden, damit dieser nach Europa importiert werden kann. Dazu muss sicher erstmal Geld in die Hand genommen werden in Form von günstigen Krediten, Steuererleichterungen, Einspeisetarifen und Subventionen.
Wären die Übertragungsleitungen ähnlich empfindliche Energieadern wie Gas-Pipelines?
Dr. Westphal: Das ist eine wichtige Frage. Aber: Strom ist mit Öl oder Gas nicht zu vergleichen. Strom ist eine Endenergie, die direkt in den täglichen Bedarf fließt. Öl und Gas sind dagegen sogenannte Primärenergieträger, die auch, wenngleich nicht immer leicht, substituierbar, also zu ersetzen sind. Fällt der Strom aus, merken es die Nutzer sofort. Insofern ist die Gesellschaft in diesem Punkt sogar noch verwundbarer als bei russischem Gas. Aber das Gleiche gilt auch für die Stromproduzenten, weil sich Strom nur sehr unzureichend speichern lässt. Es liegt also in deren ureigenem Interesse, den Strom zu verkaufen. Zwar ist die Energie-Infrastruktur unserer Gesellschaft in Gänze sehr empfindlich. Doch im Falle des Wüstenstroms reden wir nicht von einer Leitung und einem Großkraftwerk, sondern von vielen in mehr als zehn Ländern. Damit haben wir eine größere Diversifizierung als beim Gas, wo es nur drei bis vier Hauptlieferanten für den europäischen Markt gibt.
Muss Europas Energie-Sys"tem für eine Wende hin zu regenerativen Energien komplett umgebaut werden? Dr. Westphal: Nein, aber je mehr wir auf Wind, Wasser und Sonne setzen, desto stärker müssen wir unser Stromnetz modernisieren und ausbauen. Insbesondere bedarf es der Installation von Hochspannungsgleichstromleitungen und dem Aufbau eines sogenannten "super smart grid", das Strombedarf und --erzeugung über intelligente Informationstechnologien besser managt. Diese Notwendigkeiten bestehen ohnehin. Damit bestehen aber auch positive Synergieeffekte, wenn man auf konzentrierte Solarkraft setzt.
Wäre ein Solar-Großprojekt in der Wüste der Todeskuss für eine dezentrale Energieversorgung, etwa über Solarmodule auf Dächern?
Dr. Westphal: Nein, beides ist kompatibel. Wollen wir dem Klimawandel wirksam begegnen, brauchen wir die dezentrale Photovoltaik und die konzentrierte Solar-Power. Das ist gerade auf globaler Ebene wichtig. Denken Sie an Schwellen- und Entwicklungsländer mit Megastädten, die versorgt werden müssen, aber auch Dörfer, die nicht am Stromnetz hängen. Da brauchen wir die Photovoltaik fürs Land und die Solarthermie für die urbanen Zentren. Beides ist verknüpfbar, auch in Deutschland. Deutschland muss allerdings überlegen, ob es weiterhin der Photovoltaik im eigenen Land Vorfahrt geben soll, etwa über günstige Einspeisetarife, oder ob hier ein Umschwenken auf mehr importierten Strom aus Solarthermie sinnvoller ist.
Was kann die EU tun, um die Solarthermie konkurrenzfähig zu machen?
Dr. Westphal: Kraftwerke hinstellen. Punkt. Die Technologie ist erprobt, sie läuft. Jetzt muss das Ganze marktfähig und in einen großindustriellen Maßstab gebracht werden. Die Kostensenkung ist umso stärker, je mehr Kraftwerke man baut. Das muss natürlich in gegenseitigem Vertrauen und in Kooperation mit den Partnerländern vor Ort gemacht werden. Konzentrierte Solarkraftwerke sind nur zwischen dem 35. nördlichen und dem 35. südlichen Breitengrad im Sonnengürtel der Erde effektiv.
Kann die Industrie die 400 Milliarden Euro Investitionskosten für Desertec aufbringen, oder müssen die Staaten einspringen?
Dr. Westphal: Die Regierungen sollten schon überlegen, wie sie diesem Projekt den Weg ebnen können. Sei es durch günstige Kredite oder Einspeisetarife, sei es durch die Schaffung von Handelsplätzen für Solarstrom. Letztlich werden die heutigen Kohle- und Atomkraftwerke ja auch subventioniert, weil viele Folgekosten von der Gemeinschaft getragen werden. Eine noch ungelöste Frage ist aber der Ausbau von Netzen. Auf Europas Energiemarkt regiert eine Kultur des Wettbewerbs -- geringe Kosten und Zugang für alle zu den Netzen. Jetzt sind wir aber an einem Punkt angekommen, an dem erhebliche Investitionen in die Netze vorgenommen werden müssen. Das werden die Konzerne nicht alleine stemmen können oder wollen. Hier wäre ein Paradigmenwechsel in der EU sinnvoll: Weg vom Wettbewerb, hin zu mehr Versorgungssicherheit auch durch moderne Netze. Infrastruktur hat letztlich den Charakter eines öffentlichen Guts. Hier öffnet die Finanzkrise ein Fenster, das genutzt werden sollte, denn Mittel aus Konjunkturprogrammen sollen in die Erneuerung der Netze fließen.
Hätte eine Solarpartnerschaft mit Nordafrika das Potenzial, die Region zu stabilisieren?
Dr. Westphal: Ja, Zusammenarbeit im Energiebereich wirkt vertrauensfördernd. Entsprechendes erlebte Deutschland im Kalten Krieg beim Erdgas-Röhren-Deal mit der Sowjetunion. Zudem ist es eine Grundlinie der EU gegenüber den Mittelmeeranrainern, Stabilität über wirtschaftliche Zusammenarbeit zu exportieren.
Müssten die Nordafrikaner letztlich "ihren" Solarstrom bei europäischen Firmen kaufen?
Dr. Westphal: Das ist die große Frage. Das Geschäft mit den nordafrikanischen Staaten muss in Augenhöhe abgeschlossen werden. Letztlich darf es nicht darauf hinauslaufen, dass sie teuren Solarstrom von den Europäern kaufen.
Kann so verhindert werden, dass das Projekt als Neo-Kolonialismus empfunden wird?
Dr. Westphal: Ja. Die Länder müssen profitieren, mit Arbeitsplätzen, mit Technologietransfer. Letztlich wird auch weniger Gas und Öl im Inland verbraucht, das mit mehr Gewinn ins Ausland exportiert werden kann. Und nicht zuletzt öffnet sich den energiearmen Ländern eine Perspektive als Energieproduzenten und den energiereichen eine Perspektive auch nach dem Ölboom strategisch wichtig zu bleiben. Dennoch bestehen Hürden: Die noch ausstehenden Vorleistungen, etwa bei der Liberalisierung des Energiesektors, sind politisch schwer durchzusetzen. Für den Westen gibt es einen zusätzlichen sicherheitspolitischen Nutzen. Einige nordafrikanische Länder erwägen den Einstieg in die Atomtechnologie. Kann ihnen Solarstrom schmackhaft gemacht werden, gewinnen wir global mehr Sicherheit -- sowohl beim Erzeugen der Energie als auch beim Vermeiden der Gefahr, dass Technologie zum Kernwaffenbau weiterverbreitet wird.
Quelle: Landeszeitung Lüneburg (Das Interview führte Joachim Zießler)